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       # taz.de -- Informatiker Dietrich Meyer-Ebrecht über Cyber-Angriffe: „Im latenten Krieg“
       
       > Der BND will mit Steuergeldern Sicherheitslücken kaufen. Das Bremer Forum
       > der InformatikerInnen für Frieden (FIFF) erläutert, was das eigentlich
       > bedeutet.
       
   IMG Bild: Oh, selige Vorzeit: In John Badhams „War Games“ konnte man sich 1983 noch per Akustikkoppler versehentlich ins Pentagon einwählen.
       
       taz: Herr Meyer-Ebrecht, bereitet der BND einen Cyber-Angriffskrieg vor? 
       
       Dietrich Meyer-Ebrecht: Jedenfalls verfügt er über die notwendigen Mittel
       dafür. Das Waffenarsenal ist vorhanden und wird laufend ergänzt. Dank der
       Enthüllungen von Edward Snowden und der traditionell engen Zusammenarbeit
       zwischen NSA und BND kann man darauf schließen, dass Cyber-Angriffe zu den
       möglichen militärischen Strategien zählen.
       
       Der Geheimdienst will mehr Geld zum Ankauf von Programm-Codes, die
       Sicherheits-Schwachstellen ausnutzen. Was bedeutet das? 
       
       Es ist ein Weg, sich Zugang zu einem fremden Rechner zu verschaffen. Das
       kann auf verschiedene Weise geschehen: durch eine Hintertür mit einem
       eingespeisten Schadprogramm, schlicht physischen Zugriff oder eben durch
       Schwachstellen in einem Software-System.
       
       Wie kann eine solche Schwachstelle aussehen? 
       
       Wenn ein findiger Hacker eine Möglichkeit erkennt, einen bestimmten
       Programm-Mechanismus auszunutzen, nennt man das ein Zero-Day-Exploit („zero
       day“ deswegen, weil das Opfer keine Zeit hat, sich auf den Angriff
       vorzubereiten, da es sich um eine unbekannte Sicherheitslücke handelt, d.
       Red.). Diese Lücke ist eine Eintrittsmöglichkeit in einen Rechner, bis sie
       erkannt und geschlossen wird.
       
       Wo kauft der BND solche Informationen? 
       
       Die NSA betreibt beispielsweise selbst eine Gruppe von 800–1000 Hackern,
       die sich mit Sicherheitssystemen beschäftigen, die besonders schwer zu
       knacken sind. Aber es gibt viele Wege: Laut jüngster Erkenntnisse plant der
       BND auch den Ankauf derartiger Exploits auf dem Schwarzmarkt, wo Hacker
       ihre Künste für Geld anbieten.
       
       Was will der BND mit diesen Daten? 
       
       Seiner Aufgabe nachgehen: Ausspähen. Es gibt raffinierte Sicherheitssysteme
       und Firewalls – die gilt es zu umgehen. Konkret verschafft sich der BND
       damit Zugang zu komplizierten und in der Regel gut geschützten Systemen.
       
       Ist das schon Cyber-War? 
       
       Ausspähung ist bereits ein Teil digitaler Kriegsführung. Der Zugang zu
       Informationen ist die Basis für weitere Optionen. Gemäß einer gängigen
       Definition von „Cyber-Warfare“ ist es die Phase null: wie ein Fuß in der
       Tür.
       
       Wie sehen weitere Schritte aus? 
       
       Phase eins ist das digitale Muskelspiel: Man zeigt, dass man
       Informationsflüsse stören und manipulieren kann. Zum Beispiel durch die
       Störung von Webseiten, indem man dort falsche Informationen einspeist.
       Phase zwei beschreibt gezielte zerstörerische Sabotageakte, etwa die
       Kontrolle über Infrastruktur wie Wasser- und Stromversorgung oder
       Telekommunikation. Die bestehenden massiven Ausspähungen beweisen, dass wir
       uns momentan in Phase null, also einem latenten Cyber-War, befinden.
       
       Welche Auswirkungen hat das für mich als privaten Internetnutzer? 
       
       Die Ausspähung dient der Identifizierung vermeintlich gefährlicher
       Personen. Geheimdienste wollen etwa Terroristen finden, indem sie
       Verdachtsnetzwerke anlegen, in denen sie beobachtete Ereignisse verknüpfen.
       Dafür gibt einen „Score“.
       
       Wo komm ich ins Spiel? 
       
       Wenn Sie mit ihrem Smartphone in einem Café neben jemandem sitzen, der
       zufälligerweise ein hohen „Score“ hat, dann sind sie der Beifang und
       bekommen auch gleich ein paar Minuspunkte. Reisen sie gerne durch die Welt
       und treffen viele Leute, kann es so passieren, dass sie irgendwann nicht
       mehr in die USA fliegen dürfen, weil sich ihr Name auf einer „No Fly“-Liste
       befindet. Sie sind dann gewissermaßen der Kollateralschaden. Dahinter
       steckt militärisches Denken: Es ist egal, ob auch falsche Zuordnungen
       gemacht werden, solange ein Treffer dabei ist. Das ist ein Risiko für die
       Zivilgesellschaft.
       
       Werden solche enormen Datenmengen nicht schnell unübersichtlich? 
       
       Das Argument höre ich oft. Das Gegenteil ist der Fall: Je mehr Daten im
       Apparat sind, desto engmaschiger wird das Netz. Wie der ehemalige
       NSA-Direktor Keith Alexander sagte: „Um die Nadel im Heuhaufen zu finden,
       muss ich erst mal den Heuhaufen haben.“
       
       Welche Folgen ziehen Cyber-Attacken sicherheitspolitisch nach sich? 
       
       Wenn ein solcher Angriff tatsächlich physische Wirkung hat, also Zerstörung
       oder Gefahren für Menschenleben nach sich zieht, betritt man die Ebene der
       konventionellen Kriegsführung. Insofern könnten Cyber-Attacken dann auch
       konkrete militärische Reaktionen nach sich ziehen. Die Quelle digitaler
       Attacken ist allerdings oft schwer nachzuweisen, sodass der Gegenschlag
       auch den Falschen treffen kann, ein weiteres Risiko.
       
       12 Nov 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Gareth Joswig
       
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