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       # taz.de -- Peak Oil und Ölkrise: Das ist hundsgefährlich!
       
       > Saudi-Arabien verweigert der Opec die Drosselung der Förderquote und
       > spornt Deuter zu Spekulationen an: Sollen Staaten destabilisiert werden?
       
   IMG Bild: Der taumelnde Ölpreis trifft die boomende US-Produktion von Fracking-Öl ins Mark.
       
       Saudi-Arabien hat sich durchgesetzt. Die Organisation Erdöl exportierender
       Länder (Opec) wird ihre Erdölförderung vorerst nicht drosseln. Das
       verzweifelte Betteln der Habenichtse – Nigeria, Iran, Venezuela –, die, um
       den abgestürzten Ölpreis zu stabilisieren, unbedingt die Förderquote
       reduzieren wollten, blieb unerhört.
       
       Der Ölpreis reagierte mit einem weiteren Absacker, die Aktiennotierungen
       von Luftfahrtgesellschaften und Autokonzernen schossen in die Höhe. Schon
       vor der entscheidenden Sitzung am Donnerstag in Wien hatte der saudische
       Ölminister Ali al-Naimi den Kurs festgezurrt: Der Markt soll es richten,
       irgendwann werde sich der Ölpreis von selbst stabilisieren, sagte al-Naimi.
       Das wird er auch, die Frage ist nur, auf welchem Niveau.
       
       Die Opec war sich noch nie einig. Und der Grad der Solidarität
       untereinander tendiert wie gewohnt gegen null. In dem zerstrittenen Kartell
       bestimmen die Saudis die Richtung. Als „Swing-Producer“ kann das
       steinreiche Land mit dem Auf und Ab des eigenen Ausstoßes das weltweite
       Ölangebot und damit auch den Preis in gewissen Grenzen beeinflussen.
       
       Doch Riad bleibt stur. Und die geopolitischen Weltendeuter in den Medien
       und Finanzzentren überschlagen sich mit wilden Spekulationen: Wird hier ein
       neuer Machtkampf zwischen der saudischen und der US-amerikanischen
       Ölindustrie ausgetragen? Ein Ringen um die weltweite Vorherrschaft auf den
       neu geordneten Ölmärkten?
       
       ## Fracking nicht mehr profitabel
       
       Tatsächlich trifft der taumelnde Ölpreis die boomende US-Produktion von
       Fracking-Öl ins Mark. Mit dem gegenwärtigen Fasspreis von weit unter 80
       Dollar ist Fracking nicht mehr profitabel, an den meisten Standorten sind
       die Produktionskosten deutlich höher.
       
       Was dabei gern übersehen wird: Selbst bei einem Ölpreis von 100 Dollar
       machten die führenden US-Fracking-Firmen Milliardenverluste. Das Defizit
       der 80 größten Unternehmen lag 2013 bei insgesamt 50,6 Milliarden Dollar.
       Entsprechend sind die Neuinvestitionen in die Ausbeutung von Schiefergas
       und -öl dramatisch eingebrochen. Der Slowdown des Frackings hat bereits
       begonnen, die Wachstumskurve krümmt sich.
       
       Natürlich nehmen es die Saudis als hübschen Mitnahmeeffekt billigend in
       Kauf, wenn jetzt einige Frackingfirmen in die Knie gehen. Oder wenn
       Russland, die andere große Fördernation, in diesem Jahr durch den seit Juni
       um 35 Prozent gesunkenen Ölpreis mehr als 100 Milliarden Dollar verliert.
       Dagegen sind die Verluste infolge der EU-Sanktionen wegen der Ukrainekrise
       Peanuts. Aber warum soll Saudi-Arabien als großer Wohltäter die Probleme
       der anderen lösen? Dieselben anderen, die ja ihre eigene Produktion auch
       nicht zurückfahren, sondern eher noch ankurbeln, um den Preisverfall durch
       höheren Output auszugleichen.
       
       Außerdem wissen die Saudis sehr genau, dass ein grenzenloses Absinken der
       Ölnotierungen ausgeschlossen ist. Träume von der Rückkehr eines Fasspreises
       von 30 oder 40 Dollar werden für immer Träume bleiben. Die
       Produktionskosten für Öl sind weltweit gewaltig gestiegen. Öl aus der
       Tiefsee, Öl aus Teersanden und Öl aus Schiefergestein sind teuer; sie
       erfordern einen Handelspreis von über 80, ja teilweise über 100 Dollar.
       
       ## „Easy oil is gone!“
       
       Zur gleichen Zeit nimmt die hochprofitable Förderung aus den normalen,
       „konventionellen“ Ölquellen in rasendem Tempo ab. Ein großer Teil der
       heutigen Ölförderung stammt immer noch aus den alten Ölfeldern, die in den
       1950er und 1960er Jahren entdeckt wurden. Diese Felder haben ihren Peak –
       den Höhepunkt der Förderung – aber längst überschritten.
       
       „Easy oil is gone!“, sagen die Ölexperten – das Zeitalter des leicht zu
       fördernden, billigen Öls ist für immer vorbei; die zweite, die ungemütliche
       Halbzeit des Ölzeitalters hat begonnen. Das kontinuierliche Wegbrechen der
       alten Produktionsbasis wird vom US-Boom beim Fracking derzeit noch
       ausgeglichen und zugleich maskiert. Die USA sind dank Fracking zur
       drittgrößten Fördernation (nicht zur größten, wie immer wieder falsch
       behauptet wird!) aufgestiegen.
       
       Doch eine Wiederholung der Frackingblase in einem anderen Land, etwa in
       China, ist in diesem Ausmaß höchst unwahrscheinlich. So wird nach dem
       Platzen der US-Blase und dem starken Rückgang der Ölgewinnung durch
       Fracking schon am Ende dieses Jahrzehnts die Fratze des alten Problems zum
       Vorschein kommen: ein weltweites Sinken der Ölförderung und eine
       Menschheit, die darauf nicht vorbereitet ist. Weil die Vokabeln
       „Endlichkeit“ oder „Verknappung“ in der Welt des Immer-mehr nicht
       existieren.
       
       Der Absturz des Ölpreises wird von vielen als ein segensreiches
       Weltkonjunkturprogramm angesehen: Die Verbraucher sparen Milliarden an
       Benzin- und Heizkosten, die sie für Konsumgüter ausgeben können. In den USA
       wird zudem bejubelt, dass der niedrige Ölpreis einigen Schurkenstaaten wie
       Iran oder Venezuela das Licht ausblase und Wladimir Putin ins Armenhaus
       zurückschicke.
       
       ## Der Ölpreis destabilisiert die Welt
       
       Doch jenseits aller tumben Chauvinismen ist dieser Ölpreis vor allem eines:
       hundsgefährlich. Er destabilisiert die Welt, er treibt einige Förderländer
       direkt in den Staatsbankrott, er verleitet zu alter Verschwendungssucht mit
       hohem Ölverbrauch und schadet so auch dem Klima. Er verlangsamt den Umbau
       weg vom Öl und verschleiert die Knappheit einer Ressource, die eine Million
       Mal so schnell verbraucht wird, wie sie entstanden ist. Schließlich treibt
       der Preissturz, der auch den Rubel in den Abgrund rollen lässt, einen
       unberechenbar gewordenen russischen Präsidenten immer mehr in die Enge.
       
       Auch die Internationale Energieagentur in Paris – der globale
       Energiewachhund – ist nicht glücklich über den niedrigen Ölpreis. Der
       Sirenenton der „Executive Summary“ des letzten Weltenergieberichts 2014 ist
       unüberhörbar, der Jubel über die Erfolge des Frackings längst verklungen.
       Die IEA sieht „das Weltenergiesystem unter Stress“, fordert mehr
       Energieeffizienz und mahnt seit Jahren dringende Investitionen im Ölsektor
       an.
       
       Doch bei schwachen Ölnotierungen werden genau diese Investitionen
       zurückgefahren oder ganz unterbleiben – so wie die Konzerne Statoil und BP
       jetzt ihre Ölsandprojekte gecancelt haben. Der hohe Ölpreis hatte
       Investoren gelockt und hatte die Nachfrage gedämpft. Jetzt dreht sich der
       Spieß um, bis die Kurse an den Ölmärkten wieder ein dreistelliges Niveau
       erreichen. Würde der Ölpreis die ökologische Wahrheit sagen, wären 200
       Dollar je Barrel angemessen.
       
       28 Nov 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Manfred Kriener
       
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