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       # taz.de -- Laurie Penny über Feminismus: Frauen ist nicht erlaubt, rumzuvögeln
       
       > Die Journalistin beschreibt in ihrem neuen Buch, wie Frauen über ihre
       > Sexualität kontrolliert werden und weshalb Liebe unsere neue Religion
       > geworden ist.
       
   IMG Bild: Frauen zeigen sich selbstbewusst bei der Gay Pride in Sao Paulo.
       
       taz: Frau Penny, in Ihrem neuen Buch „Unspeakable Things. Sex, Lies and
       Revolution“ vergleichen Sie die Idee von romantischer Liebe mit der
       Religion, die Marx als „Opium fürs Volk“ beschrieb. Wie kommen Sie darauf? 
       
       Laurie Penny: Unser Verständnis der romantischen Liebe hat religiöse
       Qualität. Statt Gott sind wir einander treu. Als Frau, vor allem als junge,
       heterosexuelle Frau, ist es ketzerisch zu sagen, dass man nicht an dieses
       Konzept glaubt. Unsere Selbstbestätigung hängt davon ab, ob wir den
       perfekten Partner finden. Scheitern wir, so gelten wir gesellschaftlich als
       minderwertig.
       
       Glauben Sie etwa nicht an die Liebe? 
       
       Ich glaube durchaus an die Liebe und die Romantik. Aber nicht so, wie uns
       täglich eingeredet wird. Ich lebe in einer Wohngemeinschaft mit Frauen und
       Männern. Wir sind nicht alle in Beziehungen, überlegen uns aber, wie wir
       gemeinsam Kinder aufziehen können oder die Finanzen organisieren. Meine
       Eltern haben kein Verständnis dafür, weil uns die Sprache für diese Liebes-
       und Lebensform fehlt. Aber wir benutzen für die Liebe ja auch nur ein
       einziges Wort. Die alten Griechen hatten verschiedene Ausdrücke für alle
       möglichen Formen der Liebe und daher auch andere Lebenskonzepte.
       
       Alternative Wohnformen sind bekannte, alte linke Konzepte. 
       
       Der Feminismus ist wieder viel linker als in den 1990er Jahren. Wir müssen
       über den unsichtbaren und nicht diskutierten Teil des Systems sprechen. Der
       Arbeitsbegriff wurde in der Vergangenheit immer mit Produktiv- oder
       Fabrikarbeit gleichgesetzt. Das ist falsch. Denn die Arbeit von Frauen, die
       bezahlte und unbezahlte, die Reproduktionsarbeit und die emotionale Arbeit
       müssen gewichtet werden. Auch in der ökonomischen Theorie und in der linken
       Politik. Die Linke hat die Geschlechterdebatte total aus den Augen
       verloren. Sehr zu ihrem eigenen Schaden.
       
       Wieso gibt es nur wenige Männer, die feministische Anliegen unterstützen? 
       
       Weil Feminismus nicht cool ist. Feministen müssen einstecken. Sie gelten
       als unmännlich im herkömmlichen Sinn und gehen ein Reputationsrisiko ein.
       Für Männer, die wirklich bereit sind, sich mit den Anliegen der Frauen zu
       identifizieren, habe ich unendlich Geduld. Denn sie zeigen wahren Mut und
       stellen die eigenen Privilegien in Frage.
       
       Sprechen wir über die Rolle der Männer in der Gesellschaft. Sie schreiben,
       Männer brauchen den Feminismus. Weshalb? 
       
       Männer sind oft unglaublich einsam. Täglich müssen sie beweisen, dass sie
       aus sich selbst heraus stark und mächtig sind. Sie sind in einer von
       feindlicher Männlichkeit geprägten Welt gefangen.
       
       Feindliche Männlichkeit? 
       
       An Männlichkeit an sich ist grundsätzlich nichts falsch. Das Problem ist
       die vorherrschende soziale Konstruktion von Männlichkeit. Dort haben wir
       zunehmend einen Konflikt: Viele Männer möchten mit den Frauen auf Augenhöhe
       leben, das heißt verhandeln und auch mal zurückstecken, während sie in den
       dominierenden Männlichkeitsbildern noch immer die Helden der Geschichte
       sind: mächtige, unabhängige und starke Charaktere, die keine Niederlagen,
       sondern nur Erfolge erleben. Das ist verwirrend, weil sich dieses Bild
       nicht mehr mit der Realität deckt. Der Erfolg ist aber für viele Männer
       längst nicht mehr greifbar.
       
       Feminismus wird heute als Schimpfwort verstanden, als männerfeindlich
       wahrgenommen. Neulich sagte einer zu mir: Nenn dich bloß nicht Feministin,
       sonst findest du keinen Mann. 
       
       Dieser Satz ist großartig. Genau deshalb nenne ich mich Feministin. Es regt
       die Leute auf, und diesen Dialog müssen wir führen.
       
       In Ihrem Buch fordern Sie eine Meuterei der Frauen. 
       
       Ja, denn wir müssen verstehen, dass immer brav, nett und angepasst sein ein
       Spiel ist, das keine gewinnt. Und wenn die Hauptkritik am Feminismus
       lautet, dass Männer einfach keinen Feminismus mögen, entgegne ich, darum
       geht’s beim Feminismus nicht. Feminismus ist schließlich nicht dazu da,
       dass ihr euch gut fühlt. Wir müssen den Feminismusbegriff bewusst weiter
       verwenden, solange er stört.
       
       Sie schreiben, die Frauen hätten Angst vor ihrer eigenen Wut. 
       
       Ja, das haben sie. Es gibt massive Probleme in unseren Leben als Frauen und
       als Queers. Persönlich, also in der eingeschränkten Art, in der es heute
       möglich ist, Frau zu sein, aber auch in den weiteren gesellschaftlichen
       Strukturen, sprich im Neoliberalismus. Dieses System funktioniert nur, weil
       wir Frauen auf der ganzen Welt die uns zugedachte Rolle wahrnehmen und
       ausgebeutet werden, indem wir unbezahlte oder schlecht bezahlte Arbeit
       leisten.
       
       Auch Sie selbst werden in der Öffentlichkeit und im Internet heftig
       angefeindet. Wie gehen Sie damit um? 
       
       Als exponierte Frau mit einer politischen Meinung wirst du sexistisch
       beschimpft. Man sagt dir, du hättest es herausgefordert. So, wie es heute
       wieder salonfähig ist, Frauen in kurzen Röcken zu mahnen: „Vorsicht, damit
       provozierst du die Männer.“ Wir müssen darüber sprechen, warum diese
       Argumentation scheiße ist.
       
       Frauen in kurzen Röcken werden eben häufig begehrt. Ist dieses Begehren
       denn bereits sexistisch? 
       
       Nicht der Sex ist das Problem, sondern der Sexismus: wenn das Begehren
       einseitig ist und über eine Vergegenständlichung dazu führt, dass Frauen zu
       Objekten werden. Das ist meist der Fall, es ist nichts anderes als
       Unterdrückung.
       
       Inwiefern? 
       
       Wir bemerken den Sexismus nicht mehr, weil unsere Gesellschaft glaubt, sie
       sei sexuell befreit. Wir sitzen hier in Soho, dem Quartier der Schwulen und
       der Sexarbeiterinnen. Aber selbst hier hat die sexuelle Revolution nie
       stattgefunden. Weil es den Frauen und den Queers nach wie vor nicht erlaubt
       ist, Begehren in der gleichen Art auszudrücken und auszuleben wie den
       Männern – und wahllos rumzuvögeln.
       
       Daher der Buchtitel „Unspeakable Things“? Über Begehren dürfen nur Männer
       sprechen? 
       
       Genau. In einer ersten Version des Buchs hatte ich mehr Sex und Sexszenen
       drin. Ich habe alles rausgestrichen; mein Innerstes habe ich aus dem Buch
       rausgestrichen. Und mich später gefragt: Wieso habe ich das gemacht? Weil
       es einfacher ist, als Frau über sexuelle Gewalt zu sprechen, sogar über
       sexuelle Gewalt, die ich persönlich erlebt habe, als über meine positiven
       sexuellen Erfahrungen. Über uns Frauen wird viel schneller und härter
       geurteilt.
       
       Weshalb werden Frauen stärker moralisiert? 
       
       Weil man uns über unsere Sexualität kontrolliert. Weibliche Sexualität wird
       immer problematisiert. Schauen Sie sich die Debatten über Verhütung und
       Abtreibung in den USA an: Es wird Krieg geführt gegen die freie Sexualität
       von Frauen. Weibliches Begehren hat keinen Raum in der politischen
       Diskussion. Frauen, die fordern und sexuell begehren, sind gefährlich.
       
       Kommt daher auch der erbitterte Widerstand gegen die Prostitution? 
       
       Ja, wir sind beherrscht von der Idee, dass die weibliche Sexualität ein
       Verhandlungsdruckmittel sei. Sexarbeiterinnen drücken in dieser Vorstellung
       den Preis, weil sie Sex zu billig verfügbar machen. Sex ist etwas, was
       Männer den Frauen antun. In unserer gesellschaftlichen Vorstellung wollen
       wir aber nicht, dass es leicht ist, Sex zu haben. Wir alle müssen für Sex
       bezahlen, aber nicht mit Geld. Frauen handeln Sex gegen Wohlstand,
       Wohlbefinden oder Sicherheit. Die Prostitution bedroht diese
       gesellschaftliche Konzeption.
       
       Ist es möglich, über benachteiligte oder stigmatisierte Frauen, also
       beispielsweise Sexarbeiterinnen, zu sprechen, ohne selbst betroffen zu
       sein? 
       
       Selbstverständlich kann ich über bestimmte benachteiligte Gruppen sprechen,
       solange ich nicht für sie spreche. Das ist der Vorteil am Internet: Wenn
       ich mich zu einer bestimmten Gruppe äußere, kann ich davon ausgehen, dass
       diese Leute zuhören und sich wehren. Schreibe ich etwas Falsches über
       Sexarbeiterinnen, melden die sich fünf Minuten später und sagen mir:
       Laurie, du bist eine Idiotin. Das ist es, was der Feminismus will. Nicht
       rumbrüllen. Nicht rumschreien. Sondern einen Dialog führen.
       
       23 Dec 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Natascha Wey
       
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