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       # taz.de -- Klaus Wowereit über Macht: „Das hat mich irre gemacht“
       
       > In zwei Wochen tritt Klaus Wowereit zurück. Der Noch-Regierende über
       > seine Erfolge und die Ohnmacht, den BER nicht mehr selbst eröffnen zu
       > können.
       
   IMG Bild: Er schaut zurück: Klaus Wowereit, der in zwei Wochen von seinem Amt als Regierender Bürgermeister zurücktritt.
       
       taz: Herr Wowereit, würden die Berliner von Ihnen einen Gebrauchtwagen
       kaufen? 
       
       Klaus Wowereit: Einen Gebrauchtwagen und einen Neuwagen gleich dazu.
       
       Alle Berliner? 
       
       Wer kann denn immer gleich alle erreichen?! Auch als Gebrauchtwagenhändler
       hat man eine bestimmte Klientel.
       
       Sie wissen, worauf wir anspielen? 
       
       Nein.
       
       Diese Frage ist der zweite Teil des Ihrer Meinung nach einfachsten Tests
       für Politiker. Zumindest haben Sie das in Ihren Memoiren „Und das ist auch
       gut so“ im Jahr 2007 so formuliert. Die erste Frage lautete damals: Von wem
       fühlen sich die Menschen im Ausland am besten vertreten? 
       
       Das habe ich beantworten müssen? 
       
       Nein, das haben Sie geschrieben. 
       
       Sie habe sich ja richtig vorbereitet auf dieses Gespräch … 
       
       Von wem fühlen sich die Berliner denn am besten im Ausland vertreten? 
       
       Was Sie scheinbar ja unbedingt hören wollen: von mir. Immerhin habe ich das
       gerade bei der Verabschiedung eines US-amerikanischen Diplomaten bestätigt
       bekommen.
       
       Sie haben in Ihrer vorher erwähnten Biografie Willy Brandt als Ihr Vorbild
       dargestellt. 
       
       Willy Brandt ist für mich nach wie vor eine prägende Figur – mit seinem
       Einsatz über Jahrzehnte für den Nord-Süd-Dialog, für Ausgleich, er war
       Friedensnobelpreisträger. Das ist ein Sockel, der ist sehr, sehr hoch.
       
       Zu hoch für Sie? 
       
       Sockel waren nie mein Ziel. Man sollte sowieso tunlichst vermeiden, sich
       selbst einzuordnen in historische Abläufe. Ich glaube übrigens auch nicht,
       dass Brandt daran gearbeitet hat, so etwas zu erreichen – das ist so
       gekommen, das hat er sich verdient, und das haben dann andere bewertet.
       
       Derzeit stehen bei allen Veranstaltungen mit Ihnen die Menschen Schlange,
       um – um im Bild zu bleiben – einen Gebrauchtwagen zu kaufen. Aber das war
       ja beileibe nicht immer so. Selbst vor einem halben Jahr noch – ohne dass
       Sie inzwischen ein anderer geworden wären. 
       
       Wenn man die dreizehneinhalb Jahre betrachtet, die ich Regierender
       Bürgermeister bin, gab es Aufs und Abs. Unabhängig von allen Umfragen und
       selbst nach den Pannen am BER war die Resonanz in der Öffentlichkeit aber
       nie aggressiv. Deswegen kann ich mich nicht beschweren.
       
       Wir wollen ja heute eigentlich über Macht reden. Waren Sie mächtig – oder
       sind es sogar noch trotz Ihrer Rücktrittsankündigung? 
       
       Als Chef der Exekutive hat man Macht. Macht auf Zeit. Trotzdem kann man in
       einer Demokratie nicht machen, was man will: Man muss die Leute immer
       überzeugen, sie mitnehmen.
       
       Sie sind der erste Regierende Bürgermeister, der laut Verfassung eine
       Richtlinienkompetenz hat, also die Leitlinien der Politik vorgibt. Hat das
       geholfen? 
       
       Ich sage es mal so: Wenn man eine formale Richtlinienkompetenz braucht, ist
       schon ein kritischer Punkt erreicht. (lacht) Und schon bevor sie eingeführt
       wurde, war es keine Frage, wer die Vorgaben macht. 
       
       In Ihrer Amtszeit haben Sie öfters nach der Devise agiert: Ein gutes Pferd
       springt nicht höher, als es muss. Brauchen Sie den Kick? 
       
       Gefordert werden ist nicht per se schlecht. Und klar, man braucht auch ab
       und an einen Kick.
       
       Haben Sie diesen Kick zuletzt noch gehabt? Auf dem SPD-Landesparteitag
       Anfang November haben Sie die Opposition gelobt, weil sie Ihrer Meinung
       nach so zahm ist. 
       
       Für den Regierenden ist ja nicht nur die Opposition ein Kick, man hat ja
       auch noch andere Herausforderungen … 
       
       Welche denn? 
       
       Die eigene Partei zum Beispiel. Aber im Ernst: Wenn man viel Routine hat,
       ist die Arbeit leichter, aber das birgt auch die Gefahr, dass man zu
       routiniert wird – im schlechten Sinne.
       
       Sie wurden sehr oft von der Presse mit wenig attraktiven Attributen
       versehen, „arrogant“ war eines der häufigeren Wörter. Wann haben Sie
       aufgehört, diese Texte zu lesen? 
       
       Ich lese die Texte immer noch.
       
       Freiwillig? 
       
       Selbstverständlich. Jeden Morgen zehn Tageszeitungen. Davon lasse ich mich
       nicht abkriegen.
       
       In echt oder nur im Pressespiegel? 
       
       In echt, richtig zum Blättern.
       
       Zurück zur Macht. Wo endete denn Ihre Macht: vor den Türen des
       BER-Aufsichtsrats? 
       
       Die Grenzen sind durch die Verfassung von Berlin gegeben.
       
       Das ist die Macht auf dem Papier. 
       
       Aber es ist auch so. Die müssen ausgefüllt werden. Aber nicht alles lässt
       sich beeinflussen. Manchmal ist man dann auch nicht mehr in der Lage, etwas
       durchzusetzen oder die Verantwortung zu übernehmen.
       
       Haben Ihre Finanzsenatoren Sie sehr stark eingeschränkt in Ihrer Macht? 
       
       Nein. Ich habe sie ja bewusst ausgewählt als starke Persönlichkeiten, die
       auch viel auszuhalten hatten. Zwischen uns bestand immer ein
       Vertrauensverhältnis und dementsprechend auch nie eine Konkurrenz, in der
       ich mich nicht hätte durchsetzen können. Im Gegenteil. Es ist ja relativ
       leicht, sich als Regierender Bürgermeister gegenüber einem Senator
       durchzusetzen.
       
       Was heißt denn: leicht? 
       
       Der Senator, der sich mit dem Regierenden Bürgermeister anlegt, sollte sich
       das gut überlegen. Aber ein guter Regierender Bürgermeister arbeitet mit
       Überzeugung.
       
       Und Sie waren selbstverständlich ein guter. 
       
       Wenn Sie das so sagen … Ich hoffe, ich bin einer.
       
       Wie zeichnet sich dieses Gute aus? 
       
       Durch Erfolge. 
       
       Welche denn? 
       
       In aller Bescheidenheit: Diese Stadt hat sich in den 13,5 Jahren enorm
       entwickelt. Und ich rechne der Politik dabei sehr viel zu. Arbeitslosigkeit
       deutlich zurückgegangen, bundesweit die höchsten Wachstumsraten: Die
       Grundlage ist die positive Wirtschaftsentwicklung. Und dann ist da die
       innere Liberalität Berlins, als Grundlage für wirtschaftlichen Erfolg. Das
       gebe ich auch als Mahnung mit für die Zukunft: Das darf nicht
       vernachlässigt werden. Diese Offenheit der Stadt, das ist unheimlich
       wichtig und eine Voraussetzung dafür, dass Kreativität und Kultur überhaupt
       gedeihen können.
       
       Was mussten Sie denn dafür tun, dass diese Stadt so offen wurde? 
       
       Eine Haltung zeigen, auch in vielen Einzelfragen. Diese Haltung überträgt
       sich dann auch. Und man muss einschreiten dort, wo etwas falsch läuft.
       Rahmenbedingungen schaffen.
       
       Da haben Sie doch Macht, die über den Rahmen der Verfassung hinausgeht. 
       
       Nein, das gehört zum Verfassungsauftrag dazu. Ich muss als Regierender
       Garant dafür sein und es von oben nach unten weitergeben.
       
       Wie gibt man so was weiter? 
       
       Wie gesagt: durch Haltung. Das sind Dinge, die kannst du nicht einfach
       anordnen - die müssen gelebt werden. Deswegen ist mir ja auch so was wie
       die jüngste ARD-Themenwoche "Toleranz" zu wenig. Wir brauchen nicht
       Toleranz, wir brauchen Akzeptanz. Die muss tagtäglich gelebt werden. Dafür
       braucht man Vorbilder. Dazu konnte ich meinen Beitrag leisten.
       
       Wie unterscheiden Sie die beiden Begriffe "Toleranz" und "Akzeptanz"? 
       
       Tolerieren kann ich vieles, etwas zu akzeptieren geht weit darüber hinaus.
       Ich kenne viele Menschen, die etwa eine unterschiedliche Lebensweise nicht
       akzeptieren, aber tolerieren.
       
       Unterm Strich kommt doch das Gleiche raus. 
       
       Nein. Wenn die Akzeptanz da ist, dann ist es etwas Selbstverständliches.
       
       Noch mal zurück zur Macht: Wo sind Sie an die Grenzen Ihrer Macht gestoßen? 
       
       Etwa beim Thema Verwaltungsreform. Man glaubt nicht, wie beharrlich in
       dieser Hinsicht alles sein kann. Da bräuchte man eine Verwaltungsrevolution
       und keine -reform. Das ist aber schwer umsetzbar.
       
       Macht Macht abhängig? Wenn ein Spitzensportler aufhört, muss der erst mal
       runtertrainieren. Was macht der baldige Exspitzenpolitiker Klaus Wowereit? 
       
       Das weiß ich noch nicht. Das muss ich abwarten. Es geht ja vielen Menschen
       in meinen Alter so - das ist nichts Typisches für Politiker -, dass man aus
       dem vollen Berufsleben kommt und plötzlich viel Freizeit hat.
       
       Aber meist aus einer 40-, nicht aus einer 80-Stunden-Woche. 
       
       Es wird nicht einfach werden. Aber ich wusste immer, es war Macht auf Zeit.
       Das bedeutet eben auch, dass, wenn die Zeit abgelaufen ist, die Insignien
       der Macht zurückgegeben werden müssen.
       
       Viele haben ja gewettet: Der Wowereit will unbedingt den BER noch eröffnen.
       Auch um zu verhindern, dass der Flughafen nicht immer negativ mit Ihrem
       Namen verbunden ist. 
       
       Für mich ist das Entscheidende, dass er komplettiert wird und möglichst
       bald öffnet. Das hätte ich natürlich sehr, sehr gern noch vollendet. Da
       haben Sie recht.
       
       Nach der Tempodrom-Affäre um das Veranstaltungszelt aus Beton am Anhalter
       Bahnhof, das statt 16 Millionen Euro schließlich doppelt so viel kostete,
       haben Sie im Jahr 2007 geschrieben: "Inzwischen betrachten wir solche
       Projekte mit größter Skepsis und Sorgfalt." Angesichts des BER-Debakels
       kann man das kaum glauben. 
       
       Das Tempodrom kann man überhaupt nicht mit dem BER vergleichen, weder von
       der Dimension noch inhaltlich. Da sind ganz andere Dinge schiefgelaufen.
       
       Aber Skepsis und Sorgfalt bei Großprojekten, davon merkt man in Berlin doch
       überhaupt nichts! 
       
       Natürlich gibt es die bei jedem einzelnen Projekt. (lange Pause) 
       
       Angenommen, es gab die Skepsis beim BER wirklich: Fühlen Sie sich nicht
       ohnmächtig angesichts des Scheiterns? 
       
       Ohnmacht ist da das falsche Wort. Es ist schon tragisch, wenn man
       feststellt, dass man alle politischen, finanziellen und rechtlichen
       Voraussetzungen getroffen hat und etwas trotzdem nicht wie geplant klappt.
       
       Das ist doch eine Ohnmacht: Da haben Sie alles getan, was in Ihrer Macht
       stand, und dann das! 
       
       Na ja, das ist auf jeden Fall eine Lage, in der man nicht mehr selber
       schrauben kann. Mich hat das schon ziemlich irre gemacht.
       
       Haben Sie eigentlich gern regiert und harte Entscheidungen getroffen? 
       
       Was heißt gern? Entscheidungen müssen getroffen werden, und Prozesse müssen
       irgendwann zu Ende gebracht werden. Damit hatte ich keine Schwierigkeiten.
       
       Von Bundeskanzlerin Angela Merkel heißt es oft: Die entscheidet nicht. Von
       ihrem Vorgänger Gerhard Schröder ist vor allem die Bastapolitik bekannt
       geblieben. Wem fühlen Sie sich denn näher? 
       
       Doch eher in der Mitte. Von Bastapolitik halte ich nichts, nicht
       entscheiden bringt gar nichts. Man muss bereit sein, auch in meiner
       Position, andere Meinungen auf jeden Fall anzuhören und in die Entscheidung
       einzubeziehen.
       
       Sie galten ja immer als einsamer Entscheider. 
       
       Zuhören heißt nicht, dass man diesen Ratschlägen immer folgt. Grundsätzlich
       aber gilt, dass jeder ein Korrektiv braucht. Aussitzen kann auch mal
       erfolgreich sein, aber sicher nicht auf Dauer.
       
       Sie haben im Jahr 2007 geschrieben: "Wenn es ein Machtsystem Wowereit gibt,
       dann ist Michael Müller Ehrenmitglied". Jetzt wird das Ehrenmitglied Ihr
       Nachfolger - und das Machtsystem Wowereit existiert weiter? 
       
       Nein. Das Machtsystem Wowereit existiert nicht weiter, weil ich ja nicht
       mehr dabei bin.
       
       Sie sind ganz weg? 
       
       Ich bin ganz raus aus der aktiven Politik.
       
       Kein Strippenziehen mehr? 
       
       Ich fand es nie sehr hilfreich, wenn Ehemalige vermeintlich gute Ratschläge
       gegeben haben. Aber man weiß ja nie, was alles passiert. Bei übergeordneten
       Themenbereichen jenseits der Tagespolitik kann ich mir sicher auch
       vorstellen, mal die Stimme zu erheben.
       
       Manche haben Sie bereits als künftigen Oberolympia-Werber gehandelt. 
       
       Sicher ist denkbar, dass ich bei einer Olympiabewerbung helfe. Ich werde da
       keine Management-Funktionen übernehmen. Aber es ist doch
       selbstverständlich: Wenn ich gebraucht werde und helfen kann, dann werde
       ich das tun.
       
       26 Nov 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Stefan Alberti
   DIR Bert Schulz
       
       ## TAGS
       
   DIR Klaus Wowereit
   DIR Berlin
   DIR Senat
   DIR Regierende Bürgermeisterin
   DIR Martin Delius
   DIR Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
   DIR Michael Müller
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