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       # taz.de -- Friedensbewegung will sich verjüngen: Gute Nacht, Freunde
       
       > Unter den neuen Friedensfreunden sind auch ein paar mit äußerst
       > fragwürdigem Hintergrund. Kann ein Schulterschluss mit ihnen gelingen?
       
   IMG Bild: Der ehemalige Radio Fritz-Moderator Ken Jebsen hält auf einer Montagsdemo eine Rede.
       
       BERLIN taz | Es gibt da diesen schönen Satz: Wer zu allen Seiten offen ist,
       kann irgendwo nicht ganz dicht sein.
       
       Das ist, natürlich, eine einfache Wahrheit. Aber wir wissen doch: Wenn es
       dann um die Praxis geht, ganz konkret, sind Toleranz und so weiter doch
       immer recht brauchbare Begleiter. Reiner Braun ist ein Mann, der seit
       Langem nach Wahrheit sucht, nach seiner. Eine davon ist, dass er stets auf
       der richtigen Seite stehen möchte. Wer möchte das nicht? Reiner Braun steht
       auf der Seite des Friedens.
       
       Der Mann gehört zu den alten Bekannten der klassischen Friedensbewegung.
       Als Geschäftsführer der Ialana – der „Juristinnen und Juristen gegen
       atomare, biologische und chemische Waffen“ – ruft er seit Jahren immer
       wieder zu den Klassikern der pazifistischen Szene auf: zu
       Friedensdemonstrationen, zu Ostermärschen. Und es geht ja ebenfalls seit
       Jahren so, dass Braun und seine alten Gefährten sich dann stets diesen
       Vorwurf anhören dürfen: Sie feierten da eine Pazifismuspolitik der 80er
       Jahre. Sie seien nicht bereit für Erneuerung. Jetzt hat Reiner Braun sich
       bewegt. Jetzt hat er den Salat.
       
       Denn aus dem, was eigentlich ein „Friedenswinter“ werden sollte – ein neuer
       Schulterschluss junger und alter PazifistInnen mit zahlreichen
       Veranstaltungen und einer Demonstration am 13. Dezember vor dem Sitz des
       Bundespräsidenten Gauck –, droht derzeit vor allem eines zu werden: eine
       neue Zerreißprobe der Friedensbewegung.
       
       Wer verstehen will, wie diese Bewegung funktioniert, kann einer Spur
       folgen, die ihre eigene Logik hat. Es ist die Politik des
       Aufruf-Unterschreibens. Das Aufruf-Unterschreiben ist unter Linken ja eine
       Wissenschaft für sich. Eine Grundregel gilt dabei aber meist: Unterschreibe
       nicht mit, sagen wir, Antisemiten.
       
       Tobias Pflüger ist ebenfalls ein altbekannter Friedenskämpfer. Der Pazifist
       ist stellvertretender Bundesvorsitzender der Linkspartei. Neulich reichten
       Reiner Braun und ein paar andere ihm einen Aufruf ein. Es ging um die
       Gauck-Demo und einiges andere. Unterschreiben sollten den Aufruf ein paar
       Prominente, Codename, hinter vorgehaltener Hand: die „Friedensschickeria“.
       Reinhard Mey etwa, Konstantin Wecker, die üblichen Verdächtigen halt. Am
       Ende unterzeichneten neben ihnen auch Sahra Wagenknecht und der frühere
       SPD-Staatssekretär und Umweltpolitiker Michael Müller.
       
       Weil Pflüger ein angesehener Mann in der Szene ist, wurde auch er gebeten.
       Er unterzeichnete. Dann aber sah er, wer noch so mit ihm auf der Liste
       stand. Das waren Namen wie Lars Mährholz und Ken Jebsen. Pflüger zog seinen
       Namen sofort wieder zurück. „Mit solchen Leuten“, sagt Pflüger, „verbindet
       mich gar nichts.“ Auch andere, wie der Aktivist Monty Schädel, warnen vor
       der neuen Allianz.
       
       ## Verschwörungstheorien
       
       Das hat einen Grund: Mährholz und Jebsen sind zwei der zentralen Figuren
       hinter den „Montagsmahnwachen“. Diese erhielten in diesem Jahr zeitweise
       großen Zulauf – häufig von bislang weniger organisierten Leuten. In die
       Kritik gerieten die Mahnwachen allerdings ebenso schnell. Denn die
       politische Analyse vieler Beteiligter lautet in schöner Pauschalheit: Der
       Putin ist doch kein Schlechter, die Medien verschweigen die Wahrheit,
       israelische Lobbyisten ziehen die Strippen.
       
       Kurz: Die Szene ist anfällig für Verschwörungstheorien und Blöderes.
       Jebsen, der unter den neuen Wilden wie ein Held verehrt wird, musste sich
       immer wieder mit Antisemitismusvorwürfen auseinandersetzen. Zu Recht.
       
       Doch bei den etablierten Pazifisten gab es auch eine Neugier. Und so
       beschloss die institutionalisierte Friedensbewegung, als sie im Oktober in
       Hannover zu einer Aktionskonferenz lud, dass es den Versuch wert ist, sich
       für die Montagsmahnwachen zu öffnen.
       
       ## Alle unter einem Dach
       
       Das Projekt: ein „Friedenswinter“, bei dem sich auf verschiedenen
       Veranstaltungen möglichst alle unter einem Dach versammeln sollen. Deswegen
       geht es bei dem Streit, anders, als es wirkt, nicht um die Aufrufe selbst.
       Es geht um die Frage: Wer ist die ganze neue Friedensbewegung? Und wie
       unterkomplex, wie antisemitisch darf sie im Zweifel werden?
       
       Reiner Braun verteidigt diesen Beschluss bis heute. Er sagt etwa: „Ken
       Jebsen formuliert eine relativ scharfe Israelkritik – aber auch nicht
       mehr.“
       
       Eine alte Bekannte von ihm hat dagegen schon kalte Füße bekommen: Laura von
       Wimmersperg, eine Grande Dame der Bewegung, war gerade noch mit Braun daran
       beteiligt, Erstunterzeichner zu werben. Interessantes Detail: Ihr eigener
       Name taucht allerdings selbst gar nicht auf.
       
       Dem Vernehmen nach hat sie, als sie die umstrittenen Mitunterzeichner sah,
       einen Rückzieher gemacht. Nun macht sie es sich gemütlich und hat einen
       eigenen Aufruf gestartet. Da ist zumindest der Abstand klar. Für sie.
       Vermeintlich.
       
       25 Nov 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Martin Kaul
       
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