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       # taz.de -- Debatte Share Economy: Besitzer auf Zeit
       
       > Auch wenn Ebay jetzt verstärkt auf Neuwaren setzt: Das Unternehmen hat
       > entscheidend zum Kulturwandel beigetragen.
       
   IMG Bild: Alles kann man teilen: den Grill, das Auto oder Bücher.
       
       Die Share Economy zu kritisieren liegt gerade im Trend. Als
       „Täuschungsritual“ bezeichnete sie der diesjährige Träger des
       Friedenspreises des deutschen Buchhandels, Jaron Lanier. Die Vorteile seien
       nicht größer als die einer Schattenwirtschaft. Byung-Chul Han, Professor an
       der Berliner Universität der Künste, sieht sie als Weg hin zur
       Totalkommerzialisierung des Lebens. Und in Foren klagen Nutzer über
       Zimmervermittler, die unter dem Label der Share-Economy Wohnraum an
       Touristen vermieten, ihn so verknappen und die Mieten in die Höhe treiben.
       
       Die Kritik verwundert nicht, wird doch das Bild der Share Economy gerade
       maßgeblich bestimmt durch große Unternehmen wie die umstrittene
       Taxi-Alternative Uber und ihre Klone oder das Zimmervermittlungsportal
       Airbnb, ebenfalls samt zahlreichen Nachahmern.
       
       Es sind Unternehmen, die sich das Etikett der Share Economy anheften, um
       damit ihr Geschäftsmodell zu vermarkten. So polieren sie ihr Image auf und
       bieten gleichzeitig einen Ablass per App: vermeintlich nachhaltiges Handeln
       ganz einfach, ohne die aufwendige Veränderung von Gewohnheiten, das Ablegen
       lieb gewonnener Rituale, das nachhaltiges Verhalten sonst verlangt.
       
       Dabei hat das Geschäftsmodell von Uber und Co. mit den Werten des „Teilens
       und Tauschens“ nicht viel mehr gemeinsam, als dass unterschiedliche
       Menschen dasselbe Objekt nutzen. So gesehen gehörten auch U-Bahnen zur
       Share Economy. Oder Restaurants.
       
       ## Langlebigkeit und Qualität
       
       Die Werteordnung dagegen, die die Share Economy ausmacht, ist in erster
       Linie der verantwortungsvolle Umgang mit Ressourcen. Das Teilen, Tauschen,
       Weitergeben, Leihen sollen ganz direkt dazu führen, dass weniger Produkte
       benötigt und damit weniger hergestellt werden. Indirekt kommt ein weiterer
       Faktor dazu: Wer schon beim Kauf mitdenkt, dass er sein Auto, die
       Eismaschine oder den Grill verleihen will und dafür womöglich Geld bekommt,
       achtet stärker auf Langlebigkeit und Qualität. Und diese Kaufentscheidungen
       kommen irgendwann auch bei den Herstellern an.
       
       Bei Smartphones ist so eine Entwicklung gerade in Sachen Wasserfestigkeit
       zu sehen. Einige Modelle stellen schon durch Schweißentwicklung beim Joggen
       dauerhaft ihren Dienst ein, andere spätestens bei Nieselregen. Hier handelt
       es sich schon fast um geplante Obsoleszenz, die bewusste Verkürzung der
       Lebensdauer von Geräten. Schließlich lässt sich nicht jedes Telefonat
       beenden, nur weil gerade ein Schauer aufzieht.
       
       Doch vor ein paar Jahren kamen die ersten wasserfesten Modelle auf den
       Markt – und entpuppten sich über die Outdoorszene hinaus als beliebt.
       Mittlerweile setzen Hersteller nicht nur bei Nischenprodukten, sondern
       zunehmend auch bei ihren Flaggschiffmodellen auf Wasserfestigkeit. Das
       verlängert die Haltbarkeit – gerade bei Smartphones ein nicht zu
       unterschätzender Faktor, denn hier floriert der Handel mit gebrauchten
       Geräten.
       
       Das ist nicht selbstverständlich. In den vergangenen zwei Jahrzehnten war
       das Konzept des Nutzens von Gebrauchtem etwas für den Notfall. Etwa für
       die, die sich keine Neuware leisten konnten, oder für überzeugte
       Konsumverweigerer. Es gab Kleiderkreisel, Flohmärkte, Kleinanzeigen in
       Zeitungen, alles auf überschaubarem Niveau.
       
       ## Besitzer auf Zeit
       
       Dass sich die Einstellungen der Verbraucher verändert haben, dass es wieder
       ganz selbstverständlich ist, Gebrauchtes zu nutzen, nicht nur Käufer zu
       sein, sondern auch Verkäufer, nicht Besitzer für immer, sondern auf Zeit,
       das ist zumindest teilweise der Verdienst eines Konzerns, der mittlerweile
       Umsätze in zweistelliger Milliardenhöhe macht: Ebay.
       
       Der Ebay-Effekt ist wissenschaftlich erforscht. Wissenschaftler um
       Siegfried Behrendt vom Institut für Zukunftsstudien und
       Technologiebewertung befragten dafür unter anderem Nutzer der Plattform.
       Fazit: Die neuen Möglichkeiten haben zu einem „kulturellen Wandel“ geführt,
       an dem das Unternehmen maßgeblichen Anteil hatte und im Zuge dessen sich
       das Konsumverhalten tiefgreifend verändert hat. Und das überwiegend als
       sogenannter substituierender Konsum, das heißt: Die meisten Käufer eines
       gebrauchten Notebooks kaufen es statt eines neuen. Und nicht zusätzlich
       noch ein Tablet oder E-Book-Reader, schließlich haben sie ja Geld gespart.
       
       Dass Ebay mittlerweile immer stärker auf Neuware setzt und der Handel mit
       Gebrauchtwaren eher nebenbei läuft, ironisiert einerseits ihre Geschichte
       und folgt andererseits der Logik eines gewinnorientierten Unternehmens. Es
       zeigt die Nachteile, wenn die Share Economy kommerzialisiert wird. Dennoch.
       
       Der Kulturwandel ist da, und er zeigt: Wenn ein Konzern die Share Economy
       für sich entdeckt, hat er das Potenzial, auf breiter Ebene zu Veränderungen
       beizutragen. Es muss also für eine alternative Entwicklung nicht von
       Nachteil sein, wenn ein Unternehmen sich diese Idee zumindest zeitweise zu
       eigen macht und die Werte massenkompatibel verpackt.
       
       ## Carsharing und Uber
       
       Potenziale gibt es genug. Etwa im Verkehrssektor, wo allem Carsharing und
       Einwegmieten zum Trotz der eigene Pkw immer noch das liebste
       Fortbewegungsmittel der Deutschen ist. Uber, das schon mit seinem
       Geschäftsfeld der Chauffeurvermittlung kaum zu weniger Autos auf der Straße
       beiträgt, wird daran nichts ändern.
       
       Natürlich hat Byung-Chul Han recht, den Kapitalismus beenden wird die Share
       Economy nicht. Denn die Voraussetzung für das gemeinschaftliche Nutzen ist:
       Irgendjemand muss etwas haben. Im Postkonsumismus wird also auch das Teilen
       und Tauschen nicht münden, zumindest nicht, solange die Produkte nicht ewig
       halten, es Neuentwicklungen gibt und Waren des täglichen Bedarfs nicht
       subsistent erzeugt werden.
       
       Aber es muss auch nicht immer gleich um Postkonsumismus gehen. In Zeiten,
       in denen die übliche Nutzungsdauer eines Smartphones bei etwa 16 Monaten
       liegt, Tendenz sinkend, ist es schon ein Fortschritt, die ständig schneller
       rotierenden Zyklen mal zu bremsen. Runterschalten. Weniger besitzen.
       Gegenstände länger nutzen. Teilen, tauschen, weitergeben – das ist sicher
       nicht die perfekte Lösung. Aber ein guter Weg.
       
       6 Dec 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Svenja Bergt
       
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