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       # taz.de -- Autonome sollen einer Moschee weichen: Zur Zurückhaltung gezwungen
       
       > In Wuppertal soll eine Moschee dort gebaut werden, wo das Autonome
       > Zentrum steht. Aus Angst vor Rechtsaußen vermeiden beide Seiten die
       > Konfrontation.
       
   IMG Bild: Die Kampagne der Autonomen läuft, doch zu nahe treten möchte man der Moscheegemeinde nicht.
       
       WUPPERTAL taz | Im Hof des im satten Gelbton gestrichenen Baus sind
       Bierbänke aufgestellt. Die weiß-blau karierten Tischdecken darauf erinnern
       ans Oktoberfest. Es ist Samstag früh, die Wuppertaler Moschee Merkez Camii
       feiert Gemeindefest. Die ersten Besucher kommen in einer Stunde. Nur Selim
       Mercan ist schon da. Das Vorstandsmitglied der Wuppertaler
       Türkisch-Islamischen Union (Ditib) sitzt im Büro neben dem Gebetssaal. Mit
       angezogenen Beinen hat er es sich auf einer Couch bequem gemacht. Er
       lächelt. „Wir helfen den Autonomen beim Umzug“, sagt er. Es klingt wie ein
       freundliches Angebot. Doch für die Autonomen ist der Satz auch eine
       Drohung.
       
       Die sechsspurige Einfallstraße Gathe im Stadtteil Elberfeld trennt die
       Moscheegemeinde vom Autonomen Zentrum (AZ). Das Gotteshaus mit seinem zur
       Straße hin offenen Innenhof fügt sich zurückhaltend in das Quartier, selbst
       das vor einigen Jahren neu gebaute Minarett reicht nicht über die
       Brandmauer des Nachbarhauses hinaus. Auch das AZ zeigt sich nach außen hin
       angepasst. Unauffällig, drei Stockwerke, verschnörkelter Fries in Weiß und
       Gelb, an der Fassade die Reste linker Plakate.
       
       Die muslimische Gemeinde möchte sich vergrößern und auf die andere Seite
       der Straße ziehen. Läuft es wie geplant, gehört auch das Grundstück, auf
       dem das AZ steht, bald ihnen. Erstaunlich zurückhaltend reagieren die
       Autonomen auf die Expansionsbestrebungen der konservativen Religiösen. In
       einem Aufruf wird sogar vom „legitimen Wunsch nach einem muslimischen
       Gotteshaus“ gesprochen. Zu groß ist die Angst, Applaus von Rechtsaußen zu
       erhalten.
       
       Dabei sind die inhaltlichen Differenzen groß. Ditib ist bekannt für seine
       Nähe zum türkischen Staat und dessen Präsidenten Erdogan. Ein Feindbild,
       nicht nur für die Linken in der Türkei, sondern auch für Linke in
       Deutschland.
       
       ## Schutz vor Nazis
       
       Ob Berlin-Heinersdorf, Leipzig oder München – fast kein
       Moschee-Neubauprojekt der vergangenen Jahre blieb ohne Störgeräusche aus
       der rechten Ecke. Dies in Wuppertal zu verhindern ist Autonomen und
       Muslimen Anliegen zugleich. Bei einem Aufzug der rechten Partei Pro NRW
       stand man schon zusammen auf der Straße. Für Mercan ist klar: „Als Schutz
       vor Nazis ist es für uns von Vorteil, wenn das AZ in der Nähe bleibt.“
       
       Im benachbarten Köln eskalierte der Streit um einen Moscheebau. Als
       zuständiger Projektleiter weiß Mercan das nur zu gut. Momentan versucht
       Wuppertals Naziszene die Situation um das AZ für sich zu nutzen. Wiederholt
       gingen die Rechten mit der Forderung nach einem „nationalen Jugendzentrum“
       auf die Straße – stets von Protesten ihrer linken Gegner begleitet.
       
       Ulrike Singer, die in Wirklichkeit anders heißt, sitzt in der Kneipe des AZ
       vor der Konzertbühne. Sie trägt eine schwarze Lederjacke, über die ihre
       langen blonden Haare fallen. Ihr halbes Leben hat sie im AZ verbracht,
       womöglich mehr Jahre, als die meisten der rund 50 Gäste alt sind. Auf dem
       Tisch vor ihr steht eine Vase mit drei roten Rosen, zu hören sind Hits der
       1980er Jahre.
       
       Ulrike lächelt über das ganze Gesicht, sagt aber auch entschieden: „Wir
       sind hier im Viertel verankert und akzeptiert.“ Hinter ihr hängt ein
       Transparent mit dem Bild eines Helden auf den Trümmern einer
       apokalyptischen Landschaft und der Aufschrift „Es wird ein Lächeln sein,
       das euch begräbt“.
       
       „AZ Gathe bleibt“, heißt die Kampagne, die die Position der Linken nach
       außen trägt. Die lila- und orangefarbenen Sticker kleben an jedem
       Laternenmast in dem Viertel, das sie nicht verlassen wollen. Mitte Oktober
       kamen 700 Menschen zu einer „Tanz- und Kampfdemo“. Viel für die Stadt mit
       ihren 340.000 Einwohnern und ein deutliches Zeichen für die Akzeptanz, die
       die Autonomen genießen.
       
       Singer kennt die Geschichte der Autonomen in der Stadt Friedrich Engels’.
       Nach Jahren des Häuserkampfs entstand 1990 das erste Zentrum an der Gathe,
       ganz legal, mit einem Mietvertrag der Stadt. Im Jahr 2000 zogen sie zu
       denselben Konditionen in das jetzige Gebäude, das neben zwei Kneipen auch
       Büroräume, etwa für die Rechtshilfeorganisation Rote Hilfe, beherbergt.
       „Wir wollen darüber reden, wie Nachbarschaft aussehen kann“, sagt sie.
       
       ## Schmuckstück für die Stadt
       
       Das geplante Gemeindezentrum soll auf etwa 5.000 Quadratmetern Platz für
       eine neue Moschee, Schulungsräume, Ladenlokale und betreutes Wohnen bieten.
       Ein zehn Millionen Euro teures Leuchtturmprojekt für die sichtbare
       Integration der größten islamischen Gemeinde der Stadt soll es sein. Und
       ein Schmuckstück für die Gathe, die der Lokalchef der Westdeutschen Zeitung
       in einem Kommentar aufgrund der sozialen Problemlagen und Anhäufung von
       Spielsalons als „Wuppertals vergessenste Straße“ bezeichnet hat.
       
       Ein erstes Grundstück, auf dem seit Jahren eine alte Tankstelle vor sich
       hin rottet, hat die muslimische Gemeinde bereits erworben. Zwei weitere
       Freiflächen sind ihr von der Stadt versprochen. Die letzte Fläche, die für
       die vollständige Realisierung des Vorhabens notwendig wäre, ist das
       Grundstück des AZ. Auch das gehört der Stadt. Mercan ist zuversichtlich,
       dass sie auch dieses verkauft.
       
       Die Autonomen dagegen hoffen auf eine Nachbarschaft Tür an Tür. Das ist
       auch der Grund dafür, dass sie sich einmal im Quartal mit Vertretern von
       Ditib an einen Tisch setzen. Die Linken hoffen, dass die Gemeinde auf das
       AZ-Grundstück verzichtet und ihr Zentrum direkt neben der Moschee
       verbleiben kann. Zwar zeigt sich Ditib gesprächsbereit, doch dem Wunsch der
       Autonomen möchte man nicht nachkommen. „Die Moschee ist ein Ort der Ruhe“,
       sagt der 38-Jährige. Ergo: Das AZ mit seinen lauten Punkkonzerten passt
       nicht direkt neben das neue Gemeindezentrum.
       
       Das sieht David J. Becher ganz anders. Der Schauspieler und Urwuppertaler
       ist Vorsitzender von „Utopiastadt“, einem Verein der sich für die Stärkung
       des Quartiers einsetzt. „Wenn wir es wirklich schaffen, dass AZ und Moschee
       nebeneinander existieren, dann kriegen wir alles andere auch hin“, sagt er
       bei einem Spaziergang entlang der Gathe. Als Agnostiker und Kritiker von
       linken Standardparolen sind für ihn die Ziele beider Parteien keine
       Herzensangelegenheit. Doch die Idee, „dass beides hier genau nebeneinander
       bleibt“, ist eine.
       
       ## Auch ein Umzug ist denkbar
       
       Aber es gibt auch noch einen anderen Ausweg. Würde sich ein geeignetes
       Ersatzobjekt in der Umgebung auftun, wären die Autonomen sogar zum Umzug
       bereit. „Warum nicht, wenn sich ein Haus findet, das behindertengerecht ist
       und einen Garten hat“, sagt Singer. Weil die städtische Standortsuche
       erfolglos verlief, versucht jetzt Ditib selbst, ein Objekt aufzutreiben. Wo
       dieses Haus herkommen soll, weiß keiner. Doch Mercan klammert sich an diese
       Hoffnung. Es wäre der einfachste Ausweg aus der Situation.
       
       Entscheiden wird letztlich die Stadt. Wenn sie das Gelände des AZ nicht
       verkauft, werden sich Autonome und Muslime arrangieren müssen.
       
       „Die Stadtspitze hat sich zum Moscheebau klar bekannt“, sagt Wuppertals
       Ressortleiter für Zuwanderung und Integration, Hans-Jürgen Lemmer. Es wäre
       ein weiteres Zeichen gelungener Integration. Stolz ist Lemmer darauf, dass
       im kommenden Jahr der erste muslimische Friedhof Deutschlands in Wuppertal
       eröffnen wird; und dass 15 von 16 Moscheevereinen in einem gemeinsamen
       Interessenverband organisiert sind. Nur die Salafisten, die im September
       mit der Schariapolizei Schlagzeilen machten, sind außen vor.
       
       Mit Ditib pflege man beste Kontakte, sagt Lemmer. Doch auch der Umgang mit
       den Autonomen ist vertrauensvoll. Wenn Lemmer über sie spricht, dann ohne
       jede Abwertung, ohne die bekannten Abgrenzungsrituale von Politikern und
       Behörden gegenüber Autonomen. „Der soziale Frieden ist allen sehr viel
       wert“, sagt er. Die Konfrontation will er um jeden Preis vermeiden. Zu
       einer möglichen Räumung des AZ sagt er: „Man muss nicht jedes Problem von
       der Polizei lösen lassen.“ Auf die Stadt kann sich Ditib vorerst nicht
       verlassen. Für Mercan muss sich das anhören wie eine Drohung.
       
       9 Dec 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Erik Peter
       
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