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       # taz.de -- Fortschreitende Digitalisierung: Neues Silicon Valley nicht nötig
       
       > Google, Facebook und Apple stammen alle aus einem Tal in Kalifornien.
       > Weil dort die Geistestradition fehlt. Das ist gut so. Dort.
       
   IMG Bild: Und er kümmert sich doch. Facebook-Chef Mark Zuckerberg spendet hier 25 Millionen Dollar an Ebola-Opfer
       
       Das Silicon Valley kommt jetzt übrigens auch nach Gmünd. Meldet Gmünd. Das
       liegt daran, dass ein Unternehmer aus Niederösterreich, wo das
       5.324-Einwohner-Städtchen Gmünd sich befindet, kürzlich in Kalifornien war
       und beschloss, dass es diese Kultur, mit der dort junge Start-up-Gründer
       von Anfang an gefördert werden, auch in Europa geben muss, also auch in
       Österreich, sprich: Gmünd. Es gibt in der Gemeinde [1][nun einen Kubator],
       ein „an europäische Verhältnisse angepasste Version der Silicon Valley
       Tech-Zentren“, wie dieser Kubator mitteilt.
       
       Junge Unternehmer können ihre Ideen einreichen. Dann wird entschieden, wer
       bei der Entwicklung der Ideen unterstützt wird.
       
       Der Wunsch, das Silicon Valley zu exportieren, ist gerade ziemlich
       verbreitet. Man hätte nicht nur in Gmünd gern eines, sondern auch in der
       365-Einwohner-Gemeinde [2][Skolkowo am Rande Moskaus] oder in Berlin, wo
       man im Regierungsbezirk Mitte schon vor Jahren von einer Silicon Alley und
       vor einigen Monaten [3][mit Googles Hilfe erst ein neues Silicon Valley
       namens „The Factory“ eröffnet hat].
       
       Erst am Donnerstag stellte auch die Kanzlerin auf einer Internetkonferenz
       der Firma Vodafone fest, Berlin habe eine vielversprechende Start-up-Szene.
       Um sofort selbstkritisch zu fragen: „Wie können wir für junge Leute, die
       ein Start-up gründen wollen, noch bessere Rahmenbedingungen schaffen?“ Es
       fehle das Geld, stellte Angela Merkel fest. Die Wagniskapital-Kultur sei
       noch nicht so weit entwickelt, wie sie es sein könnte. Intel-Präsidentin
       Renée J. James pflichtete ihr später bei: „Der Grund, warum wir so viele
       innovative neue Start-ups im Silicon Valley haben: Wir finanzieren viele
       neue Start-ups.“
       
       ## Schafft die High-Tech-Industry genug Jobs?
       
       Im Lauf des Tages kamen die Konferenz-Teilnehmer dann auch auf eine der
       drängendsten Fragen der zunehmenden Silicon-Valleyisierung zu sprechen:
       Schafft die High-Tech-Industry genug Jobs, um all jene zu ersetzen, die sie
       abschafft? Eine kurze Umfrage im Saal ergab ein klares Ergebnis: Nein.
       
       Das stellt auch taz-Chefreporter Peter Unfried in seiner Ganzen Geschichte
       „Jungs, die auf Titten starren“ in der taz.am wochenende vom 6./7. Dezember
       2014 fest: „Während das Silicon Valley einen großen Einfluss auf Lifestyle
       und Technik hatte, hatte es ganz und gar nicht den positiven für den
       Arbeitsmarkt, wie seine Unterstützer behaupten. Die Tech-Industrie war nie
       eine Job-, sondern eine Rationalisierungsmaschine. „Eine ökonomische
       Enttäuschung“, nennt es der Autor George Packer, der nicht nur gerade das
       [4][viel beachtete Merkel-Porträt „The quiet German“ im] [5][New Yorker]
       veröffentlicht hat, sondern in diesem Jahr auch mit seinem Buch „Die
       Abwicklung“ in den deutschen Bestsellerlisten landete. Packer, einer der
       prominentesten politischen Reporter der USA, ist im Silicon Valley
       aufgewachsen. Wie kaum ein anderer kann er deshalb präzise beobachten, wie
       sich das Tal in den vergangenen Jahrzehnten gewandelt hat. Und wie die neue
       Start-up-Kultur der Westküste die Werte der alten Ostküsten-Elite infrage
       stellt, die sich der europäischen Geistesgeschichte verbunden fühlt.
       
       „Ja, Kalifornien ist vorn, der Osten hat jetzt Angst vor dem Silicon
       Valley“, sagt Packer in der taz.am wochenende. Das frühere
       Überlegenheitsgefühl der Ostküste sei dabei, sich in einen
       Minderwertigkeitskomplex zu verwandeln.
       
       Es ist ein anderer Minderwertigkeitskomplex als der, den ein
       Venture-Kapitalist den europäischen [6][Silicon-Valley-Nachahmern Anfang
       des Jahres in der britischen Zeitung The Guardian unterstellt hat]. Da ging
       es fast ausschließlich um den ökonomischen Erfolg. Die Auseinandersetzung
       zwischen Ostküstenkultur und Westküsteninnovation berührt wesentlich
       grundlegendere Fragen. Es ist der Clash zweier Denkschulen.
       
       ## „Die Jungs haben etwas Neues in die Welt gebracht“
       
       Hans Ulrich Gumbrecht, der deutsche Literaturwissenschaftler, verfolgt das
       Denken der Tech-Unternehmer von seinem Büro an der Universität Stanford
       aus, der Hauptkaderschmiede des Valley. „Er weiß längst“, schreibt
       taz-Reporter Unfried, der Gumbrecht besucht hat, „dass es umgekehrt ist,
       wie Europäer oder Ostküstler denken: Das Fehlen der Geistestradition ist
       die große Stärke des Valley. Diese Stärke besteht in der Freiheit. Von
       Tradition, die das Weiterdenken verhindert. Von Trägheit. Man hat nicht
       schon immer etwas so gemacht und kann es aus diesem Grund anders machen.“
       
       Die Hoffnung, mit dieser geistigen Stärke, ließen sich einige der zentralen
       Probleme der Menschheit auch nur annähernd lösen – also Klimawandel,
       Finanzkrise, Überwachungskultur, Ungerechtigkeiten aller Art – braucht man
       allerdings gar nicht erst haben, schreibt Unfried. Schließlich steht die
       Lösung all dieser Probleme nicht unbedingt im Fokus der sonst sehr
       problemlösungsorientierten Start-up-Unternehmer. Unfried würde ihnen das
       allerdings nicht vorwerfen: „Die Jungs haben etwas Neues in die Welt
       gebracht. Weil sie es konnten, weil sie es wollten, weil sie keiner daran
       gehindert hat. Das ist jetzt auch ein Problem, aber darin steckt die
       einzige Lösung: Wir müssen uns auch etwas Neues einfallen lassen.“
       
       Wir brauchen kein zweites, drittes und fünfundzwanzigstes Silicon Valley.
       Weder in Gmünd, noch in Berlin und auch nicht unbedingt in Skolkowo. Wir
       brauchen etwa anderes.
       
       Die Frage ist nur: was? Kann man den Erfindungsreichtums Kaliforniens auch
       in Europa erwecken, um auch all jene Probleme zu lösen, die das Silicon
       Valley bisher ignoriert? 
       
       Diskutieren Sie mit!
       
       Die Ganze Geschichte „Jungs, die auf Titten starren“, lesen Sie in der
       taz.am wochenende vom 6./7. Dezember 2014.
       
       5 Dec 2014
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://kubator.at/
   DIR [2] http://community.sk.ru/news/
   DIR [3] /1/archiv/digitaz/artikel/
   DIR [4] http://www.newyorker.com/magazine/2014/12/01/quiet-german?intcid=mod-most-popular
   DIR [5] http://www.newyorker.com/magazine/2014/12/01/quiet-german?intcid=mod-most-popular
   DIR [6] http://www.theguardian.com/media-network/media-network-blog/2014/feb/17/europe-silicon-valley-tech-startups-funding
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Johannes Gernert
       
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