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       # taz.de -- Friedenspreis geht an Snowden: Für widerständiges Handeln
       
       > Edward Snowden wird für seine Aufklärungsarbeit mit dem Stuttgarter
       > Friedenspreis geehrt. Eine gekürzte Fassung der Laudatio.
       
   IMG Bild: Snowden über sich: „I am an indoor cat“
       
       Der Preis der Freiheit ist hoch. Überall, in jedem Land der Welt. In
       Diktaturen natürlich unvergleichlich höher als in Demokratien. Nun wissen
       wir aber auch, dass in den Vereinigten Staaten, dem Land, das uns Deutschen
       aus vielerlei historischen Gründen als das gelobte „land of the free, home
       of the brave“ so nahe stand – dass sich in den USA ein hinterlistiger
       Überwachungsstaat mit Hilfe seiner Geheimdienste etabliert hat, der die
       Angst seiner Bürger nach 9/11 instrumentalisiert, um Kontrollmechanismen zu
       etablieren, die man manchmal lieber für Science-Fiction halten würde …
       
       Es geht um handfeste ökonomische Interessen, zum Beispiel von
       Telefongesellschaften, aber nicht nur. Und es geht um imperialistische
       Strategien von großer Tragweite. Wir wissen all dies nur, weil Edward
       Snowden bereit war, den Weg des Whistleblowers zu gehen.
       
       Wer ist dieser Mann, dem die Vereinigten Staaten den Prozess machen wollen
       – als Landesverräter? „I go by Ed“, so stellt er sich vor in Gesprächen.
       Und er sagt über sich: „I am an indoor cat, a computer guy. I don’t go out
       and play football and stuff – that’s not me. I want to think, I want to
       build, I want to talk, I want to create.“ (…)
       
       „Ed“ hatte als IT-Sicherheitstechniker und als Systemadministrator Zugriff
       auf alle Dokumente des inneren Kreises, dem Kernbereich der National Secret
       Agency, die offensichtlich eine umfassende, lückenlose Überwachung aller
       Bürger anstrebt – und in erschreckendem Ausmaße schon praktiziert. (…)
       
       ## Das Ende der Unschuld
       
       Chelsea Manning sitzt im Gefängnis; Julian Assange lebt seit zwei Jahren in
       der Botschaft von Ecuador, eingesperrt; Edward Snowden sitzt in Russland
       fest; Laura Poitras und Glenn Greenwald werden vermutlich nie wieder in
       ihrem Leben nicht überwachte Schritte tun können. Peter Maas hat für das
       Magazin der New York Times ein wunderbares Porträt über Laura Poitras
       geschrieben, dessen abschließenden Satz ich hier gern zitiere: „Das größte
       Paradox ist es natürlich“, so Peter Maas, „dass alle ihre Anstrengungen und
       Mühen, die staatliche Überwachung zu verstehen und aufzudecken, sie nun
       wahrscheinlich für ihr restliches Leben zu eben dieser Überwachung verdammt
       haben.“
       
       Laura Poitras selbst sagte: „Unser Leben wird nie wieder so sein wie
       vorher. Ich weiß nicht, ob ich jemals wieder irgendwo leben kann mit dem
       Gefühl, dass ich so etwas wie eine Privatsphäre habe. Das könnte einfach
       unwiderruflich und komplett vorbei sein.“
       
       Das gilt natürlich umso mehr für Edward Snowden, dem Geheimdienstuntreuen
       selbst. Aber ich möchte diese vier anderen Musketiere der Investigation,
       gemeinsam mit der Ehrung für Snowden, ins Bewusstsein rücken, weil ihre
       unglaublich gelungene Choreografie der publizistischen Enthüllungsskandale
       höchste Achtung und Ehre verdient. Und ich glaube, dies ist sehr im Sinne
       unseres Helden:
       
       „Es geht nicht um mich, um meine Persönlichkeit“, sagt Edward Snowden in
       Poitras Dokumentarfilm „Citizenfour“. „Es geht um die Sache, um das, was
       uns gerade genommen werden soll – die intellektuelle Freiheit. Die Freiheit
       zu denken, was wir wollen. Unzensiert und in einer geschützten
       Privatsphäre.“
       
       ## Mehr als nur Informanten
       
       Um diese Freiheit wirklich schützen zu können, brauchen wir eine Teamarbeit
       auf höchstem Niveau. Die neuen Medien und das weltumspannende Internet mit
       seinem Januskopf der grandiosen Freiheit und der infamen Kontrolle durch
       Staat, Militär und Wirtschaftskonzerne haben unsere Weltwahrnehmung in den
       letzten Jahren massiv verändert.
       
       Die Schattenseiten dieser neuen Welt aufzudecken – dafür gebührt Edward
       Snowden und seinen MitstreiterInnen unser aller Dank. Whistleblower sind
       mehr als nur klassische Informanten. Edward Snowden ist im vollen
       Bewusstsein der geplanten Strafverfolgung für seinen Geheimnisverrat an die
       Öffentlichkeit gegangen. Er riskiert sein Leben. Seine Bewegungsfreiheit.
       Sein Privatleben. Und warum? Aus Gewissensgründen, aus Liebe zur Freiheit.
       
       Edward Snowden konfrontiert uns mit einer Grundfrage, die so alt ist wie
       die Welt, sich aber heute unter anderen Vorzeichen, in anderer Gestalt, in
       den Gefahren einer hoch modernen Technologie zeigt: Wie weit gehen wir
       selbst für die Wahrheit? Welchen Preis sind wir bereit zu zahlen für
       ausgesprochene, aufgezeigte Wahrheiten, die uns gegebenenfalls auf die
       Liste der sogenannten Landesverräter befördern? (…)
       
       Welche neue Verantwortung kommt auf mich, auf uns als Journalisten zu in
       Zeiten der Überwachung und der allseits geforderten Transparenz? In London
       wurde das Büro des Guardian auf den Kopf gestellt – in antiquierter
       Old-School-Geheimdienstlogik bestand man auf der Zertrümmerung der
       Festplatten … Als gäbe es nicht längst Kopiermedien!
       
       ## Bereitschaft einiger Weniger
       
       Aber gerade, da wir als JournalistInnen auch einen größeren Schutz im Namen
       der Pressefreiheit genießen als viele andere, stehen wir auch in einer
       großen Pflicht und Verantwortung, mutigen Menschen wie Edward Snowden mit
       unserem publizistischen Wissen und der ganzen Stärke unserer Medien zur
       Seite zu stehen.
       
       Die Freiheit, die wir in Europa noch genießen, sie wird immer wieder
       geschützt mit der Bereitschaft einiger Weniger, die ihre eigene Freiheit
       und sogar ihr Leben aufs Spiel setzen (…).
       
       Weitere Aufdeckungen sind in Vorbereitung. Mit dieser Ankündigung endet der
       Film „Citizenfour“. Es gibt also noch mehr Whistleblower – Menschen, die
       sich ein Beispiel genommen haben an dem mutigen Aufstand gegen inhumane
       Praktiken, mit dem Edward Snowden vorangegangen ist.
       
       Liebe „Anstifter“, auch ihr mahnt immer wieder die Menschenrechte und den
       unteilbaren Wert unserer Freiheit an. Es ist schön, dass ihr nun den
       Stuttgarter Friedenspreis übergebt an Edward Snowden, der weltweit so viele
       Menschen inspiriert hat – und anstiftet zur Rebellion.
       
       Edward, ich danke dir sehr für diese Erinnerung an das eigentlich
       Selbstverständliche, das sich (…) leider nicht mehr von selbst versteht.
       Aber hat es das jemals? Unsere Zeiten bergen vielleicht nur andere
       Gefahren. Diese Gefahren so genau wie möglich zu kennen, ist die
       Voraussetzung für widerständiges Handeln.
       
       23 Nov 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ines Pohl
       
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