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       # taz.de -- Werksschließung von Opel: Die leise Beerdigung
       
       > Das Bochumer Werk von Opel war einst der größte Arbeitgeber der Stadt.
       > Nun wird es geschlossen. Am Freitag läuft die letzte Schicht.
       
   IMG Bild: Wurde in Bochum produziert: Opel Kadett A, Coupé, 1963-1965
       
       BOCHUM taz | Kurz vor der letzten Schicht bleibt dem Gewerkschafter Rainer
       Einenkel nur Bitterkeit. „Ersatzarbeitsplätze?“ Der langjährige
       Betriebsratsvorsitzende der drei Bochumer Opel-Werke versucht, nicht
       sarkastisch zu klingen: „Da ist im Moment gar nichts.“ Zusammen mit rund
       2.700 festangestellten Opelanern wird Einenkel im kommenden Jahr
       Beschäftigter einer von der Arbeitsagentur betreuten „Transfergesellschaft“
       sein. Bochums Autoarbeiter müssen „nachqualifiziert“ werden, sagt
       Agenturchef Luidger Wolterhoff.
       
       Dabei verschwinden nicht nur mehr als 3.000 Arbeitsplätze bei Opel: An
       jedem Job in der Autoproduktion hingen mindestens zwei weitere bei
       Zulieferern, Dienstleistern, in Einzelhandel und Gastronomie, schätzt
       Rouven Beeck, Geschäftsbereichsleiter Industrie der Industrie- und
       Handelskammer des mittleren Ruhrgebiets. „Bis zu 10.000 Arbeitsplätze“
       seien in Gefahr, fürchtet er. Dabei zählt die Bochumer Arbeitsagentur schon
       heute offiziell 17.550 Arbeitslose. Die im Ruhrgebietsvergleich gute
       Arbeitslosenquote von 9,4 Prozent könnte explodieren.
       
       Wer sich jedoch in der Woche der Werkschließung in NRW umhört, der kann
       zumindest aus Politik, Gewerkschaften und Wirtschaftsverbänden kaum Kritik
       hören. Dabei hat Bochum um Opel gekämpft. Vor 21 Monaten protestierten noch
       20.000 Menschen vor dem Rathaus gegen ein Ende der Autoproduktion im
       Ruhrgebiet. An dem Autobauer hänge die „Zukunft einer ganzen Region“,
       mahnte damals nicht nur Rainer Einenkel. Auch Nordrhein-Westfalens
       Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) versprach im Wahlkampf 2013, dass
       sie für Opel Bochum kämpfen werde. Dieser Kampf ist nun endgültig vorbei.
       Vielen Opelanern droht trotz Abfindungen der Absturz in Hartz IV.
       
       Von einem „schleichenden Niedergang“ will Stadtsprecher Thomas Sprenger
       trotzdem nichts hören. Die Stadt bemühe sich um einen „positiven Blick auf
       die vermeintliche Katastrophe“, sagt der Vertraute der
       SPD-Oberbürgermeisterin Ottilie Scholz. Über wegbrechende Steuereinnahmen
       will er nicht reden – das falle „unter das Steuergeheimnis“. Auch seine
       Chefin Scholz, die noch vor zwei Jahren die „soziale Verantwortung“ des
       Weltkonzerns einforderte, spart sich heute jede Kritik. Zum Ende des einst
       größten Arbeitgebers ihrer Stadt fällt der Oberbürgermeisterin nur ein,
       dass sie „als Beigeordnete in Castrop-Rauxel“ einen Opel Manta fuhr und
       dass der als Proletenschleuder verrufene Wagen als unpassend betrachtet
       wurde.
       
       Auch das vom Sozialdemokraten Garrelt Duin geleitete Wirtschaftsministerium
       in Düsseldorf gibt sich ahnungslos. „Die gesamtwirtschaftlichen Kosten“ der
       Werksschließungen ließen sich „nicht beziffern“, sagt eine Sprecherin,
       ebenso wenig die Steuerausfälle. Eigentlich unglaublich: Mit Opel verlässt
       einer von zwei Automobilproduzenten das Industrieland NRW – zurück bleibt
       nur Ford in Köln. Trotzdem gibt die Landesregierung vor, die Folgen nicht
       einschätzen zu können.
       
       ## Angst vor dem Begriff der „Bochumisierung“
       
       Hinter der merkwürdig leisen Beerdigung der Bochumer Opel-Werke, hinter dem
       zwanghaft wirkenden Nach-vorn-Schauen, der unangemessenen Fröhlichkeit
       stehen nur Marketinggründe. Politik, Wirtschaft und auch die Gewerkschaften
       haben Angst vor dem Begriff der „Bochumisierung“, der schon in der
       Frankfurter Allgemeinen stand, als der Handyhersteller Nokia fluchtartig
       aus der Stadt verschwand. Nun stehen die Jobs, die in der Kohlekrise
       geschaffen und als Brücke in die Zukunft gefeiert wurden, vor dem Aus. Die
       Bochumer Opel-Werke stehen nicht zufällig auf dem einstigen Gelände der
       Zeche Dannenbaum.
       
       „Wir müssen zeigen, wie geil Bochum eigentlich ist“, sagt die
       IG-Metall-Chefin der Stadt, Eva Kerkemeier, und schwärmt von den
       mittelständischen Unternehmen, in denen sie die wirtschaftliche Zukunft der
       Region sieht. „Ein richtig toller Laden“ sei etwa der Armaturenhersteller
       Adams in Herne mit seinen 200 Beschäftigten. Mit anderen Worten: Kerkemeier
       hat Opel abgeschrieben und kämpft an anderen Fronten. Erst am Mittwoch
       demonstrierten in Duisburg 3.500 Stahlarbeiter und forderten von ihrem
       Arbeitgeber ThyssenKrupp „ein dauerhaftes Bekenntnis zur Stahlsparte“.
       
       Der Betriebsratschef Einenkel macht sich über die Berufschancen für viele
       seiner Kollegen und sich auch keine Illusionen: „Für viele ist momentan
       überhaupt keine Perspektive erkennbar.“ Zwar hat Einenkel hart verhandelt.
       Die Transfergesellschaft zahlt zwei Jahre lang rund 80 Prozent des letzten
       Gehalts – die Finanzierung des zweiten Jahres übernimmt Opel. Hinzu kommen
       Abfindungen von durchschnittlich 120.000 Euro. Einenkel schätzt, dass sich
       Opel den Bochumer Abgang gut 700 Millionen Euro kosten lässt.
       
       ## Reicht nicht bis zur Rente
       
       Zwar liegt das Durchschnittsalter der Belegschaft bei 50 Jahren – an den
       anderen Opel-Standorten in Rüsselsheim, Kaiserslautern und Eisenach ist es
       noch höher. Für viele Opelaner aber dürfte die Brücke aus
       Transfergesellschaft und der mit rund 30 Prozent zu versteuernden Abfindung
       längst nicht bis zur Rente reichen.
       
       Umso weniger versteht Einenkel die Vorwürfe, die Bochumer Opelaner seien an
       ihrer drohenden Arbeitslosigkeit selbst schuld – wie sie auch diese Woche
       noch aus dem NRW-Wirtschaftsministerium zu hören waren: Die wilden Streiks,
       mit denen die als kämpferisch bekannte Bochumer Belegschaft schon vor zehn
       Jahren Jobverluste verhindern wollte, habe zur Schließung der Werke in NRW
       geführt – ebenso wie die Ablehnung des „Deutschlandplans“ des
       Opel-Managements, der das Aus für Bochum erst 2016 vorsah.
       
       „Quatsch“ sei das, sagt dazu der „Automobilpapst“ Ferdinand Dudenhöffer,
       der an der Universität Duisburg-Essen das Center Automotive Research (CAR)
       leitet. „Im Zuge der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise leiden alle
       europäischen Massenhersteller – egal, ob sie Peugeot, Renault, Fiat oder
       Ford heißen“, sagt Dudenhöffer. „Ärmlich“ sei die bisherige Hilfe der
       Landesregierung, die sich auf 32 Millionen Euro für die Aufbereitung der
       Werksflächen beschränkt, findet er. Auch knapp zwei Jahre nach dem
       angekündigten Aus gebe es „immer noch kein Gesamtkonzept für die weitere
       Nutzung der Flächen“, sagt auch der CDU-Oppositionsführer im Landtag, Armin
       Laschet.
       
       Dudenhöffer fordert Lohnzuschüsse für die älteren Opelaner, die besonders
       schlechte Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben – und trifft damit die
       Stimmung der Bochumer Autoarbeiter. Sie fühlen sich von Politik,
       Gewerkschaft und Kollegen verraten. Sie können nicht fassen, was die
       Betriebsräte der Opel-Standorte Rüsselsheim, Kaiserslautern und Eisenach in
       einem in ihren Werken verteilten Flugblatt schrieben: Dass sie Opel „in der
       Gewinnzone“ sehen und „wettbewerbsfähige Jobs“ feiern, ohne das Wort Bochum
       auch nur zu erwähnen. „Wie ich haben viele keinen neuen Job in Aussicht“,
       sagt einer der wenigen Opelaner, die noch reden wollen. „Diese
       Unsicherheit, die zehrt, die frisst.“
       
       4 Dec 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Andreas Wyputta
       
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