URI: 
       # taz.de -- Jahrestag der Maidan-Proteste: „Ukraine über alles“
       
       > Tausende gedenken in Kiew des ersten Jahrestags der Proteste auf dem
       > Maidan. Auch 2.000 Anhänger der Nationalisten marschieren auf.
       
   IMG Bild: Der Maidan im Januar 2014. Niemand in der Ukraine hätte sich vor einem Jahr die weitere Entwicklung des Landes vorstellen können
       
       KIEW taz | Tausende Ukrainer haben am Freitag auf dem Kiewer Maidan den
       Jahrestag des Beginns der Protestbewegung begangen. In der
       Taras-Schewtschenko-Gasse, einer Seitenstraße des Unabhängigkeitsplatzes,
       wartete eine Gruppe Männer mit zwei großen, gelben Fahnen mit der
       Wolfsangel – dem Symbol des ukrainischen Freiwilligenbataillons „Asow“. Bei
       einem Kaffee plauderten sie über die gemeinsame Zeit auf dem Maidan und im
       Kriegsgebiet Donbass.
       
       Dort legten zahlreiche Familien Blumen vor den Fotos der Toten nieder.
       Viele trugen eine gelb-blaue Fahne, hielten Blumen in den Händen oder
       hatten Blumenkränze auf den Köpfen. Man gedachte nicht nur der über hundert
       Toten, die auf dem Maidan in ihrem Kampf gegen die Diktatur des ehemaligen
       Präsidenten Wiktor Janukowitsch ihr Leben gelassen hatten. Auch der Toten
       der „ATO“, der „Anti-Terror-Operation“ der ukrainischen Armee gegen
       prorussische Separatisten im Osten des Landes, wurde mit Liedern,
       Konzerten, Blumen, Bildern und Geldspenden gedacht.
       
       Am frühen Freitagabend marschierten mehr als 2.000 ukrainische
       Nationalisten mit gelben und rot-schwarzen Fahnen durch die Innenstadt zum
       Parlament. Die Teilnehmer des Marsches, der von den „Kräften der
       Selbstverteidigung des Maidan“ organisiert war, riefen „Ukraine über
       alles!“ und „Ruhm der Ukraine – Tod dem Feind!“
       
       „Ich bin stolz auf die Revolution des Maidan“, sagte die Fotografin Olga
       Zakrevska. „Noch vor einem Jahr schien uns alles aussichtslos zu sein.
       Früher haben wir Angst gehabt vor den Politikern und den Polizisten. Doch
       das hat sich mit dem Maidan geändert. Die Politiker wissen nun, dass sie
       mit der öffentlichen Meinung rechnen müssen.“ Nun habe sie endlich die
       Freiheit der Wahl, von der sie immer geträumt habe.
       
       ## Die Mächtigen sind nicht allmächtig
       
       Auch der Aktivist Miroslaw Popowitsch lobte die Errungenschaften des
       Maidan. „Dank des Maidan haben wir begriffen, dass die Mächtigen nicht
       allmächtig sind. Wir haben uns befreit von der Sklavenpsychologie. Mit dem
       Maidan haben wir in der Ukraine eine neue Zivilgesellschaft geschaffen.“
       
       Doch es gibt auch kritische Stimmen. „Expräsident Janukowitsch soll das
       Volk in vier Jahren um 100 Milliarden Dollar betrogen haben. Das waren pro
       Jahr 25 Milliarden Dollar. Wo ist jetzt dieses Geld?“, fragt der Journalist
       Sergej Losunko. Der Politologe Kost Bondarenko sieht das Land durch den
       Maidan noch mehr gespalten als in den Jahren zuvor. Diese neue Spaltung
       habe zu dem bewaffneten Konflikt mit dem Osten des Landes geführt.
       Gefährlich sei auch, dass die Revolution des Maidan der Bevölkerung gezeigt
       habe, dass man mit Gewalt durchaus politische Ziele durchsetzen könne. Die
       Folgen seien noch nicht absehbar.
       
       Am 21. November 2013 waren Tausende einem Aufruf des Kiewer Journalisten
       Mustafa Naem gefolgt. Dieser hatte nach der Weigerung von Präsident
       Janukowitsch, das Assoziierungsabkommen mit der EU zu unterschreiben, zu
       einem spontanen Protest auf Kiews zentralem Platz, dem Maidan, aufgerufen.
       
       Niemand in der Ukraine hätte sich vor einem Jahr die weitere Entwicklung
       des Landes vorstellen können. Die Krim wurde von Russland annektiert, der
       Osten des Landes, der Donbass, wird von einem Krieg unter russischer
       Beteiligung erschüttert, der bereits mehrere tausend Menschen das Leben
       gekostet hat.
       
       Mit Arsenij Jazenjuk wird der neuen Regierung ein Mann vorstehen, der
       deutlich gemacht hat, dass er mit den Aufständischen im Osten des Landes
       keinen Dialog führen wird. Dass sich der Falke Jazenjuk mit seiner
       unnachgiebigen Haltung im Konflikt um den Donbass durchsetzen wird, dafür
       werden auch zahlreiche Kommandeure rechtsradikaler Freiwilligenbataillone
       sorgen, die Abgeordnete der neuen Rada sind.
       
       21 Nov 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Bernhard Clasen
       
       ## TAGS
       
   DIR Ukraine
   DIR Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
   DIR Nationalismus
   DIR Kyjiw
   DIR Euromaidan
   DIR Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
   DIR Donezk
   DIR Ukraine
   DIR Ukraine
   DIR Ukraine
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Neuer Gouverneur von Odessa: Pikante politische Provinzposse
       
       Michail Saakaschwili, der abgehalfterte Expräsident Georgiens, regiert nun
       die Hafenstadt Odessa am Schwarzen Meer.
       
   DIR Ukraine abseits des Bürgerkriegs: Die Flüchtlinge auf dem Land
       
       Flüchtlinge in der Ukraine kommen aus den umkämpften Städten im Osten in
       die sicheren Dörfer nahe Kiew. Dort ist es idyllisch.
       
   DIR Koalitionsbildung in der Ukraine: Ein Vertrag zum Jahrestag
       
       Ein Jahr nach den Maidan-Protesten in der Ukraine haben sich die
       prowestlichen Parteien auf eine Koalition geeinigt. Nächste Woche soll der
       Vertrag unterschrieben werden.
       
   DIR OSZE-Mission in der Ukraine: Massiv unter Beschuss
       
       Es wächst die Kritik an den Beobachtern, die bisweilen auch selbst
       angegriffen werden. Die Konfliktparteien werfen ihnen vor, nicht neutral zu
       sein.
       
   DIR Ukraine-Konflikt: Platzeck fordert Nachsicht für Putin
       
       Die EU verhängt neue Sanktionen gegen die Separatisten in der Ostukraine.
       Und Ex-SPD-Chef Matthias Platzeck will die Krim als Teil Russlands
       anerkennen lassen.