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       # taz.de -- Skandal um angebliches Bio-Getreide: „Ein Fall von ’Gier frisst Hirn‘ “
       
       > Rumänische Firmen haben konventionelles Getreide mit Bio-Siegel verkauft
       > – auch nach Deutschland. Viele Abnehmer schauten weg.
       
   IMG Bild: Ob das bio ist? Rumänischer Bauer bei seiner Maisernte.
       
       BERLIN taz | Es ist ein Skandal mit Ansage: Zwei Handelsfirmen aus Rumänien
       haben nach taz-Recherchen rund 5.500 Tonnen konventionelles Getreide und
       ebensolche Ölsamen als Bio-Ware verkauft – unter anderem nach Deutschland.
       Das entspricht der Ladung von ca. 220 Lkw-Sattelzügen, die etwa zu
       Sonnenblumenöl und Mehl verarbeitet wurde.
       
       Verbraucher haben also umweltfreundliche Bioprodukte bezahlt – aber nur
       billige konventionelle Ware erhalten. Dabei waren sowohl Behörden als auch
       Händler gewarnt: Einer der Lieferanten war schon vor Jahren an einem der
       größten Betrugsskandale der europäischen Bio-Branche beteiligt.
       
       Jetzt liegt der taz eine Liste des rumänischen Agrarministeriums vor, der
       zufolge die Firmen Grains Trading und JustOrganic von Januar bis April 2014
       insgesamt 3.017 Tonnen Sonnenblumen, Weizen, Mais und Raps mit Bio-Siegel
       an fünf Firmen in Deutschland verkauft haben, darunter Getreide- und
       Ölmühlen sowie ein Händler.
       
       Doch nun teilte das Ministerium der taz mit: „Während Inspektionen der
       Lieferanten stellte die Kontrollstelle einige Unregelmäßigkeiten fest.“ Vor
       allem sei nicht nachvollziehbar gewesen, wo die Waren herkamen, und es
       hätten in Rumänien für Bio-Exporte vorgeschriebene Papiere gefehlt.
       Genaueres aber gab die Behörde auch auf mehrfache Nachfrage nicht preis.
       Die „Unregelmäßigkeiten“ seien aber so gravierend, dass die beiden Firmen
       ihre Geschäfte mit Bio-Waren unterbrechen mussten.
       
       ## Lukratives Geschäft
       
       Konventionelle Waren als bio zu verkaufen ist ein lukratives Geschäft: Für
       Raps und Sonnenblumen zum Beispiel zahlten deutsche Händler nach Angaben
       eines Brancheninsiders Anfang des Jahres gut das Doppelte, wenn die
       Pflanzen gemäß den Bio-Regeln ohne chemisch-synthetische Pestizide und
       Dünger angebaut wurden. Allein für die aus Rumänien in die Bundesrepublik
       gelieferten Waren betrug der Öko-Aufschlag schätzungsweise 411.000 Euro.
       
       Dazu kommen noch die Spannen, die die Verarbeiter, Zwischen- und
       Einzelhändler berechnen, sodass Konsumenten Millionen für Produkte gezahlt
       haben dürften, die gar nicht Bio waren. Der Teil der Ware, der noch nicht
       vermarktet wurde, muss nun aus den Regalen geräumt und kann nur noch zum
       konventionellen Preis verkauft werden.
       
       Der Skandal wirft ein Schlaglicht darauf, wie die rumänischen
       Aufsichtsbehörden und einige Bio-Händler arbeiten. Denn eine der
       beschuldigten Firmen, JustOrganic SRL, war einschlägig bekannt. Schon im
       Frühjahr 2012 verschiffte sie dem Dachverband der italienischen Bio-Branche
       Federbio zufolge nach Ravenna 1.700 Tonnen Soja, deren Bio-Zertifizierung
       aberkannt wurde. Die Staatsanwaltschaft der Stadt Pesaro schrieb in einem
       Antrag für gerichtliche Verfügungen im Ermittlungsverfahren im November
       2013, dass ein Betrügerring auch über JustOrganic konventionelle Ware
       verschoben habe, um sie als Bio zu verkaufen.
       
       ## Rumänische Behörden ließen Handel zu
       
       Gegen ihren Hauptinvestor, Gianpaolo Romani, erließ das Gericht im Januar
       2014 sogar Hausarrest. Geschäftsführer Daniel Ciubotaru wurde vorübergehend
       verboten, sich geschäftlich zu betätigen. Dass die italienische Justiz
       gegen die beiden vorging, war in der Branche auch bekannt: Das
       Internetfachportal Organic-Market.info verbreitete die Nachricht genauso
       wie Federbio auf seiner Internetseite.
       
       Trotz der Ermittlungen in Italien und der seit Jahren bekannten
       Unregelmäßigkeiten ließen die rumänischen Aufsichtsbehörden zu, dass
       JustOrganic weiter in Bio macht. So konnte das Unternehmen mit Sitz im
       Kreis Tulcea im Osten des Landes gleich den nächsten Skandal verursachen:
       Es lieferte rund 40 Prozent der jetzt dezertifizierten angeblichen
       Bio-Ware.
       
       Dabei verlangt die EU-Ökoverordnung, dass die Kontrollbehörde oder die von
       ihre beauftragte private Kontrollstelle bei „Feststellung eines
       schwerwiegenden Verstoßes oder eines Verstoßes mit Langzeitwirkung“ einem
       Unternehmer für eine bestimmte Zeit untersagen muss, Produkte mit dem
       Bio-Siegel zu vermarkten. Dafür ist noch nicht einmal ein Gerichtsurteil
       nötig.
       
       ## Sämtliche Zertifakte ungültig
       
       Das rumänische Agrarministerium erklärte, dass die EU-Vorschrift ein Verbot
       nur für Personen und nicht für Unternehmen erlaube. Was Experten zufolge
       nicht stimmt – aber vor allem nicht erklärt, warum Rumänien auch
       JustOrganic erst nach Jahren vom Bio-Markt nahm. Auch sonst haben die
       Behörden des Landes den Betrug bei JustOrganic erleichtert.
       
       Das Agrarministerium in Bukarest ließ Bio-Zertifikate der Firma selbst dann
       noch auf seiner Internetseite stehen, nachdem die damalige Kontrollstelle
       im Dezember 2013 wegen massiver Verstöße ihre Zulassung verloren hatte. Nur
       auf Rumänisch und auf einer anderen Internetseite verrieten die Beamten,
       dass sämtliche Zertifikate der ehemaligen Kontrollstelle ungültig seien.
       Google verlinkt aber direkt zu dem abgelaufenen Zertifikat – nicht zu der
       Seite mit dem Hinweis darauf, dass das Dokument ungültig ist.
       
       Welchen Ruf JustOrganic hatte, mussten aber nicht nur die Behörden, sondern
       auch die Händler wissen, die die Ware von dem Unternehmen gekauft haben.
       „Mit so einer Firma zu handeln ist grob fahrlässig“, sagt ein deutscher
       Händler, der anonym bleiben will. Warum manche das trotzdem taten? „Das ist
       ein Fall von ’Gier frisst Hirn‘.“
       
       Größter deutscher Abnehmer war ein Unternehmen aus Baden-Württemberg. Man
       hätte gern gewusst, was sich die Verantwortlichen dort dabei gedacht haben.
       Auf ihrer Internetseite wirbt die Firma mit den Worten: „Wir legen größten
       Wert auf Offenheit, Ehrlichkeit, Transparenz, Integrität und Respekt“.
       Gegenüber der Öffentlichkeit gilt das offensichtlich nicht: Der
       Geschäftsführer wollte sich im Gespräch mit der taz nicht zu der
       Angelegenheit äußern.
       
       ## Mehrere Verstöße
       
       Dass Rumäniens Aufsichtsbehörden nicht nur in diesem Fall versagt haben,
       sondern allgemein ineffizient arbeiten, zeigt ein Bericht der
       EU-Kommission. Schon im April 2013 stellten Inspektoren der Behörde schwere
       Mängel bei der Überwachung der Bio-Branche fest. Das Agrarministerium
       überprüfe zwar die privaten Kontrollstellen, so ihr Bericht. Aber bei ihrem
       Besuch in einer dieser Firmen fanden die EU-Prüfer mehrere Verstöße, die
       das Ministerium bei der Überwachung der Kontrollstellen wohl übersehen
       hatte.
       
       Die Inspektionen seien „mehr ein ’Interview‘ mit dem Unternehmer als eine
       Inspektion gewesen“. Die Kontrolleure hätten darauf verzichtet, Gebäude zu
       besichtigen – zum Beispiel Lager für Dünger, Pflanzenschutzmittel oder
       Produkte. Dabei gehört Rumänien etwa bei Bio-Getreide zu Deutschlands drei
       größten Lieferanten, die einheimischen Bio-Bauern immer mehr Konkurrenz
       machen.
       
       Obwohl die Regierung in Bukarest nach dem EU-Bericht 2013 Besserung
       gelobte, konnte der aktuelle Fall passieren. Jochen Neuendorff,
       Geschäftsführer der Göttinger Kontrollstelle GfRS, fordert deshalb die
       Bundesregierung und die EU-Kommission auf, mehr Druck auf Rumänien
       auszuüben. „Der Landwirtschaftsminister sollte sich im EU-Agrarrat dafür
       einsetzen, dass rumänische Betriebe und Unternehmen genauso penibel wie die
       deutschen Bio-Bauern kontrolliert werden.“ Die Qualität der Kontrollen sei
       in der EU offenbar unterschiedlich. Auch Brüssel müsse sich bewegen. „Die
       Kommission“, sagt Neuendorff, „sollte ihre Moderatorenrolle verlassen und
       klarer machen, was sie haben will.“
       
       3 Dec 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jost Maurin
       
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