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       # taz.de -- Senat lässt Flüchtlinge frieren: Linke fordert Czajas Rücktritt
       
       > Der Sozialsenator weiß nicht mehr, was seine Verwaltung macht – oder er
       > lügt, kritisiert die Opposition. Grüne fordern Bargeld für Unterkünfte.
       
   IMG Bild: Innenansicht der neuen Aufblas-Notunterkunft in Moabit
       
       Die Opposition ist empört über die Aussage von Sozialsenator Mario Czaja
       (CDU), in Berlin bekämen neu ankommende Flüchtlinge Hostelgutscheine und
       würden nicht in die Obdachlosigkeit geschickt. „Was Czaja sagt, stimmt
       nicht“, sagt die Grünen-Abgeordnete Canan Bayram. Das zuständige Landesamt
       für Gesundheit und Soziales (LaGeSo) gebe zurzeit keine Gutscheine aus.
       Ihrer Kollegin von der Linkspartei, Elke Breitenbach, wurde dies auch von
       Mitarbeitern bestätigt. „Der Senator weiß entweder nicht, was in seinem
       Laden passiert, dann kann er nach Hause gehen. Oder er leugnet es – dann
       muss er auch gehen“, findet sie.
       
       Nach deutschem und EU-Recht ist jedes Bundesland verpflichtet, Menschen,
       die Asyl beantragen, zu versorgen. Czaja hatte am Mittwoch im
       Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses erklärt, die Erstaufnahme von
       Flüchtlingen in Berlin sei am 21. November vorerst gestoppt worden, weil es
       Fälle von Masern und Windpocken in mehreren Heimen gebe. Ankommende
       Flüchtlinge blieben aber nicht unversorgt; sie bekämen Gutscheine für
       Hostelübernachtungen oder Fahrkarten in andere Bundesländer.
       
       Dem hatte noch in derselben Sitzung die zuständige Personalrätin des LaGeSo
       widersprochen: Andere Bundesländer nähmen nicht auf; ihre Mitarbeiter
       müssten deshalb Flüchtlinge in die Obdachlosigkeit entlassen. Betroffene
       und LaGeSo-Mitarbeiter bestätigten dies später der taz. Am Freitag sprach
       das LaGeSo dann von „Einzelfällen“, in denen man nicht helfen könne.
       
       Doch von Einzelfällen kann keine Rede mehr sein. Breitenbach hat von einem
       LaGeSo-Mitarbeiter gehört, dass er an einem Tag 20 Menschen habe
       wegschicken müssen. Auch der taz wurde berichtet, dass seit einigen Wochen
       keine Übernachtungsgutscheine ausgeteilt werden.
       
       Ein möglicher Grund sind nach taz-Informationen Probleme des LaGeSo mit
       diesen Gutscheinen. Schon seit einiger Zeit gibt das Amt sie an Flüchtlinge
       aus, denen es keinen Übernachtungsplatz anbieten kann. Die Flüchtlinge
       müssen damit selbstständig ein Hotel oder Hostel finden, das den Gutschein
       im Wert von maximal 50 Euro pro Person und Nacht akzeptiert. Doch zum einen
       gibt es wohl zunehmend Beschwerden von Hostels, sie müssten zu lange auf
       die Erstattung der Kosten warten. Zum anderen häufen sich Berichte über
       Missbrauch: Offenbar werden Flüchtlinge mancherorts in 10-Bett-Zimmern
       zusammengepfercht oder in günstigere Hostels nach Brandenburg gebracht,
       ohne dass dies abgerechnet wird.
       
       Die Grünen fordern angesichts des Unterbringungschaos, den Flüchtlingen das
       Geld für eine Übernachtung bar auszuzahlen. „Für 50 Euro pro Nacht müsste
       man etwas Anständiges finden können“, sagt die Abgeordnete Bayram. Die
       Linke Breitenbach weist darauf hin, dass das LaGeSo vorher klären muss,
       welche Hostels solche Gutscheine annehmen. „Man kann die Leute nicht in
       einer fremden Stadt aussetzen und eine Unterkunft suchen lassen. Wer kein
       Hostel findet, ist auch obdachlos.“
       
       Der Piratenabgeordnete Fabio Reinhardt weist auf weitere Ungereimtheiten
       hin. Dass in fünf von sechs Erstaufnahmeeinrichtungen angeblich
       gleichzeitig Masern und Windpocken auftreten, nennt er „sehr
       unwahrscheinlich“. Und es sei wohl kein Zufall, dass Czaja die
       Masern-Nachricht ausgerechnet an jenem Tag bekannt gab, als der
       Hauptausschuss über Flüchtlingsunterbringung, die geplanten Containerdörfer
       und vor allem die Vorwürfe der Vetternwirtschaft diskutieren wollte.
       
       ## Neue Horrornachrichten
       
       Vor einigen Wochen war bekannt geworden, dass der LaGeSo-Chef Patenonkel
       des Geschäftsführers einer Firma ist, die Heime betreibt und vom Amt gut
       mit Aufträgen versorgt wird. Die Debatte darüber wurde am Mittwoch nach 20
       Minuten abgebrochen; auch in den Medien ging es seither nur um die Masern
       und die damit begründeten Aufnahmesperre für Flüchtlinge. „Czaja will
       offensichtlich von seiner Verantwortung für das Missmanagement bei der
       Unterbringung ablenken und produziert dafür künstlich Horrornachrichten“,
       so Reinhardt.
       
       30 Nov 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Susanne Memarnia
       
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