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       # taz.de -- UN-Flüchtlingskommissar zu Syrien: „Keine schnellen Lösungen“
       
       > Libanon und Jordanien sind mit der Flucht vor dem Assad-Regime
       > überfordert. António Guterres über die Hilfe der UN, die
       > Aufnahmebereitschaft Deutschlands und „Triton“.
       
   IMG Bild: Flüchtlingslager in Al Zaatari, Jordanien
       
       taz: Herr Guterres, die UN stellen ihre Hilfe für Syriens Nachbarstaaten
       jetzt von akuter Not- auf langfristige Entwicklungshilfe um. Sie glauben
       also nicht mehr an eine absehbare Rückkehr der Flüchtlinge. Wie kommt das
       in Ländern wie Libanon oder Jordanien an, die Millionen Menschen
       aufgenommen haben? 
       
       António Guterres: Wir haben die neuen Hilfspläne in enger Kooperation mit
       den Regierungen der Nachbarländer erstellt. Sie erkennen an, dass es keine
       schnellen Lösungen für das Problem geben wird. Deshalb ist nicht nur
       humanitäre Nothilfe, sondern langfristige Unterstützung nötig. Wir glauben,
       dass das die Akzeptanz der Flüchtlinge in den Aufnahmegesellschaften nicht
       verringern, sondern verbessern wird.
       
       Wie soll das funktionieren? 
       
       In den Aufnahmeregionen sind Infrastruktur, Krankenhäuser, Schulen komplett
       überlastet. Durch die Flüchtlinge steigen die Miete und die Preise, es gibt
       zu wenig Jobs und dadurch sinkende Löhne. Die lokale Bevölkerung leidet
       zunehmend darunter. Dagegen werden wir etwas tun.
       
       Jenseits unserer Hilfspläne gibt es dabei noch eine strukturelle Dimension:
       Jordanien und der Libanon sind bislang von der internationalen
       Entwicklungszusammenarbeit ausgeschlossen, weil sie als Schwellenländer
       gelten. Das ist nicht mehr haltbar. Sie müssen eine hohe Priorität für
       Entwicklungszusammenarbeit bekommen und somit bilaterale Hilfe erhalten
       können. Das ist unser politisches Ziel.
       
       Sie betonen, dass syrische Flüchtlinge gegenüber anderen Krisenopfern bei
       Hilfslieferungen pro Kopf nicht bevorzugt werden. Die hohe Aufmerksamkeit
       für die syrische Krise führt aber dazu, dass für sie mehr und für andere
       Konflikte entsprechend weniger gegeben wird. Hilfsorganisationen in Afrika
       klagen deshalb über massive Unterfinanzierung. Was tun Sie dagegen? 
       
       Es ist wahr, dass Syrien mehr Aufmerksamkeit bekommt und es deswegen
       hierfür mehr feste Mittel und für andere Konflikte weniger gibt. Wir helfen
       uns derzeit mit Einsparungen der vergangenen Jahre. Seit 2005 haben wir
       unser Personal in Genf um ein Drittel reduziert, unsere
       Verwaltungskostenquote stark gesenkt. Das hat Mittel freigesetzt, die wir
       jetzt für die vergessenen Konflikte bereitstellen. Im Südsudan, wo derzeit
       sudanesische 200.000 Flüchtlinge leben, haben wir auf diese Weise im
       laufenden Jahr 15 Millionen Dollar zusätzlich ausgeben können.
       
       Das wird auf Dauer kaum so weitergehen. 
       
       Deswegen setzen wir darauf, dass die internationale Gemeinschaft sich
       großzügig zeigt und ihre Anstrengungen erhöht.
       
       Sie loben Deutschland dafür, insgesamt 80.000 Syrien-Flüchtlinge
       aufgenommen zu haben. Nur 30.000 durften aber legal einreisen. Die anderen
       kamen auf eigene Faust und mussten enorme Risiken eingehen: Illegal in die
       EU einreisen und sich dann verbotenerweise hierher durchschlagen. Viele
       Menschen sterben auf dem Weg über das Mittelmeer. Ist Lob da angebracht? 
       
       Natürlich muss es bessere Zugänge für Flüchtlinge nach Europa geben, das
       fordern wir seit Langem. Es bedarf einer flexibleren Visapolitik, es muss
       auch humanitäre Visa für Asylanträge geben, deutlich mehr Plätze in den
       Aufnahmekontingenten, Familienzusammenführungen. Wäre das der Fall, müssten
       viele Flüchtlinge keine gefährlichen Routen mehr nutzen. Aber Lob ist sehr
       wohl angebracht: Deutschland hat eine beachtenswerte Leistung gezeigt.
       
       Deutschland ist gemessen an der Einwohnerzahl das größte Land Europas und
       hat gerade mal 0,8 Prozent der insgesamt 10 Millionen syrischen Flüchtlinge
       aufgenommen. 
       
       Wenn alle Staaten so viele Syrien-Flüchtlinge aufnehmen würden wie
       Deutschland, wäre das ein fundamentaler Beitrag zur Entspannung der Lage.
       Etwa 10 Prozent der rund 3 Millionen Syrien-Flüchtlinge, 300.000 Menschen,
       die wir außerhalb des Landes registriert haben, sind besonders verletzlich.
       
       Was bedeutet das? 
       
       Es handelt sich etwa um unbegleitete Kinder, Kranke, Schwangere, ältere
       Menschen. Sie brauchen besonderen Schutz. Wir wollen deshalb, dass sie von
       anderen Ländern im Resettlement-Verfahren aufgenommen werden.
       
       Das dürfte schwierig werden: Schon vor dem Syrienkrieg standen konstant
       etwa 800.000 Menschen weltweit auf der Warteliste für dieses humanitäre
       Umsiedlungsprogramm, und Sie haben jedes Jahr nur gut ein Zehntel davon
       unterbringen können. 
       
       Vor dem Syrienkrieg gab es jedes Jahr etwa 100.000 Resettlement-Plätze für
       Flüchtlinge weltweit. Die meisten stellten traditionell die USA bereit, die
       Übrigen kamen vor allem von Ländern wie Kanada und Australien.
       
       Deutschland hingegen hielt sich da immer sehr zurück. 
       
       Deutschland hat aber jetzt im Zuge der Syrienkrise 30.000 humanitäre
       Aufnahmeplätze bereitgestellt, im Verhältnis zur Einwohnerzahl sind das
       fast so viele wie die USA. Täten das alle Länder, hätten wir viele Probleme
       nicht mehr.
       
       In den letzten Monaten sind rund 3.000 Flüchtlinge, darunter viele Syrer,
       im Mittelmeer ertrunken, es ist eine Rekordzahl. Eine der Ursachen ist die
       Einstellung der italienischen Seerettungsmission „Mare Nostrum“. Der
       deutsche Minister für Entwicklungshilfe, Gerd Müller, hat jetzt die als
       Ersatz seit November laufende Frontex-Mission namens „Triton“ der EU als
       unzureichend kritisiert. Hat er recht? 
       
       „Triton“ ist nicht als Ersatz für „Mare Nostrum“ konzipiert, das hat der
       Frontex-Chef letzte Woche noch einmal selbst gesagt. Es ist keine
       Seerettungsmission, sondern Grenzmanagement, und deckt nur die
       unmittelbaren Küstengewässer ab. „Mare Nostrum“ war eine italienische
       Initiative und hat Italien viel Geld gekostet …
       
       … das die EU nicht erstatten will. 
       
       Die EU muss für das Jahr 2015 eine robuste Seerettungsmission organisieren.
       „Triton“ kann das nicht sein. Ob es etwas Neues ist oder ob „Mare Nostrum“
       wiederaufgenommen und von der EU finanziert wird, ist uns egal.
       Entscheidend ist, dass die Seerettung garantiert wird. Sonst werden wir
       weiterhin Zeugen vieler Tragödien vor Lampedusa sein.
       
       22 Dec 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christian Jakob
       
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