URI: 
       # taz.de -- Pflege verdient Geld: Ver.di versus Kammer
       
       > Eine neu gegründete Tarifgemeinschaft strebt einen bremischen
       > Einheitstarif für Pflegende an. Der nütze nichts ohne Pflegekammer, meint
       > der Pflegerat.
       
   IMG Bild: Seit den Pflege-Demos im Sommer 2013 gibt's immerhin Bewegung.
       
       BREMEN taz | Ein einheitlicher Tarifvertrag für Pflegeheime und
       Pflegedienste ist in Bremen auf den Weg gebracht worden: Anfang vergangener
       Woche haben 13 Pflegegesellschaften und -vereine aus Bremen und Bremerhaven
       eine Tarifgemeinschaft gegründet, Verhandlungen mit Ver.di laufen bereits.
       Langfristiges Ziel soll ein in Bremen allgemeinverbindlicher „Tarifvertrag
       für Beschäftigte im Bereich SGB XI“ werden. Der Pflegerat begrüßt das
       Vorhaben, strebt allerdings zusätzlich die Gründung einer Pflegekammer an.
       
       Der Vorstoß für einen einheitlichen Tarif kam von der
       Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (LAG), deren
       Vorstand, Staatsrat a. D. Arnold Knigge (SPD), nun auch zum Vorsitzenden
       der neuen Tarifgemeinschaft gewählt wurde. Anfang des Jahres hatte die LAG
       Ver.di angeboten, über einheitliche Tarifbedingungen in der Altenpflege zu
       verhandeln. Damit soll laut Knigge der Wettbewerb zwischen den
       Pflegeeinrichtungen nicht mehr über den Lohn ausgetragen werden. Zu dem
       komme es, weil es den Trägern infolge der schlechten Vergütung von
       Pflegeleistungen durch die Kassen an Geld fehle.
       
       Durch einen einheitlichen Tarifvertrag soll der Lohnwettbewerb unter den
       Anbietern nun unterbunden werden. „Damit verbessern sich die
       Arbeitsbedingungen und die Bezahlung der Pflegenden – und auch die
       Attraktivität einer Ausbildung“, sagt Ver.di-Sekretär Uwe Schmid. Ver.di
       will sich mit der Gemeinschaft nun zügig auf einen Tarifvertrag einigen,
       der laut Schmid „Standards festlegt und ein einheitliches Niveau schafft“.
       
       Ilona Osterkamp-Weber, Vorsitzende des Bremer Pflegerats, begrüßt den
       Vorstoß, „aber eine bessere Bezahlung nützt nichts, solange das System
       nicht refinanziert wird“. Sie tritt für die Gründung einer Pflegekammer für
       Bremen ein, „damit die Pflegenden sich endlich selbst verwalten können“.
       
       Denn das sei bisher nicht der Fall. Bei Bestimmungen zu berufsethischen
       Richtlinien, zu Personalschlüsseln, Ausbildungsstandards sowie Fort- und
       Weiterbildungen seien Pflegende stets auf politisches Handeln anderer
       angewiesen. Das selbst in die Hand zu nehmen, ginge nur in Form einer
       Interessenvertretung analog zur Ärztekammer. „Nur so können wir Pflege auch
       qualitativ verbessern.“
       
       Schmid kann zumindest im Pflegerat allerdings nur wenige Pflegende
       ausmachen: „Ich finde da lediglich einen kleinen Teil von Pflegekräften,
       und die haben einen akademischen Abschluss.“ In der Tat setzt sich der Rat
       aus den Bundesverbänden für Pflegemanagement, für Pflegesachverständige und
       PflegeberaterInnen und für Lehrende in Gesundheits- und Sozialberufen
       zusammen sowie aus der Vereinigung leitender Krankenpflegepersonen der
       Psychiatrie oder der Vereinigung für Hygienefachkräfte. Nur in den
       Mitgliedern Deutscher Pflegeverband, Berufsverband Kinderkrankenpflege und
       dem Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe sind auch „normale“ Alten-
       oder KrankenpflegerInnen organisiert: „Die Frage stellt sich: Welcher
       Pflegebegriff herrscht dort?“, so Schmid. „Sind das nur die examinierten
       Kräfte oder auch Pflegehelfer?“
       
       Er sieht in einer Kammer nicht viel mehr als „Bürokratisierung und einen
       Apparat, den viele kleine Verbände zusammengebastelt haben“. Schmid teilt
       damit die Kritik der LAG und des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer
       Dienste (BPA), die sich bereits vor zwei Jahren gegen die Idee einer
       Pflegekammer ausgesprochen hatten. Sie könne keine Arbeitsbedingungen
       verbessern, weil sie kein Tarifpartner sei. Auch die übrigen ihr
       zugedachten Aufgaben seien gesetzlich geregelt und auf verschiedene
       Institutionen verteilt.
       
       Für Osterkamp-Weber ist es „logisch, dass sich Arbeitgeberverbände gegen
       eine Kammer aussprechen“. Und für Ver.di sei angesichts der Tatsache, dass
       es in Bremen bereits die Arbeitnehmerkammer gebe, eine Pflegekammer
       zusätzliche Konkurrenz. Das bestätigt Schmid: „Klar, denn die
       Mitgliedschaft in einer Kammer ist Zwang“, anders als die in einer
       Gewerkschaft, so der Ver.di-Mann. „Wir müssen um Mitglieder werben.“ Ob die
       Pflegenden selbst der Einrichtung einer Kammer zustimmen würden, ist
       unklar. Eine Befragung wie Anfang des Jahres in Hamburg gab es in Bremen
       bisher nicht.
       
       „Politisch ist eine Kammer nicht gewollt“, sagt Osterkamp-Weber. In der Tat
       stellt sich lediglich die CDU auf die Seite de Pflegerats, SPD und Grüne
       haben genauso wie die Linksfraktion 2012 abgelehnt, die Einrichtung einer
       Kammer zu prüfen. Während sich die Linke allerdings klar gegen
       „Zwangsmitgliedschaft als undemokratische Konstruktion“ ausspricht,
       verschließen sich Grüne und SPD der Idee nicht gänzlich, sofern die
       InitiatorInnen plausibel darlegen, wie eine Kammer die Situation der
       Pflegenden tatsächlich verbessern und ob sie wirklich von Pflegenden
       getragen und gewollt würde.
       
       Am Mittwoch werden alle Bremer Fraktionen sowie der Gesundheitssenator auf
       dem Pflegerats-Fachtag „Wir haben die Wahl“ zu Gast sein und dort Rede und
       Antwort stehen zu den Themen Pflegepolitik und Selbstverwaltung in der
       Pflege – also der Idee einer Pflegekammer. Ob Uwe Schmid hingeht, weiß er
       noch nicht: „Eingeladen sind wir nicht“, sagt er.
       
       Wichtiger seien ihm ohnehin die Verhandlungen mit der Tarifgemeinschaft.
       Wenn mit ihr ein Tarifvertrag abgeschlossen ist, soll der allgemein
       verbindlich werden: „Voraussetzung dafür ist die Erklärung des
       Tarifausschusses beim Senator für Arbeit, dass die Verbindlichkeit im
       öffentlichen Interesse liegt“, sagt Schmid. Eine Tarifflucht, so wie sie
       sich gerade beim Altenheim der Egestorff-Stiftung vollzieht – wäre dann
       nicht mehr möglich.
       
       16 Nov 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Simone Schnase
       
       ## TAGS
       
   DIR Pflegekräftemangel
   DIR Arbeitnehmer
   DIR Tarifvertrag
   DIR Bremen
   DIR Tarif
   DIR Arbeitsrecht
   DIR Bertelsmann-Stiftung
   DIR Pflegekräftemangel
   DIR Alten- und Pflegeheime
   DIR Universität
   DIR Pflege
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Gesundheitspolitik im Norden: Pflegekammer rückt näher
       
       Rückhalt hat die werdende Pflegekammer in Schleswig-Holstein zwar immer
       noch nicht gefunden. Dafür gibt es jetzt immerhin schon mal eine Anschrift
       
   DIR Run auf Rechtsberatung: Überarbeitet und ausgenutzt
       
       Arbeitnehmerkammer Bremen zieht Bilanz: 2015 haben sich besonders viele
       ArbeitnehmerInnen zu ihren Rechten beraten lassen.
       
   DIR Referentin für Gesundheitspolitik über Altenpflege-Tarifvertrag: „Pflege konkurriert mit Handel“
       
       Tarifvertrag für Altenpflege-Azubis soll in Bremen allgemeinverbindlich
       werden – um Anschluss ans Lohnniveau der Krankenpflege zu halten.
       
   DIR Pflege-Missstände in Bremen: Altenheim geht in die Offensive
       
       Nach einem Eilantrag gegen die Schließung der Bremer „Seniorenresidenz
       Kirchhuchting“ tritt das Unternehmen die Flucht nach vorn an.
       
   DIR Ausbildung in der Pflege: Noch immer kein Tarif für alle
       
       Ver.di und die „Tarifgemeinschaft Bremen“ wollen einen
       allgemeinverbindlichen Tarif für Altenpflege-Azubis. Dafür ernten sie
       Gegenwind.
       
   DIR Kündigungswelle bei Pflegedienst: "Die Leute fühlten sich verhört"
       
       Ein Drittel der Mitarbeiter eines Pflegedienstes in Jever hat wegen
       angeblicher Schikanen gekündigt. Die Leitung bestreitet die Vorwürfe.
       
   DIR Studie zur Einkommensschere: Tarifflucht führt zu mehr Ungleichheit
       
       Die arbeitgebernahe Bertelsmann-Stiftung hat Ergebnisse einer Studie
       veröffentlicht. Darin wird aufgezeigt, welche Konsequenzen die Tarifflucht
       hat.
       
   DIR Niedrige Löhne: Nur ein wenig Pflege für die Pflege
       
       Nirgendwo im Westen verdienen Pflegekräfte so wenig wie in Niedersachsen.
       Daran wird auch neue Kammer nichts ändern.
       
   DIR Pflege-TÜV in Deutschland: Sechs, setzen!
       
       CDU-Politiker Jens Spahn will das Notensystem für Pflegeheim abschaffen. Es
       sei ein Desaster. Momentan gibt nicht einmal K.o.-Kriterien bei schlechten
       Leistungen.
       
   DIR Philosoph über das Bildungssystem: „Wissenschaft ist nicht das Einzige“
       
       Wir sind dem „Akademisierungswahn“ erlegen, sagt der Philosoph Julian
       Nida-Rümelin. Er warnt davor, Abitur und Studium allein als Statussymbole
       zu sehen.
       
   DIR Pflege zuhause statt im Heim: Vorgetäuschte Eigenständigkeit
       
       Die Bremer Heimstiftung profitiert vom Ambulantisieren ehemals stationärer
       Pflegeplätze. Das Geld kommt jedoch nicht allen Heimbewohnern zu Gute.