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       # taz.de -- Pegida-Demonstration in Dresden: Die Tiraden der Generalverbitterten
       
       > Erneut gehen Tausende auf die islamophobe Pegida-Demonstration.
       > Inzwischen distanzieren sich alle Parteien – nur die AfD bekundet
       > „Sympathie“.
       
   IMG Bild: Selbstgefälliger Großartigkeitsmythos: Pegida-Demonstranten in Dresden
       
       DRESDEN taz | „Dresden zeigt, wie es geht!“ Hinter diesem Slogan der
       „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ (Pegida)
       steckt nicht nur der selbstgefällige lokale Großartigkeitsmythos, sondern
       auch das Selbstbewusstsein, Politiker aufgescheucht zu haben. Die hatten
       nach Pegida-Einschätzung nicht mit spontanem Volkszorn dieses Ausmaßes
       gerechnet. Es sei schon erschreckend, dass sich so viele misstrauische
       Leute in der von demokratischen Parteien bestimmten Politik nicht mehr
       wiederfänden, kommentierte der Politikwissenschaftler Werner Patzelt von
       der TU Dresden.
       
       Die ersten Reaktionen des offiziellen Sachsens waren reflexartig.
       Innenminister Markus Ulbig (CDU), eigentlich ein besonnener Mann mit klaren
       Positionen gegen rechts, entdeckte plötzlich Kriminalität im Umfeld von
       Asylbewerberheimen – und stellte eine Sondereinheit der Polizei auf. Prompt
       warf ihm die Linken-Landtagsabgeordnete Juliane Nagel „Verständnis für
       Hetze gegen Asylsuchende“ vor.
       
       Nicht nur die – unbestreitbare – Präsenz von Hooligans, Kameradschaften und
       NPD-Anhängern führt dazu, dass Pegida-Demonstranten in die Naziecke
       gestellt werden. Der Boden, auf dem die neue Bewegung wächst, ist der Basis
       der Rechtsextremen ziemlich ähnlich. Offiziell geht es nicht gegen
       Asylrecht, sondern gegen Asylmissbrauch, und nicht gegen den Islam, sondern
       gegen Islamisten.
       
       Doch die Stimmung unter den Beifallklatschern ist weit aggressiver.
       Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) und sein Stellvertreter Martin
       Dulig (SPD) schienen das zumindest zu ahnen, als sie zur Teilnahme an der
       Gegendemonstration aufriefen. In Sachsen sei kein Platz für Rassismus und
       Fremdenfeindlichkeit und Demonstranten sollten nachdenken, bei wem sie
       mitlaufen. Die AfD, die lange herumgeeiert hatte, rang sich daraufhin zu
       „Sympathie“ für Pegida durch.
       
       ## Hochschulen bangen um ihre Forscher
       
       Tillich und Dulig erklärten aber auch, man müsse die Sorgen und Ängste der
       Menschen ernst nehmen. Und so schwebt über den immer massiver werdenden
       Absperrketten von zuletzt 1.200 Polizisten zwischen 9.000 bis 10.000
       Pegida- und rund 9.000 Gegendemonstranten immer hörbarer das hehre Wort
       „Dialog“. Pegida wird es mit 1989 vergleichen, als die in die Enge
       getriebene SED plötzlich das Gespräch mit dem Volk suchte.
       
       „Wir müssen beides tun: Ein Zeichen dagegen setzen und möglichst ins
       Gespräch kommen“, so Wissenschafts- und Kunstministerin Eva-Maria Stange
       (SPD). Bei der äußerst heterogenen Zusammensetzung von Pegida sei es
       ratsam, weniger mit deren Köpfen zu reden als mit Bürgern vor Ort.
       
       Stange hatte am Montag die Spitzen der Dresdner Forschungs- und
       Hochschullandschaft sowie die Bühnenintendanten zu Gast. Dort herrscht
       inzwischen nicht nur Sorge um das Image der Stadt. Besonders die weltweit
       anerkannten Forschungsinstitute mit einem hohen Anteil ausländischer
       Wissenschaftler befürchten ein Umschlagen von Pegida in offenen
       Ausländerhass.
       
       Deshalb unterstützte auch die TU Dresden die Gegendemonstration. Allein vom
       Campus liefen 2.000 Studenten und Mitarbeiter mit bunten Luftballons zur
       Abschlusskundgebung. Mitorganisator Eric Hattke vom Studentenrat, gegen den
       im Internet wüste Gewaltdrohungen ausgesprochen worden waren, zeigte sich
       am Abend unbeeindruckt und ebenfalls gesprächsbereit.
       
       ## Beschimpfungen gegen Sachlichkeit
       
       Doch wie sollte man den Pegida-Demonstranten aufs Maul schauen und mit
       ihnen ins Gespräch kommen? Probiert hat es bislang nur die Landeszentrale
       für Politische Bildung mit einer gut besuchten Diskussion über das
       angeblich vor dem Halbmond zu rettende Abendland – aber alle eingeladenen
       Pegida-Vertreter waren plötzlich krank oder mussten arbeiten.
       
       Politikern, die sich bei den Pegida-Demos unter die Menge mischen oder gar
       ans Mikrofon zu treten versuchten, würde es vermutlich ähnlich ergehen wie
       Journalisten. Mit denen herrscht Redeverbot, und wer sich ausnahmsweise
       nicht daran hält, verfällt sofort in Polemik und Hysterie.
       
       Es zeigt sich, dass hier nicht nur Islam- und Asylkritiker stehen. Es sind
       die Generalverbitterten, die zu kurz Gekommenen, die Totalverweigerer
       dieser Gesellschaft, die hier Dampf ablassen. „Asylanten“ genießen ihrer
       Meinung nach Vollkomfort, während Deutsche bei der Arbeitsagentur „die
       Hosen runterlassen“ müssten. Und die ungezählten Salafisten störten den
       vermeintlichen Bürgerfrieden.
       
       Jeder sachliche Hinweis wird mit Beschimpfungen quittiert. Die Demokratie
       heute wird 1:1 mit dem SED-Regime 89 verglichen, Politiker sind generell
       Volksverräter, Behörden bescheißen nur, und die gleichgeschalteten linken
       Medien lügen ausschließlich. Sonst würden sie nämlich berichten, dass
       Ausländer meist kriminell sind, dass „Asylanten“ siebenmal so viel kosten
       wie Hartz-IV-Empfänger und dass in Deutschland der Dschihad tobt.
       
       „Fast alle Argumente von Pegida wären so leicht rational zu widerlegen“,
       seufzt der Dresdner SPD-Vorsitzende und Oberstaatsanwalt Christian
       Avenarius schon fast resigniert. Wem gelingt es, diese Mauer aus
       Desinformation, Vorurteilen und Schweigen zu durchbrechen? Da ist es nur
       ein schwacher Trost, dass die neue Bewegung am Montag fast ebenso viele
       Gegendemonstranten auf den Plan rief wie Anhänger.
       
       9 Dec 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Michael Bartsch
       
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