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       # taz.de -- Nachwuchsförderung im Fußball: Sie dürfen nur spielen
       
       > In der Youth League kann Schalke gegen Chelsea gewinnen. Eine Geschichte
       > über Talente, die sich an die Grenze der Belastbarkeit vorwagen.
       
   IMG Bild: Die künftigen Profis sind auch heute schon schwer beschäftigt
       
       OER-ERKENSCHWICK taz | Der Mann aus London ist glücklich. Im Herbst vor
       einem Jahr wollte er schon einmal nach Oer-Erkenschwick. Ein falscher Zug,
       erzählt er, brachte ihn damals aber nach Münster. Nun steht der leicht
       untersetzte Mittvierziger am Ortsrand der kleinen westfälischen Kreisstadt
       über sein Mobiltelefon gebeugt, das ihm die letzten 200 Meter zum
       Stimberg-Stadion weisen soll.
       
       Irgendwo hier hinter den schlichten Wohnhäusern soll wie schon in der
       Premierensaison der Uefa-Youth League das Duell zwischen dem
       U19-Juniorenteam von Schalke 04 und seinem Lieblingsklub, dem FC Chelsea
       stattfinden. Am Abend wird er dann in der Arena auf Schalke dabei sein,
       wenn sich die Profiteams beider Vereine begegnen.
       
       Seit letztem Jahr lässt die Uefa während der Gruppenphase der Champions
       League die Jugendteams gegeneinander antreten. Mit dem Wettbewerb, erklärte
       der Europäische Fußballverband, wolle man „eine Brücke zwischen Jugend- und
       Profimannschaften“ schlagen. Weil es dem mehrfachen Juniorenmeister Schalke
       04 immer noch an einem geeigneten Platz für die Nachwuchsmannschaft fehlt,
       muss der Klub die Brücke bis ins knapp 30 Kilometer entfernte
       Oer-Erkenschwick bauen.
       
       Auf den ersten Blick lassen sich nur wenig Verbindungen zwischen den beiden
       Wettbewerben erkennen. So karg wie sich die nahezu entlaubten Bäume rund
       ums Stimberg-Stadion zeigen, sieht es auch auf den Rängen aus. Offiziell
       480 Zuschauer verlieren sich hier um die Mittagszeit. Der internationale
       Charakter der Veranstaltung wird lediglich durch eine kleine, ans Spielfeld
       vorgerückte blaue Bande mit der Aufschrift „Uefa Youth League“ markiert.
       
       ## Purismus, Demut und Respekt
       
       Beim Erscheinen der Junioren erklingt wie bei den Profis das Steigerlied –
       die Bergmannshymne. Schalker Traditionsgut. Vereinzelt klatschen ein paar
       danach. Von da an sind fast nur noch die Zurufe der Akteure auf dem Rasen
       zu hören.
       
       Dieser Purismus ist ganz nach dem Geschmack von Schalkes U19-Trainer
       Norbert Elgert. Der 57-Jährige ist ein ausgewiesener Fachmann für junge
       Fußballer. Er selbst sieht sich zudem als Förderer alter Werte wie Demut
       und Respekt. Manager Horst Heldt nannte ihn einst „den besten Jugendtrainer
       Europas“. Große Schalker Spieler wie Manuel Neuer, Mesut Özil, Benedikt
       Höwedes, Julian Draxler oder Max Meyer sind unter seiner Aufsicht
       herangereift.
       
       Während im ersten Jahr der Youth League alle anderen deutschen Vertreter
       recht kläglich schon in der Vorrunde ausschieden, scheiterte Elgert mit
       seinem Team erst im Halbfinale am späteren Gewinner Barcelona. Sein Fazit
       fällt in erster Linie positiv aus. „Sportlich gesehen ist das ein toller
       Wettbewerb auf sehr hohem Niveau. Da treffen unterschiedliche Spielstile
       und Ausbildungsphilosophien aufeinander. Das hat uns schon sehr viel
       gebracht.“
       
       Der Gewinn dabei ist indes nicht so eindeutig. Die
       Champions-League-Vertreter mussten vergangene Saison erhebliche Opfer
       bringen. „Wir haben fast nur regeneriert und gespielt“, sagt Elgert.
       Grundsätzlich habe das Training als Korrektiv gefehlt, um Fehler
       aufzuarbeiten. Seine Mannschaft muss neben der Youth League ja noch in drei
       anderen Wettbewerben antreten: Junioren-Bundesliga, DFB-Pokal und
       Landespokal.
       
       ## Das Risiko für die Spiele steigt
       
       Für die besten Spieler kommen noch Berufungen in die DFB-Auswahl und
       Landesauswahl Nordrhein-Westfalen hinzu. Zuweilen werden sie auch noch zum
       Training des Profiteams abgeordnet. Norbert Elgert spricht vom
       „Steuerungschaos“. Nur mit viel Erfahrung, Wissen und Können ließe sich
       dieses lösen. Es ist ein Balanceakt. Elgert gibt zu bedenken, dass Training
       auch Verletzungsprophylaxe sei. Ohne ausreichend Übungseinheiten steige das
       Risiko für die Spieler.
       
       Schon vor der Einführung des Wettbewerbs protestierten sowohl deutsche
       Klubs als auch DFB-Vertreter gegen die vielen zusätzlichen Spiele in einem
       sowieso schon vollen Terminkalender. Trainer Robin Dutt, einst
       DFB-Sportdirektor, sah den nationalen Verband um die Früchte seines
       erfolgreichen Nachwuchskonzeptes gebracht: „Wir schaffen hier Eliteschulen
       des deutschen Fußballs, aber die Spieler sind nie dort, weil sie nur noch
       reisen.“ Er forderte die Vereine auf, die Auswahlspieler in der Champions
       League auch mal pausieren zu lassen.
       
       Norbert Elgert, der die Youth League schätzen gelernt hat, fordert hingegen
       das Umgekehrte, auch wenn er es vorsichtshalber etwas verklausuliert
       formuliert: „Steuerbar ist die Entwicklung der jungen Spieler nur dann,
       wenn es optimale Absprachen bezüglich Länderspielmaßnahmen und Training in
       der Profimannschaft gibt.“
       
       ## Vormachtstellung in Gefahr
       
       Weil die Elitenförderung nun per Youth League auf noch höherem Niveau
       organisiert wird, ist der DFB dabei, seine Vormachtstellung in diesem
       Bereich zu verlieren. Gerade hat der Verband festgelegt, die Anzahl der
       U19-Länderspiele zu reduzieren. Die Uefa hingegen hatte zuvor bereits
       angekündigt, die Teilnehmerzahl der Youth League zur kommenden Saison hin
       auf 64 Klubs zu verdoppeln. Mit der Beteiligung der nationalen
       Juniorenmeister soll auch eine Möglichkeit geschaffen werden, sich
       sportlich für den Wettbewerb zu qualifizieren.
       
       Ulf Schott, der Leiter der Direktion Jugend beim DFB, sagt, die Schaffung
       von mehr Regenerationsräumen sei ein Schritt, „der auch unabhängig von der
       Uefa Youth League zu sehen ist“. Zur geplanten Erweiterung erklärt er, dass
       in Europa nur der DFB dieser kritisch gegenüber gestanden hätte. „Im
       Endeffekt war die Entscheidung der Uefa zur Erweiterung ein demokratischer
       Prozess, dessen Ergebnis man respektieren muss.“ Der Unmut zwischen den
       Zeilen ist kaum zu übersehen.
       
       Kritiker der Youth League wie der DFB weisen neben der sportlichen
       Überlastung vor allem auch auf die erheblichen Fehlzeiten in der Schule
       hin. Gut drei Wochen, schätzt Elgert, haben seine Spieler in der
       vergangenen Saison wegen des Wettbewerbs in der Schule gefehlt. Der private
       Nachholbedarf ist durchaus immens. Die fußballerische Elitenausbildung
       steigert unbarmherzig auch den schulischen Druck.
       
       ## Bücher kann man auch auf Reisen mitnehmen
       
       Aber Elgert sieht den Rahmen des Vertretbaren noch nicht überschritten.
       „Wenn einer wirklich leistungsbereit ist, den dualen Weg zu gehen, dann
       schafft er das. Es ist schwierig, aber machbar.“ Und er erklärt: „Die Jungs
       haben sich nicht beschwert.“ Sie seien „heiß“ auf diesen Wettbewerb. So
       verwundert es kaum, dass Thilo Kehrer, der Kapitän der Schalker U19, der im
       nächsten Jahr sein Abitur macht, versichert: „Die Belastung ist höher, aber
       das klappt alles sehr gut.“
       
       Bücher, sagt Elgert, könne man ja auch auf Reisen mitnehmen. Die
       Auswärtsfahrten sind allerdings das einzige, was Elgert an der Youth League
       nicht so richtig behagt. Im Tross mit der Profimannschaft logieren seine
       Talente aus der Knappenschmiede, wie die Nachwuchsabteilung von Schalke
       heißt, in recht feudalen Vier-Sterne-Hotels. „Uns würde auch eine
       Jugendherberge oder ein Zelt reichen“, sagt er. „Für die Ausbildung wäre
       das vielleicht besser, um das richtig zu gewichten und einzuschätzen. Da
       spreche ich auch mit meinen Jungs drüber.“
       
       In Oer-Erkenschwick findet der von Elgert gefürchtete Größenwahn sowieso
       kaum Nährboden. Sein Team gewinnt dank imponierender mannschaftlicher
       Geschlossenheit 2:0 gegen den FC Chelsea. Gegen das derzeit beste U19-Team
       in Europa, wie Elgert sagt.
       
       Als Lohn gibt es dafür einen kräftigen Applaus der Zuschauer, die daraufhin
       sofort das Stadion verlassen. Zurück bleiben die erschöpften Schalker
       Jungtalente auf dem Rasen. Sie erzählen sich, wie sie das Spiel erlebt
       haben und fallen sich dabei ständig gegenseitig ins Wort. Sie arbeiten das
       Geschehen noch einmal ganz allein für sich auf.
       
       29 Nov 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Johannes Kopp
       
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