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       # taz.de -- Propaganda in Russland: Putins mediale Großoffensive
       
       > Seit kurzem ist RT Deutsch auf Sendung. So soll ein Gegengewicht zur
       > „aggressiven“ Berichterstattung des Westens entstehen.
       
   IMG Bild: Putins Einpeitscher: der Journalist Dmitri Kisseljow.
       
       MOSKAU taz | Am Anfang stand eine Petition. Angeblich über 30 000
       Bittsteller aus dem deutschsprachigen Raum sollen den Wunsch geäußert
       haben, einen TV-Sender wie Russia Today auf Deutsch zu starten. Die
       Petitionäre fühlten sich von den heimischen Medien nur einseitig
       informiert, heißt es in dem Hilferuf nach mehr Pluralität. Anfang November
       war es so weit. RT Deutsch wurde als Ableger des englischsprachigen
       Auslandsenders Russia Today lanciert.
       
       Das deutsche Programm ist zunächst im Internet zu sehen, ein TV-Kanal folgt
       nächstes Jahr. Der Ausbau ist Teil der weltweiten Grossoffensive Sputnik,
       die 130 Städte in 34 Ländern und 30 Sprachen umfasst. Bei der Präsentation
       in Moskau betonte Russia Today-Chefredakteurin Margarita Simonjan, die
       Initiative für den deutschen Kanal sei „von unten“, aus dem Volk, gekommen.
       Die russischen Kommunikationsspezialisten haben erkannt, dass Bewegungen,
       die von der Basis ausgehen, im Westen glaubwürdiger sind.
       
       Initiator der Petition war ein Walter Seewald, der im Internet als
       Betreiber einer Akademie für Lebenskundliches auftritt. Dort lassen sich
       Publikationen beziehen wie „Geheimnisse der Menschheitsführung“ oder ein
       slawisch-arischer Kalender. Das erinnert ein bisschen an eine Sekte.
       Stutzig machen zudem die vielen Rechtschreibfehler und die unbeholfene
       Wortwahl der Petition. Wurde sie womöglich in Auftrag gegeben – nach dem
       Vorbild der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, die vor jedem Einmarsch
       in ein Land dessen Werktätige in öffentlichen Briefen um brüderliche Hilfe
       aus der Sowjetunion ersuchen ließ?
       
       Moskau versteht das Multimedia-Projekt Sputnik als eine Gegenoffensive.
       Schon 2005, bei der Gründung des englischen Russia Today, war das
       Leitmotiv, die Dominanz und Hegemonie von Sendern wie CNN und BBC zu
       durchbrechen und der westlichen Interpretation des Weltgeschehens eine
       russische Sicht entgegenzuhalten.
       
       ## Zwei Millionen Zuschauer
       
       Russia Today kann auf riesige Erfolge verweisen. In England zählt man auf
       eine treue Gemeinde von zwei Millionen Zuschauern, mehr als bei Euronews.
       2013 durchschlug Russia Today auch bei Youtube als erster Sender die
       Klick-Marke von einer Milliarde, während CNN nur auf eine halbe Milliarde
       kommt. Sogar die Talk-Show-Legende Larry King heuerte bei RT America an.
       Vorübergehend hatte auch Wikileaks-Gründer Julian Assange eine wöchentliche
       Show.
       
       Das Konzept ist klar und einfach. Gegner des Westens und der westlichen
       Zivilisation sind Russlands potenzielle Verbündete. Einen Gegenpol zur
       „aggressiven westlichen Propaganda“ werde Sputnik bilden, sagte Dmitri
       Kisseljow, der Direktor der Moskauer Propagandabehörde Rossija Segodnja,
       bei der Premierenveranstaltung.
       
       Sein Auftritt erfolgte vor einem kosmisch leuchtenden Hintergrund,
       begleitet von Sphärenklängen. Es gehe nicht nur darum, „Ungesagtes zu
       sagen“, so der offizielle Slogan. Die Aufgabe werde vor allem darin
       bestehen, der „russlandfeindlichen Haltung“ westlicher Medien mit
       alternativen Informationen entgegenzuwirken.
       
       Noch Anfang der neunziger Jahre zählte Kisseljow zu den liberalen
       Aushängeschildern des russischen Journalismus. Inzwischen vertritt er ein
       stark überarbeitetes Verständnis von journalistischer Informationspflicht.
       Als er im Dezember 2013 von Präsident Wladimir Putin zum Direktor der neuen
       Megabehörde Rossija Segodnja berufen wurde, stellte er den zunächst
       verschreckten Mitarbeitern seine Ansichten vor.
       
       „Unter der Losung Objektivität verzerren wir unser Konzept: Wir schauen auf
       das eigene Land wie auf ein fremdes.“ Die Phase des „destillierten“ und
       „distanzierten Journalismus“ ende nun. „Objektivität ist ein Mythos, den
       man uns aufzwingt. Unser Land braucht aber Liebe.“
       
       Anders gesagt: Guter Journalismus hat patriotisch zu sein und das Land vor
       Kritik zu bewahren. Diese Vorgabe gilt inzwischen für die Berichterstattung
       in Russland genauso wie im Ausland. Politische Ereignisse aus dem Inland
       werden in den russischen Medien kaum noch aufgegriffen, die Sendezeit
       übernahmen Nachrichten aus der Ukraine – meist in bizarrer Verzerrung.
       
       ## Russland am Pranger?
       
       Wer unterdessen aufmerksam RT Deutsch verfolgt, stellt fest: Aus Russland
       erfährt er nichts. Wie beim Muttersender arbeitet man nach dem Prinzip:
       Fremdes anprangern, um im Gegenzug fragwürdige Entwicklungen in Russland zu
       rechtfertigen und aus der Schusslinie zu nehmen.
       
       Im täglichen, halbstündigen Nachrichtenmagazin Der fehlende Part läuft das
       so: Eine Reporterin befragt Passanten, welches Land sie am meisten mit
       Homophobie in Verbindung brächten. Russland, stellt sich heraus. Worauf die
       Journalistin andere Beispiele für Homophobie nennt und zur Frage kommt:
       Warum steht immer nur Russland am Pranger?
       
       Die Verkürzung stimmt natürlich nicht. Sie dient nur als Vorlage für die
       Botschaft: Der arrogante Westen maßt sich an, über Russland zu urteilen und
       will ihm die Entwicklung vorschreiben. Im Studio nimmt die Moderatorin
       Jasmin Kosubek das Thema auf und fragt einen Berliner Schwulen, ob es
       Diskriminierung nicht auch in Deutschland gebe. „Natürlich, aber . . .“
       Sofort fällt ihm Kosubek ins Wort: „Na bitte, da haben wir es doch! Werfen
       wir nicht anderen vor, was wir selbst nicht in den Griff bekommen.“ Die
       Hinweise des Schwulenvertreters, in Russland handle es sich um staatlich
       abgesegnete Diskriminierung, gehen unter.
       
       Ein eher harmloses Beispiel, bei dem nicht gelogen, aber unsauber
       gearbeitet wird. Dagegen findet sich auf der Website von RT Deutsch eine
       gezielte Lüge. In der Meldung „Spiel mit dem Feuer – Die nuklearen
       Provokationen der Nato gegenüber Russland“ bezieht man sich auf eine Studie
       der Berliner Stiftung für Wissenschaft und Politik und erklärt, die
       regierungsnahe Einrichtung warne vor dem „nuklearen Expansionsstreben der
       Nato in Osteuropa“, das eine schwer kontrollierbare Eskalationsdynamik
       auslösen könne.
       
       ## Riege von Verschwörungstheoretikern
       
       Tatsächlich ist in der Studie vom Gegenteil die Rede. Russland verleihe dem
       Konflikt in der Ukraine auch eine nukleare Dimension. Doch in der Meldung
       wird Russland, der eigentliche Aggressor, zum Getriebenen und zum Opfer.
       
       Russia Today zielt darauf ab, in westlichen Gesellschaften Unruhe und
       Verwirrung zu stiften. Zu gerne sähe Moskau die Europäische Union wieder in
       Einzelteile zerfallen. Auch das Ziel, einen Keil zwischen USA und EU zu
       treiben, gab der Kreml nie wirklich auf.
       
       Schon die Auswahl der Gesprächspartner bei RT Deutsch zeigt die Intention.
       Es sind entweder flammende Antiamerikaner oder EU-Gegner vom linken und
       rechten Rand. Zu den Gästen der ersten Wochen zählten ein DDR-Spion,
       Abgeordnete der Linken, Verschwörungstheoretiker wie Udo Ulfkotte oder
       Publizisten aus dem rechtspopulistischen Umfeld wie Jürgen Elsässer. Eine
       Riege von Verschwörungstheoretikern und roten oder braunen Hasspredigern,
       die erstaunlichen Zuspruch findet dank neuer gesellschaftlicher
       Unübersichtlichkeit.
       
       Das englische Russia Today ist ein hochprofessioneller Kanal. Da reicht die
       deutsche Version noch nicht heran. Sie überzeugt die jüngeren Zuschauer
       jedoch durch den liebenswürdigen Dilettantismus der Moderatorin Kosubek,
       der Authentizität verbürgt. Auch das Original fing mit Berufseinsteigern
       an, die voller Idealismus waren. Je weniger Russlandkenntnisse jemand
       mitbrachte, desto besser waren die Anstellungschancen. Kosubek erfüllt
       diese Voraussetzungen.
       
       5 Dec 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Klaus-Helge Donath
       
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