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       # taz.de -- Kolumne Ich meld' mich: Rostbraten mit Schinken und Setzei
       
       > Einst gab es bordeauxrote Polstersessel, rot bespannte Tischleuchten und
       > rote Papierservietten und es wurde viel geredet und getrunken.
       
   IMG Bild: Willy Brandt und sein persönlicher Referent Günter Guillaume, der später als DDR-Spion entarnt wurde, bei einer Wahlkampfreise 1972.
       
       Im Zug von Prag nach Hamburg bringt der Kellner die Halbe „Staropramen“,
       und plötzlich überkommt es mich wie ein Déjà-vu: Das kennst du. Hier warst
       du schon. Mehr als 20 Jahre ist es her. Statt der Sitze mit dem
       Raupenmuster gab es damals bordeauxrote Polstersessel, rot bespannte
       Tischleuchten und rote Papierservietten. Das Bier war Budweiser. Der Zug
       hieß EC 176 „Porta Bohemica“.
       
       Am späten Freitagnachmittag kam er von Prag nach Berlin-Zoo und fuhr 17.46
       Uhr weiter nach Hamburg. Er hatte den schönsten Speisewagen der Welt – wenn
       der nicht wieder mal wegen technischer Probleme in Tschechien
       zurückgeblieben war. In Berlin stiegen Hundertschaften jener
       Nachwendehelden ein, die fünf Tage lang von der neuen Hauptstadt aus den
       Osten umbauten und übers Wochenende nach Hause fuhren. Im Speisewagen
       trafen sie zusammen. Architekten, Rechtsanwälte, Makler, Journalisten.
       
       Man trank Bier und bestellte Borschtsch oder „Rostbraten mit Schinken und
       Setzei, garniert, Bratkartoffeln“ für 332 Tschechische Kronen, 138
       österreichische Schilling oder 19,50 Mark. Es schmeckte nach Streuwürze und
       Sauergemüse. Der halbe Liter Budweiser kostete 3,50. Nauen, Wittenberge,
       Ludwigslust zogen vorbei. Satzfetzen flogen durch den Raum, untermalt vom
       Fahrgetöse. „… mal gezeigt, wie man die rannimmt“ – „… Ekelpaket von
       Wendehals“ – „… und hab ihm noch eine Sterbeversicherung untergejubelt“.
       
       Die Kellner, oft war es auch nur einer, liefen und schwitzten. Manche Gäste
       lasen, Wochenpost oder Wirtschaftswoche. Langsam dunkelte es draußen. Die
       roten Lampen gaben warmes Licht. Und mit jeder Viertelstunde wurde es
       lauter, heißer, verrauchter. Immer wieder mal hielt der Zug auf offener
       Strecke und stand lange still.
       
       Heute fährt er zügig durch. Drei Dutzend Windräder rauschen am Fenster
       vorbei. Kraniche stehen auf einem Feld, wie damals. „Die Fahrkarten,
       bitte“, sagt die Schaffnerin. Die Frau am Nebentisch, die ein Manga-Comic
       liest, holt ihr Handy heraus und lässt ablesen. Das gab es damals auch
       nicht.
       
       15 Nov 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Franz Lerchenmüller
       
       ## TAGS
       
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