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       # taz.de -- Gedanken zu Social Freezing: Ich könnte euch einfrieren
       
       > Mitte Dreißig und noch kinderlos. Der Fruchtbarkeit droht das Aus. Es
       > geht bergab – oder? Ein Brief an die eigenen, noch nicht eingefrorenen
       > Eizellen.
       
   IMG Bild: Bis 25 steigt die Fruchtbarkeit – danach geht es bergab.
       
       Ich bin 34 und, wie ihr wisst, eine Frau. Ihr seid einer der wenigen
       Bestandteile meines Körpers, die mich dazu machen. Dafür schätze ich euch
       sehr, denkt nicht, ihr wärt mir lästig oder egal oder ich hätte euch
       vergessen. Im Gegenteil. Ich mag Kinder, wollte früher sogar Kinderärztin
       werden. Eure Befruchtung hat sich einfach noch nicht ergeben. Es kam nicht
       der passende Vater, dafür das Leben dazwischen, meine Ausbildung, mein
       Beruf, noch eine Ausbildung, noch ein Beruf.
       
       Andere bekommen Kinder. Exfreunde. Freundinnen. Ungewollt. Gewollt.
       Ungewollt gewollt. Aus Freundinnen werden Mütter, aus Müttern
       Exfreundinnen. Vor Kurzem war ich auf einem Treffen netter Kollegen, die
       sich gegen Nuklearwaffen engagieren. Ein Mann, acht Frauen, fünf Kinder –
       mit Kindern gegen den Atomkrieg.
       
       Ich lobe Kuchen, trinke Kaffee, halte klitzekleine Füße. Ich frage eine
       Bekannte neben mir, wie es ihr geht. Sie hat gerade einen Sohn bekommen.
       Sie lächelt müde, hebt die Augenbrauen, nickt mit dem Kopf: „Das
       Kleinfamiliendasein ist sehr ungewohnt …“ Eine andere nickt, dann eine
       dritte und vierte Mutter. Sie nicken wissend. Alles um mich herum nickt.
       Ich weiß nichts, nicke nicht.
       
       Ich mag meine Freiheit. Meine Mutter hat mich zur Unabhängigkeit erzogen.
       Mit 16 habe ich eine eigene Wohnung bewohnt, mit 19 allein Afrika bereist,
       und mit 34 bin ich wurzellos glücklich. So ungefähr. Jedenfalls nicht
       unglücklich. Während meines Studiums hat mir meine Mutter den „Brief an ein
       nie geborenes Kind“ geschenkt. Ich wollte ihn nicht lesen. Brauche ich ein
       Kind, um glücklich zu sein? Brauche ich ein Kind, um später nicht
       unglücklich zu sein?
       
       ## Durchgeplante Fruchtbarkeit
       
       Ich gebe zu, dass ich euch aktiv daran hindere, befruchtet zu werden. Sex
       habe ich. Gerne. Auch ohne Beziehung. Ich habe mir einen kleinen kupfernen
       Anker einpflanzen lassen, dem ihr ab und zu wohl begegnet.
       INTRAUTERINPESSAR . Ich dachte, ich tue meinem friend with benefit – Mann
       für gelegentlichen Sex – einen Gefallen, als ich ihm anbot, wir könnten
       auch ohne.
       
       Ein Freund erklärte mir, warum mein Angebot dankend abgelehnt wurde.
       Gesetzeslage sehr schlecht. Kann teuer werden für Väter, die keine sein
       wollen. Lieber zweimal absichern als einmal zu wenig. Vielleicht kann ich
       eure zunehmende Müdigkeit später – wenn der Anker gelichtet ist – durch
       meine Libido ausgleichen? Viel Sex = viele Spermien = viele
       Befruchtungsmöglichkeiten?
       
       Ich verhüte und plane – „Familienplanung“. Ich habe eine Menstruations-App,
       die mir die fruchtbaren Tage anzeigt. Eine tolle Sache! Merkt euch bitte:
       Oktober und November sind ungünstige Monate, sich befruchten zu lassen.
       Übergewicht, Rückenschmerzen und gestaute Beine sind im Hochsommer äußerst
       unangenehm. Das Geplane hat etwas Unromantisches. Eigentlich möchte ich,
       dass es einfach passiert, wenn es passiert, dass irgendein Spermium den Weg
       in eine von euch schafft.
       
       Und ich möchte kein Kind, nur um es dann allein großzuziehen. Ich kenne
       Nachtschichten und Wochenenddienste. Stress. Vielleicht sehe ich das in
       einigen Jahren anders, wenn ihr, eure Stöcke und Leiter, in euren letzten
       fruchtbaren Zügen liegt und mir hormonell noch mal richtig Druck macht.
       Neue Kosten-Nutzen-Analyse: Es erscheint mir ungerecht, dass Männer ewig
       Väter werden können. Männliche Eier faulen nicht beziehungsweise das, was
       drin ist, fault nicht. Spiel, Spaß, Spannung – Kinderüberraschung. Lange
       haltbar.
       
       ## Mit 67 Jahren Mutter werden
       
       Ihr dagegen unhaltbar. Ich verstehe, dass ihr nach mehr als 25 Jahren
       Leerlauf keine Lust mehr habt, monatlich ausgespült zu werden. Das nutzt
       sich ab, da wird man müde, da wird man faul. Wenn ich zwei Wochen nicht
       joggen gehe, wird es umso schwerer, wieder damit anzufangen. Ich verstehe
       das. Will es. Muss es. Das mit den faulenden Eiern hat durchaus seinen
       Sinn. Eine Geburt mit 80 überlebt nicht jede. Ich verstehe das. Will es.
       Muss es. Muss ich?
       
       Maria del Carmen Bousada hat mit 67 Jahren Zwillinge zur Welt gebracht. Sie
       hat ihr Haus in Spanien verkauft, sich in einem kalifornischen
       Ersatzteillager alles Nötige ausgesucht und sich ein fremdes Ei, befruchtet
       von fremden Spermien, einsetzen lassen. Sie hoffte, so alt wie ihre Mutter,
       nämlich 101 Jahre alt zu werden und so vielleicht noch Enkel zu erleben.
       Als die Zwillinge zwei waren, starb Maria an Krebs. Sind die Zwillinge
       jetzt eigentlich Waisen, obwohl die genetische Mutter und der genetischer
       Vater noch leben? Technische Details.
       
       Mit 30 habe ich mit meiner Kindergartenfreundin, jetzt Frauenärztin, einen
       Pakt geschlossen: Wenn wir bis zum Alter von 35 weder Kind noch Partner
       haben, lassen wir uns beide schwängern, adoptieren außerdem jede noch ein
       Kind und leben glücklich als sechsköpfige Familie in der Toskana.
       
       Heute erscheint uns das Abkommen weniger lustig als damals, als unsere Eier
       noch hoch motiviert vor sich hin schwammen. Wir haben beide weder Kind noch
       einen passenden Kegel. Wir lachen trotzdem, wir sind ja noch jung und
       lassen uns großzügig noch etwas mehr Zeit.
       
       ## Länger fruchtbar bleiben
       
       Zeit, die ihr mir nicht geben wollt. Ihr fault – langsam, aber sicher. Eure
       Fruchtbarkeit – Fertilität – steigt bis 25. Danach geht es abwärts. Ab 30
       rapide. Ab 40 freier Fall bis zur Rente mit durchschnittlich 52. Menopause.
       Auch euer Rentenalter wurde über die letzten hundert Jahre hochgestuft. Ihr
       lasst euch mittlerweile fast 10 Jahre länger befruchten. Weiter so! Wenn
       ich Ende dieses Jahres 35 werde, habt ihr laut Statistik nur noch halb so
       viel Lust, befruchtet zu werden wie mit 25. Ich persönlich empfinde es
       umgekehrt. Widerspruch. Kontraproduktiv.
       
       Aber was rede ich. Wo kein Kegel, da kein Kind. Wo Spirale statt Wille, da
       kein Weg. Vielleicht tue ich euch Unrecht und ihr seid ausdauernder, als
       ich denke. Auf der Suche nach den verlorenen Eiern. Ich muss es wohl drauf
       ankommen lassen. Muss ich?
       
       Ein guter Freund – Professor für Ethik und Religionswissenschaften an einer
       Elite-Uni, spezialisiert auf Bioethik – ist großer Befürworter der aktiven
       Verbesserung genetischen Materials für nachfolgende Generationen.
       Genmanipulation. Er möchte Mutationen ausmerzen, die zu Krankheiten und
       Behinderungen führen könnten.
       
       ## Der perfekte Mensch
       
       Aber für ihn spricht auch nichts gegen die Wahl von Augenfarbe, Größe oder
       Muskelmasse. Er selbst ist etwas untersetzt, hasst Sport und würde zu gern
       das Gen für Übergewicht ausrotten. Ist Maßlosigkeit nicht eine der sieben
       Todsünden? Ich sage, ich würde mit den Forschungsgeldern lieber Kinder in
       Afrika retten. Er sagt, dass kann man nicht vergleichen. Ich sage, doch.
       Schweigen.
       
       Ich frage ihn, was er davon hält, fruchtbare Eier einzufrieren, damit man
       sich als Frau alle Optionen freihält. – Großartig! Er rät mir, euch
       einzufrieren. Er sagt, es wäre schade, wenn ich keine eigenen Kinder
       bekäme. Er meint es weniger wegen meines wertvollen genetischen Materials,
       sondern damit ich diesen Schritt auf der Suche nach dem Sinn des Lebens
       (einer Frau) gegangen bin. Ich wehre ab. Danke für deinen Rat, aber nein
       danke!
       
       Zu Hause google ich. Kryokonservierung. Ei(s)zeit. Tiefkühleier. Minus 196
       Grad Celsius. 3.000 Euro für Hormone und Eierabsaugung, dann 300 Euro pro
       Jahr für den Parkplatz in der Tiefkühltruhe. Viel Geld? Was ist schon ein
       Kleinwagen gegen ein Baby.
       
       ## Vertrag auf Eis
       
       Ich könnte einige von euch kaltstellen, in einen Dornröschenschlaf
       versetzen, damit ihr zur „richtigen“ Zeit – sobald der Prinz angeritten
       kommt oder der Kinderwunsch ungeahnte Dimensionen annimmt oder ich
       unbedingt eine genetische Erinnerung hinterlassen möchte – wieder aufgetaut
       werdet. Frühlingserwachende Eier.
       
       Würde ich bei Facebook oder Apple arbeiten, wäre eure Absaugung bald Teil
       meines Vertrags. In Zukunft sucht man sich als Frau verständnisvolle
       moderne Arbeitgeber, die laut verkünden: „Egg freezing gives women more
       control“ – jawohl. Google wird vermutlich mit dem Angebot von Leihmüttern
       für Mitarbeiterinnen nachziehen. Die biologische Uhr wird angehalten, das
       Ticken hat genervt. Weiter im Business bis 40 oder 45 oder 50. Forever
       fruchtbar, Kryo sei Dank!
       
       Mir wird schlecht. Morgenübelkeit? Das Eierkaltstellen gehört nicht zu
       meinen Arbeitgeberleistungen. Mein Arbeitgeber denkt in den konventionellen
       Mustern meiner Eltern, die miteinander schliefen, um Kinder zu zeugen. Ich
       bin unkonventionell! Unkonventionell kinderlos. Bald eierlos.
       
       Berlin, Herbst 2014
       
       7 Dec 2014
       
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