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       # taz.de -- Kolumne Macht: Die Menschenrechte achten
       
       > Dass Betroffene im Israel-Palästina-Konflikt zu differenzierten Analysen
       > kaum fähig sind, ist verständlich. Aber wir, die wir nur Beobachter sind?
       
   IMG Bild: Gewalt flammt wieder auf in Israel und Palästina. Szene am Kalandia-Checkpoint nahe Jerusalem.
       
       Die Schwierigkeit, den eigenen Prinzipien auch bei größter Sympathie für
       Betroffene treu zu bleiben, ist ein Klassiker der Menschenrechtsdebatte. Ob
       man Grundsätze immer und unter allen Umständen beachten will: Genau darum
       geht es im Zusammenhang mit Menschenrechten, mit dem Recht überhaupt. Jede
       Relativierung entwertet das Recht ebenso sehr wie es seine vollständige
       Missachtung täte. Ein Rechtsgrundsatz, der keine allgemeine Gültigkeit
       besitzt, ist keiner.
       
       So schwer ist das doch nicht zu verstehen. Morde an Wehrlosen sind
       Verbrechen. Immer. Deshalb ist auch ein tödlicher Angriff auf Besucher
       einer Gebetsstätte – egal, an welchem Ort, egal, welcher Religion – durch
       nichts zu entschuldigen. Nicht durch vorangegangene bittere Erfahrungen,
       nicht durch vermeintliche oder reale Demütigungen, nicht durch andere
       Gewalttaten. Einfach durch nichts.
       
       Weswegen es übrigens auch gar nicht nötig ist, die Klagen der Freunde von
       Attentätern über ihnen zugefügtes Unrecht als falsch oder verlogen
       abzuwehren. Diese Klagen mögen berechtigt sein oder nicht – es ändert
       nichts an der Verwerflichkeit der Tat. Über mildernde Umstände zu befinden,
       ist die Aufgabe von Richterinnen und Richtern, und sie müssen dabei die
       individuelle Situation der jeweiligen Angeklagten berücksichtigen.
       
       Das kann die Öffentlichkeit – oder auch nur die veröffentlichte Meinung –
       nicht. Wenn sie nach Rechtfertigungen für Verbrechen sucht, dann ist das
       gleichbedeutend mit einer Relativierung dieser Verbrechen.
       
       Ach, übrigens: Es ist nicht schlimmer, wenn Juden in einer Synagoge getötet
       werden als wenn Moslems in einer Moschee oder Christen in einer Kirche
       umgebracht werden. Alle diese Taten sind abscheulich.
       
       ## Keine Möglichkeit der Gegenwehr
       
       Abscheulich ist aber auch Sippenhaft. Es gibt keine Rechtsgrundlage dafür,
       die Häuser – oder anderen Besitz – der Familien von Gewalttätern zu
       zerstören. Und zwar unabhängig davon, ob die Familien mit den Taten
       sympathisierten oder nicht. Summarische Kollektivstrafen ohne
       Gerichtsverfahren widersprechen internationalem und auch nationalem Recht.
       
       Ein so schweres Verbrechen wie Mord lässt sich nicht mit einem Rechtsbruch
       wie der Zerstörung materieller Güter vergleichen? Das stimmt. Einerseits.
       Andererseits: Rechtswidriges staatliches Handeln ist in einer sehr
       spezifischen Hinsicht schlimmer als individuelle Verbrechen, verübt von
       Privatpersonen, das je sein können. Weil die Opfer von staatlicher Willkür
       ohnmächtig sind und bleiben. Sie haben keine Möglichkeit der Gegenwehr.
       
       Es ist verständlich, wenn Betroffene – mittelbar und unmittelbar Betroffene
       – zu differenzierten Analysen weder fähig noch willens sind. Was aber
       wirklich beunruhigt: Wenn Beobachter sich so sehr mit Vorgängen
       identifizieren, die sehr weit entfernt stattfinden, dass sie eigenen
       Gefühlen und Überzeugungen den Platz von nüchternen Analysen einräumen.
       
       Im Hinblick auf Israel und die palästinensischen Gebiete scheint diese
       Gefahr in Deutschland zu wachsen. Sage mir, welchen Rechtsbruch du
       erwähnst, welchen du verschweigst – und ich sage dir, wes Geistes Kind du
       bist. Manche Leitartikel lesen sich derzeit wie Solidaritätsbekundungen.
       Andere wie Kriegserklärungen.
       
       Dabei könnte eine universale Achtung der Menschenrechte bei der
       Kommentierung dieses Themas hilfreich sein. Sie ist nämlich die
       Voraussetzung für Glaubwürdigkeit. Und nicht etwa eine
       Schönheitsverzierung. Bedrückend, dass dies nicht mehr Konsens zu sein
       scheint.
       
       22 Nov 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Bettina Gaus
       
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