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       # taz.de -- Pegida-Demonstration in Dresden: „Ich geh ooch ma zum Döner“
       
       > Alles gibt es bei Pegida: Professoren, Polizisten, Hausfrauen – da sind
       > sich die Pegida-Demonstranten einig. Alles außer Nazis.
       
   IMG Bild: „Wir Deutschen waren immer die Gearschten“: Pegida-Demo am Montag
       
       DRESDEN taz | Dresden am Montagabend. An die 15.000 Menschen haben sich zum
       Schweigemarsch der „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des
       Abendlandes“ (Pegida) versammelt. Deutschlandfahnen wehen im milden
       Abendwind, dazu ein paar Sachsenfahnen, einige tragen Transparente wie
       „Keine Scharia in Europa“. Die Menge skandiert „Wir sind das Volk“ und
       „Lügenpresse, Lügenpresse“ – ein Wort, das man von rechtsextremen
       Aufmärschen kennt, wo es sich auf „auf die Fresse“ reimt. Bei Pegida geht
       es gemäßigter zu, „Lügenpresse“ wird nur wiederholt – es klingt auch so
       hasserfüllt.
       
       Wer als Journalist über Pegida berichten will, hat es nicht leicht. Alle
       Kollegen, die dies in den vergangenen Wochen versucht haben, machten die
       Erfahrung, dass kaum einer der Demonstranten redet. Auch ich sehe Kollegen,
       die fast verzweifelt versuchen, Gesprächspartner zu finden. Ich gehöre
       heute nicht zu ihnen. Ich werde die Demo mitlaufen. Ich werde den Rednern
       applaudieren und einige Male sogar in den „Wir sind das Volk“-Chor
       einstimmen. In meiner Jacke klemmt eine kleine Deutschlandfahne, in der
       Tasche habe ich eine Legende: Ich komme aus Berlin und bin hier, weil ich
       mir selber ein Bild machen wollte. Weil man den Medien ja nicht glauben
       kann.
       
       Die Ersten, die ich anspreche, sind zwei Frauen Ende dreißig. Sie haben
       sich beide in Deutschlandfahnen gehüllt, unter ihren Schals blinken
       dunkelrote Lichter, die an die Teufelshörnchen erinnern, die AC/DC-Fans
       gern tragen. Die eine hat ihre wasserstoffblonden Haare zu einem Zopf
       gebunden, die andere hat reichlich Parfum aufgetragen, eher Rossmann als
       Chanel, sparen muss man da nicht.
       
       Sie finden es gut, dass ich mich nicht auf die Medien verlassen möchte. Die
       würden ja alle zu Nazis abstempeln. Zu Unrecht? „Guck dich doch mal um, wir
       sind ganz normale Leute“, sagt die Wasserstoffblonde mit breitem
       sächsischen Akzent. „Wir sind für unsere Kultur und unsere Sitten, wir
       wollen, dass sich die Ausländer integrieren“, ergänzt ihre Freundin. Ich
       antworte, dass ich aus Berlin komme. Das genügt schon, um sie erschaudern
       zu lassen. „Du Ärmster“, sagt eine. „Wir demonstrieren dafür, dass es in
       Dresden nicht erst so weit kommt wie in Neukölln. Bei 50 Prozent Ausländern
       ist es zu spät.“
       
       Ich frage noch mal nach den Nazis. „Hier sind vielleicht 20, 25 Nazis, mehr
       nicht“, meint Rossmann N° 5. Und woran erkennt man die? „Die rufen
       ,Ausländer raus!' Aber die Orga-Leute achten darauf, dass das keiner macht.
       Und ich seh das ja auch nicht so, ich geh ooch ma zum Döner.“
       
       ## Es reichen Andeutungen
       
       Dann beginnt die Kundgebung. Zuerst spricht Lutz Bachmann, der Wortführer
       von Pegida. Er geht die Politiker durch, die in der vergangenen Woche
       Pegida kritisiert haben, von Bundespräsident Joachim Gauck über
       Justizminister Heiko Maas bis zur Dresdener Oberbürgermeisterin Helma
       Orosz. Eine Art kommentierte Presseschau, wobei die Menge schon bei der
       bloßen Nennung der Namen „Pfui“ ruft. Merkel habe von Abstiegsängsten
       geredet, sagt Bachmann und lacht. „Abstiegsängste werden in Zukunft ganz
       andere bekommen!“, ruft er, „Jawoll!“, schallt es zurück.
       
       Dann tritt Kathrin Oertel vom Pegida-Führungsteam ans Mikrofon. Sie
       wiederholt die Devise, nicht mit der Presse zu sprechen: „Kein Wort zu den
       Hetzern, die sich unter uns verborgen haben.“ Die Zuhörer johlen und
       klatschen. Schließlich spricht eine Frau aus Chemnitz. „Wir wollen
       friedlich und im Dialog bleiben“, sagt sie und zum ersten Mal ist so etwas
       wie Unmut zu spüren. Aber sie kriegt die Kurve: „Ganz Deutschland schaut
       auf euch, ihr hier in Dresden seid die Hoffnung für Hunderttausende.“ Das
       kommt wieder gut an.
       
       Bei der Stelle mit dem Dialog hatte ein Mittzwanziger gerufen: „Das geht
       mit denen nicht!“ Dabei hatte die Rednerin gar nicht erwähnt, wer „die“
       sind. Doch hier genügen offenbar Andeutungen. Der Mann hat eine Bierflasche
       in der Hand, seiner Fahne nach zu urteilen ist das nicht seine erste. Er
       steht mit einer Gruppe von Freunden zusammen: Kapuzenjacken, kahl
       geschorene Schädel, Tätowierungen. Sind sie Nazis?
       
       „Hier sind keine Nazis“, antwortet der mit der Alkoholfahne. „Ich bin
       Maler, hier gibt es Professoren, Polizisten, Hausfrauen – alles.“ Offenbar
       gilt Nazi hier als eigener Beruf. Ein anderer aus der Gruppe mit den
       tätowierten Unterarmen ergreift das Wort: „Ich bin nicht gegen alle
       Ausländer. Wir kommen aus einem Dorf hier bei Dresden, da gibt es einen
       Dönermann, ein Türke. Der arbeitet hart und ist anständig. Der ist in
       Ordnung.“
       
       ## „Es ist alles wie 1989“
       
       Inzwischen hat sich der Demonstrationszug in Bewegung gesetzt. Es geht
       durch dunkle Nebenstraßen, gelegentlich sieht man aus der Ferne die
       Gegendemonstranten. Mehrere Tausend sollen es sein. Ineinander eingehakt
       läuft ein Pärchen um die 50. Er mit schickem Seidenschal, sie in elegantem
       Mantel. Sie könnten auf dem Weg in die Semperoper sein, sind aber aus
       Erfurt zur Pegida-Demonstration angereist.
       
       „Es gibt keine Partei mehr, die Politik für das Volk macht, außer
       vielleicht die AfD“, sagt die Frau und ist zufrieden, dass heute auch der
       stellvertretende AfD-Vorsitzende Alexander Gauland mitläuft. „Es ist alles
       wie 1989“, sagt ihr Mann. „Das Volk ist wieder auf der Straße, während die
       Herrschenden und ihre Propagandaorgane verzweifelt versuchen, uns zu
       diffamieren. Aber ich sehe hier keine Nazis.“ Das Wort „diffamieren“ hatte
       die Rednerin erst im dritten Versuche fehlerfrei ausgesprochen, dieser Herr
       meistert es ohne Mühe.
       
       Ein paar Meter weiter läuft ein anderes Pärchen: Sie trägt eine schwarze
       Bomberjacke und Piercing an den Augenbrauen, er ist Mitte dreißig in grauer
       Armeejacke, Glatze und Vollbart. Typ Nazi-Türsteher, könnte man vermuten.
       „Klar, bin ich Nazi, wir sind alle Nazis“, sagt er grinsend, seine Freundin
       lacht. Meint er das ernst? „Ach, hör mir uff, du brauchst bloß sagen, du
       bist deutscher Patriot und schon kommen die mit der Nazikeule.“ Wer sind
       denn die? „Na die Medien, die Volksverräter, die sich Volksvertreter
       nennen.“ „Die echten Nazis sind die Salafisten mit ihrer Scharia“, ergänzt
       seine Freundin. „Und die linken Deutschlandhasser.“
       
       ## Nationalhymne als Zeitvertreib
       
       Der Demonstrationszug ist inzwischen zum Halten gekommen. Was da los ist,
       will ich von einem Mittvierziger in brauner Lederjacke wissen. „Vielleicht
       wieder eine Sitzblockade von Linken. Oder Journalisten, die mit ihren Autos
       den Weg zugeparkt haben.“ Einen guten Ruf haben Journalisten hier wirklich
       nicht. „Die wollen uns für dumm verkaufen“, sagt er. „Aber das geht
       heutzutage nicht mehr so einfach. Es gibt das Internet – und es gibt ein
       paar mutige Leute, die die Wahrheit aufschreiben. Udo Ulfkotte oder Thilo
       Sarrazin. Ich habe überprüft, was der geschrieben hat, da stimmt alles.
       Alles Fakten“, sagt er und blickt mich an, als sei der Name Sarrazin ein
       Gesinnungstest.
       
       „Ja, der hatte viele Zahlen“, antworte ich und bestehe den Test. „Du
       siehst: Wir sind ganz normale Leute. Wie 1989. Auch damals hat alles
       eigentlich in Dresden angefangen, nicht in Leipzig, wie das später verdreht
       wurde.“ Ich merke: In dieser Welt wimmelt es nur so von „Verdrehungen“. Das
       gilt für viele Themen. Zum Beispiel Putin (findet man gut) oder den Euro
       (findet man nicht gut).
       
       Aber ist das heutige politische System nicht ein ganz anderes als das der
       DDR? „Ich wurde damals sogar verhaftet. Aber heute denke ich: Im Vergleich
       zum BRD-System war die DDR harmlos. Die Herrschenden heute sind viel
       schlauer. Und sie hassen Deutschland. Die DDR war nicht so antinational.
       Und wir sind dort sehr behütet aufgewachsen.“
       
       Die Menge vertreibt sich die Zeit mit dem Singen der Nationalhymne. Dass
       die Route diesmal kürzer ist und von der Abschlusskundgebung nur wegen
       technischer Probleme noch nichts zu hören ist, dringt nicht bis zu uns
       durch. Hier glaubt man an eine Störung durch Gegendemonstranten. „Das waren
       beim letzten Mal höchstens 2.000, keine 10.000, wie die Medien geschrieben
       haben“, sagt eine Frau Anfang dreißig aus der Gruppe. Mit ihren weinrot
       gefärbten, langen Haaren und der engen roten Jacke würde sie unter den
       Gegendemonstranten nicht auffallen. „Wenn wir wollen würden, könnten wir
       die überrollen“, sagt sie. „Für mich sind das bezahlte, arme Schweine, die
       kriegen zehn Euro die Stunde.“ Woher sie das weiß? „Steht offiziell im
       Internet.“
       
       ## Eine ganz bestimmte Interessengruppe
       
       „Und die Leute hier? Sind die alle in Ordnung?“, frage ich und füge hinzu:
       „Mit Nazis will ich nichts zu tun haben, die haben genug Unheil über unser
       Land gebracht.“ Jetzt übernimmt wieder der freundliche Mann in der
       Lederjacke das Wort: „Wenn man da ins Detail geht, wird man sehen, dass da
       auch nicht alles so war, wie es immer heißt. Ich sag mal: Wir Deutschen
       waren immer die Gearschten, beim Ersten Weltkrieg, beim Zweiten und heute
       wieder.“
       
       Inzwischen hat Bachmann mit der Abschlussrede begonnen, unser Gespräch wird
       immer wieder durch Sprechchöre unterbrochen. Aber wenn nicht Hitler Schuld
       war am Krieg, wer dann? „Die Sieger schreiben die Geschichte“, sagt die
       Frau. „Immer nur die Sieger.“ Dann ergänzt der Mann: „Es gab eine bestimmte
       Interessengruppe. Die war damals mächtig und ist es heute auch. Du musst
       nur ein bisschen nachforschen, dann wirst du es selber herausfinden. Ich
       sag nur: Jeder kennt sie.“
       
       Jetzt ist Bachmann fertig und ruft wie immer zum Schluss die Teilnehmer
       dazu auf, ihre Telefone zu zücken. Tausende Handys leuchten in den Dresdner
       Abendhimmel. Nazihandys wurden keine gesichtet.
       
       16 Dec 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Deniz Yücel
       
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