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       # taz.de -- Wohnungslosigkeit: Bedarf zu spät erkannt
       
       > Weil die Zahl der Obdachlosen weiter steigt, will der Senat nun mehr neue
       > Notübernachtungsplätze schaffen als bisher geplant. Private Anbieter
       > profitieren davon.
       
   IMG Bild: Wenn die Nächte frostig, strömen die Obdachlosen in die Notunterkünfte
       
       Der Winter naht. Die Temperaturen erreichen laut Meteorologen schon am
       Dienstag nur noch 8 Grad Celsius und sinken im Laufe der Woche nachts
       Richtung Gefrierpunkt. Damit wird das Schlafen im Freien wieder zu einer
       Gefahr. Weil die Notübernachtungen bereits im vergangenen Jahr überbelegt
       waren und die Obdachlosenzahlen in Berlin steigen, will das Land nun
       deutlich mehr Schlafplätze einrichten als zunächst geplant.
       
       Laut der Kältehilfe stehen bislang im Schnitt 417 Schlafplätze für
       Obdachlose zur Verfügung. Sozialsenator Mario Czaja (CDU) wollte diese Zahl
       schon im vergangenen Jahr auf 500 erhöhen. Nun heißt es in einer Antwort
       der Sozialverwaltung auf eine Kleine Anfrage der Grünen: „Die Bezirke
       treffen derzeit Vorbereitungen, damit im kommenden Winter ein Angebot in
       einem Umfang von 600 Notschlafplätzen betrieben werden kann.“
       
       Die Sprecherin der Sozialverwaltung, Regina Kneiding, sagt: „Die Plätze
       sollen aufgestockt werden, der Bedarf ist da.“ Für die Bezirke sei es
       angesichts des engen Wohnungsmarktes allerdings nicht leicht, neue
       Unterkünfte aufzubauen. Die 600 Plätze bezeichnet sie daher als
       „Zielmarke“.
       
       Es sind vor allem private Einrichtungen, die zulegen: Laut Sozialverwaltung
       haben zwischen 2010 und 2012 die Übernachtungen in „hotelartigen“
       Unterkünften, wie sie die Sprecherin beschreibt, fast um die Hälfte
       zugenommen – die Nutzung dort stieg von 4.194 Übernachtungen auf 5.926. Es
       handelt sich dabei um Einrichtungen, mit denen die Bezirke keine
       längerfristigen Verträge geschlossen haben.
       
       Jobcenter und Sozialämter bezahlen die Betreiber für die Unterbringung. Die
       kann pro Bewohner 350 Euro im Monat kosten. Dass die Zustände in den
       privaten Unterkünften oft unzumutbar sind, hatten zuletzt im Frühjahr
       Berichte aus den Bezirken gezeigt. Dort war die Rede von sanitären Anlagen,
       die aus hygienischen Gründen nicht benutzt werden können, von abgewohnten
       Zimmern mit einer nur teilweise funktionierenden Stromversorgung. Die
       Bezirke müssen die Unterkünfte eigentlich kontrollieren. Aufgrund von
       Personalmangel findet das aber vielerorts gar nicht statt.
       
       „Es gibt sicherlich einen Markt, auf dem Leute Geld verdienen mit der Not
       anderer“, sagt Marianne Burkert-Eulitz, sozialpolitische Sprecherin der
       Grünen. Die Aufstockung der Notübernachtungen begrüßt sie aber
       grundsätzlich. „Die Frage ist, ob das ausreicht. Die Situation verschärft
       sich schließlich.“
       
       Die Zahl der Menschen ohne eigene Bleibe steigt in Berlin seit Jahren. Ende
       2010 waren laut Sozialverwaltung insgesamt 9.460 Menschen als wohnungslos
       gemeldet. Ende 2012 waren es schon über 11.000. Gezählt werden allerdings
       nur jene, die in vom Staat bezahlten Unterkünften unterkommen. Mehrere
       tausend Menschen leben Schätzungen zufolge zudem ganz auf der Straße.
       
       Die Hauptursache für die zunehmende Wohnungs- und Obdachlosigkeit sei der
       Wohnungsmarkt in Berlin, sagt Robert Veltmann. Er ist Geschäftsführer des
       sozialen Trägers Gebewo, der sich an der Kältehilfe mit Notübernachtungen,
       Tagesstätte und Arztpraxis beteiligt. „Wenn der Senat früher erkannt hätte,
       dass Wohnraum in Berlin knapp wird, hätten wir die Schwierigkeiten jetzt
       nicht in dem Ausmaß.“ Hinzu komme der Zuzug von Wohnungslosen aus
       Osteuropa, die ebenfalls in die Notübernachtungen drängten.
       
       Seit Anfang November haben die Unterkünfte der Kältehilfe in diesem Jahr
       wieder geöffnet. Laut Veltmann lag die Auslastung am vergangenen Wochenende
       bei über 90 Prozent. „Das ist angesichts der bislang milden Temperaturen
       sehr hoch.“
       
       17 Nov 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Antje Lang-Lendorff
       
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