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       # taz.de -- Flüchtlingspolitik in Baden-Württemberg: Grün-Rot schiebt Roma ab
       
       > Zuletzt hatte Ministerpräsident Kretschmann eine „humane
       > Abschiebepolitik“ versprochen. Nun wurden trotzdem 83 Balkan-Flüchtlinge
       > abgeschoben.
       
   IMG Bild: Kein Winterabschiebestopp: Baden-Württembergs Ministerpräsident Kretschmann
       
       STUTTGART taz | Um 15.45 Uhr endete am Dienstag für 83 Menschen, darunter
       auch Kinder, ihre Hoffnung auf ein besseres Leben in Deutschland: Ihr
       Flieger hob ab. Sie wurden vom Baden-Airpark in Baden-Württemberg nach
       Serbien und Mazedonien abgeschoben. Nach Behördenangaben handelt es sich
       vor allem um Sinti und Roma.
       
       „Wir nehmen die Abschiebepraxis keinen Tag länger unbeantwortet hin!“,
       heißt es auf der Webseite der Initiative Grenzenlos – Bündnis gegen
       Abschiebungen im Südwesten Deutschlands. Für den Abend war eine
       Demonstration in Karlsruhe angekündigt. Auch am Flughafen demonstrierten
       wenige Menschenrechtler gegen die Abschiebungen. „Der Skandal ist, dass
       CDU-Regierungen in anderen Bundesländern einen Winterabschiebestopp
       hinkriegen und Grün-Rot nicht“, sagt Kai Schmidt aus Karlsruhe, der vor Ort
       bei den Demonstrationen dabei war.
       
       Ist das die „humane Abschiebepolitik“, von der Kretschmann beim
       Bundesparteitag sprach? „Ja“, sagt Manne Lucha von der
       Grünen-Landtagsfraktion, der eine Projektgruppe der Grünen zur Asylpolitik
       leitet. Mit der Zustimmung von Ministerpräsident Winfried Kretschmanns
       (Grüne) zum Asylkompromiss hätten die aktuellen Abschiebungen nichts zu
       tun, sagt er. „Das sind alles einzelfallgeprüfte Leute. Die standen auch
       schon nach altem gültigem Recht zur Abschiebung an.“
       
       Nur 26 der Menschen wurden vom Land Baden-Württemberg abgeschoben, die
       übrigen 57 kamen aus anderen Bundesländern. Eigentlich sollten laut
       Regierungspräsidium Karlsruhe allein aus Baden-Württemberg 76 Menschen
       abgeschoben werden. Wenn die Polizei zur Abholung kommt, sind viele von
       ihnen aber einfach nicht da. Einer einzelfallgeprüften Abschiebung geht ein
       langes Verfahren voraus. Die Betroffenen erhalten vorher bereits eine
       Ausreiseaufforderung.
       
       Ein Sprecher der Polizei in Offenburg sagte, viele dieser Menschen hätten
       Anwälte und seien in der Regel darüber informiert, wann die Abschiebung
       droht. Kai Schmidt, der gegen die Abschiebungen demonstrierte, berichtet
       Gegenteiliges: Die Benachrichtigungen kämen verzögert bei den Betroffenen
       an, weil sie zum Beispiel in einem Flüchtlingsheim keinen eigenen
       Briefkasten hätten. Am Dienstag sei eine Anwältin zur Demo am Flughafen
       gekommen und habe erst dort erfahren, dass einer ihrer Mandanten im
       Flugzeug sitze.
       
       ## „Keine Abschiebungen in die Kälte“
       
       Statt ursprünglich zwei vorgesehenen Flugzeugen flog letztlich nur eines,
       mit Zwischenstopp in Belgrad, Serbien, nach Skopje, Mazedonien. Der Flug
       wird laut Regierungspräsidium Karlsruhe von Behördenvertretern begleitet,
       auch Ärzte seien an Bord. Am Ziel würden die Menschen an Organisationen
       übergeben, mit denen man vorher Kontakt aufgenommen habe.
       
       „Das sind keine Abschiebungen in die Kälte“, sagt auch Manne Lucha. Man
       müsse sich darauf verlassen, dass von den Behörden die Bleibegründe
       ordentlich geprüft worden seien. „Und wir haben keine gegenteiligen
       Anzeichen“, sagt Lucha. Er versichert, dass die Grünen diese Prüfungen mit
       Adlersaugen begleiten.
       
       Das Innenministerium in Baden-Württemberg weigert sich bislang offenbar,
       einen Winterabschiebestopp zu verhängen. Lucha kann nur von einem
       vergleichsweise kleinen Verhandlungserfolg berichten: Zwischen Weihnachten
       und dem 6. Januar werde niemand abgeschoben, sagt er. Die Grünen würden
       aber weiter mit dem Ministerium verhandeln. Der Innenminister Reinhold Gall
       (SPD) flog ebenfalls nach Serbien, nach Angaben seines Ministeriums, um
       sich selbst ein Bild von der Situation vor Ort zu machen.
       
       ## „In höchstem Maße inhuman“
       
       Karin Binder, Bundestagsabgeordnete der Linken aus Karlsruhe, kritisiert:
       „Wohlwissend, dass die von Deutschland abgeschobenen Roma in Serbien nicht
       willkommen sind, stigmatisiert und diskriminiert werden, verfrachtet man
       diese Menschen mitten im Winter in eine ungewisse Zukunft. Das ist in
       höchstem Maße inhuman.“ Auch die evangelischen Landesbischöfe in
       Baden-Württemberg, Jochen Cornelius-Bundschuh und Frank Otfried July,
       verlangt einen vorläufigen Abschiebestopp. „Wir sind dafür, dass über die
       Winterzeit niemand abgeschoben werden sollte.“
       
       Mitte des Jahres hielten sich laut Innenministerium rund 12.000 geduldete,
       also „vollziehbar ausreisepflichtige Personen“ in Baden-Württemberg auf. Am
       häufigsten wird von einer Abschiebung abgesehen, weil Pässe fehlen oder die
       Menschen psychisch krank sind. Bis zum Stichtag 18.09.2014 wurden in
       Baden-Württemberg 926 Personen abgeschoben.
       
       9 Dec 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Lena Müssigmann
       
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