URI: 
       # taz.de -- CSU-Politikerin Gerda Hasselfeldt: Reitende Botin
       
       > Gerda Hasselfeldt ist mächtig. Und ihre Macht als CSU-Landesgruppenchefin
       > nutzt sie klug – zur Merkelisierung ihrer Partei.
       
   IMG Bild: Gute Freundinnen: Gerda Hasselfeldt (l.) und Kanzlerin Angela Merkel.
       
       NIEDERBAYERN taz | Ganz ruhig steht sie da und schaut sich das an. Direkt
       vor ihrer Nase zeigt das 21. Jahrhundert mal, was es so drauf hat. Im
       weißgrauen Licht der Fabrikhalle schweißen Roboter Fahrgestelle des 5er BMW
       zusammen. Gerda Hasselfeldt besichtigt hier in Dingolfing eine
       niederbayerische Idylle: Allen geht es gut, jeder hat Arbeit, und der BMW
       ist das beste Auto der Welt.
       
       Auch Hasselfeldts Dienstwagen ist ein BMW. „Ein kurzer“, wie sie betont.
       Die meisten Dienstfahrzeuge werden mit ein paar Zentimetern mehr
       Gesamtlänge gebaut, wegen der Beinfreiheit auf den langen Reisen.
       
       Gemessen an Frau Hasselfeldts Körpergröße reicht natürlich der kurze; aber
       gemessen an ihrer Machtfülle eigentlich nicht. Denn Gerda Hasselfeldt ist
       die Landesgruppenchefin der CSU im Deutschen Bundestag, also die Chefin
       aller 56 bayerischen Abgeordneten in der Unionsfraktion. Zugleich ist sie
       die Emissärin Bayerns in Berlin.
       
       Im politischen Alltagsgeschäft kriegt man aber nicht allzu viel davon mit.
       „Nicht Schlagzeilen sind entscheidend, sondern ein gutes Ergebnis“, pariert
       sie diesen Vorhalt.
       
       ## Hart kann sie sein
       
       Während die drei aktuellen CSU-Minister jederzeit ihre Ämter verlieren
       könnten, sitzt Hasselfeldt fest im Sattel. Sie ist gewählt worden von ihren
       Abgeordneten. Als Landesgruppenchefin entscheidet die Frau mit dem weißen
       Haar und den farbenfrohen Kostümen über politische Karrieren innerhalb der
       Fraktion. Sie nimmt in Berlin und München an allen wichtigen Sitzungen teil
       und ist in jede Entscheidung eingebunden, und zwar sowohl im Parlament als
       auch in der Regierung.
       
       Das Verwirrende: Sie handhabt ihre Macht anders als alle Vorgänger. War
       früher die Jobbeschreibung eines Landesgruppenchefs, auch mal
       wadenbeißerisch laut und ausfallend zu werden, spinnt Hasselfeldt ihre
       Fäden leise im Hintergrund. Wenn zum Beispiel die Union der SPD die längst
       verabredete Frauenquote um die Ohren haut, darf man davon ausgehen, dass
       Gerda Hasselfeldt an dieser Entscheidung beteiligt war.
       
       Und als zum Jahreswechsel CSU-Chef Horst Seehofer zur neuen
       Arbeitnehmerfreizügigkeit für Bulgaren und Rumänen die Parole „Wer betrügt,
       der fliegt“ ausgab, war die Grundlage dafür ein Papier der CSU-Landesgruppe
       in Berlin. Zehn Monate später, nach dem aktuellen Urteil des Europäischen
       Gerichtshofs, Zuwanderern aus EU-Ländern Hartz-IV-Leistungen verwehren zu
       dürfen, freut Hasselfeldt sich. Beim weiß-blauen Stammtisch, dem
       Weißwurst-Frühstück für Hauptstadtjournalisten am Dienstag in Berlin, sagt
       sie: „Wir sind in Kreuth richtig gelegen.“ Hart kann sie sein, die Frau
       Hasselfeldt, wenn es um die große Linie ihrer CSU geht.
       
       ## Fünf Männer streiten, eine Frau gewinnt
       
       Seit 2011 macht sie den Job als Landesgruppenchefin. Damals löste sie den
       CSUler Hans-Peter Friedrich ab, der für den abgängigen
       Verteidigungsminister Karl Theodor zu Guttenberg in die Bresche springen
       musste. Geholt hatte Seehofer sie, nachdem fünf Männer sich um das Amt
       ergebnislos gekabbelt hatten.
       
       Hasselfeldt war eine Überraschung. Die damals Sechzigjährige war zu diesem
       Zeitpunkt Bundestagsvizepräsidentin, ein angenehmer Repräsentationsjob.
       Warum nun also Landesgruppenchefin?
       
       Sagen wir so: Seehofer benötigte eine Diplomatin in Berlin, die gut mit der
       Kanzlerin kann. Hasselfeldt selbst sagt, sie habe „nie im Leben eine
       Planung gemacht, dass ich das oder jenes werden möchte. Es ist so gekommen,
       wie es kam.“ Ein Amt komme zu einer Person, nicht die Person zum Amt. Eine
       Haltung, die im Konkurrenzgeschäft der Politik getrost als Karrierekiller
       eingestuft werden darf. Bei ihr jedoch nicht.
       
       ## In welchem Team spielt sie?
       
       Seit Jahrzehnten pendelt Gerda Hasselfeldt zwischen München und Berlin. Als
       Landesgruppenchefin ist sie eine Art reitende Botin, vermittelt und
       verhandelt Interessen. Sie übermittelt nach Berlin, was die CSU fordert.
       Und sie kommuniziert Richtung München, wozu die CDU unter Umständen bereit
       wäre. Die Frage, die sich viele stellen: Ist sie Team Seehofer, oder spielt
       sie im Team Merkel?
       
       Vordergründig Team Seehofer. Aber mit ihrer zurückhaltenden Art, dem
       Bemühen, Sachverhalte erst zu analysieren und sich dann zu äußern, holt sie
       ihre Berliner CSU auf jene fast schon preußische Sachlichkeit herab, die
       manchen unter den Christsozialen als Merkel-Style aufstößt. Natürlich weiß
       sie das. Kritiker weist sie dann dezent darauf hin, dass die CSU im Bund
       ein besseres Ergebnis erreicht hat als bei der Landtagswahl.
       
       Seit klar ist, dass Parteichef Seehofers Macht schwindet, schaut man sich
       in München schon mal nach der geeigneten Nachfolge um. Und auch die
       CSU-Landesgruppenchefin erlaubt sich mittlerweile öffentliche Ironie, wenn
       es um den Horst geht. Bei Angela Merkels Geburtstagsempfang Mitte Juli in
       der CDU-Parteizentrale überbrachte Gerda Hasselfeldt die Glückwünsche der
       Schwesterpartei.
       
       Genüsslich richtete sie der Jubilarin die Grüße des dauerbeleidigten Bayern
       aus; leider, leider sei Seehofer wegen der Entgegennahme eines
       bayerisch-griechischen Kulturpreises unabkömmlich. Dann lobte Hasselfeldt,
       dass Merkel es immerhin zeitweise schaffe, „aus dem brüllenden Löwen
       Seehofer ein schnurrendes Kätzchen zu machen“. Lautes Gelächter im
       Adenauer-Haus.
       
       ## Duzfreundin Merkel
       
       Überhaupt scheint ihr Verhältnis zur Kanzlerin bestens. Fast gleich alt,
       wissen beide Frauen Fleiß, verbunden mit Diskretion, zu schätzen.
       Hasselfeldt ist einer der wenigen Menschen, mit denen Merkel
       zusammenarbeitet und sich duzt. Die beiden verbindet die Erfahrung, sich in
       einer mackerhaften Partei auf sture Weise nach oben gearbeitet zu haben.
       
       Die Mutmaßung, mittlerweile für die CSU eine Merkel 2.0 zu sein, wehrt
       Hasselfeldt aber ab. „Ich bin weit entfernt davon, mich mit Angela Merkel
       zu vergleichen“, sagt sie. Und: „Wir mögen beide Humor, insbesondere wenn
       er etwas hintergründiger ist.“ Humor, gern Ironie, gehöre zur Politik nun
       mal dazu.
       
       Weiß Gott, Humor braucht sie in dieser Großen Koalition. Es sind ja nicht
       nur die Rangeleien mit den Sozis, die verzweifelt bemüht sind, sich als Big
       Player dieser Legislaturperiode zu präsentieren. Die Lage wird zusätzlich
       dadurch verkompliziert, dass Hasselfeldts CSU in Berlin nicht jene Rolle
       spielt, die ihr qua Münchner Selbstverständnis zustünde. Drei Minister hat
       Bayern in die Regierung entsandt: Christian Schmidt und Gerd Müller heißen
       zwei von ihnen. Dass sie das Landwirtschaftsressort und das
       Entwicklungshilfeministerium führen, muss mancher erst mal googeln.
       
       ## Der vorlaute Dobrindt
       
       Und dann ist da noch der vorlaute Ex-CSU-Generalsekretär Alexander
       Dobrindt. Einer, der gern zu spät zu Besprechungen kommt und schon
       habituell ein anderes Kaliber ist als die Dame Hasselfeldt. Liebe wird das
       nicht mehr zwischen dem forschen Maut-Minister und der bedächtigen
       Landesgruppenchefin.
       
       Im ersten Jahr der Großen Koalition ist der Ton schärfer geworden.
       Einerseits leiden die Sozialdemokraten unter dem Makel des
       Koalitionspartners: Ein Gesetzesvorhaben nach dem anderen setzen sie durch,
       und dennoch kleben sie in Wählerumfragen unter der Dreißig-Prozent-Marke.
       Andererseits fordert die CSU-Basis in der Regierungsarbeit endlich eine
       deutlichere Handschrift der Union. Selbst in Bayern leidet der Ruf der
       Christsozialen. In Städten und Gemeinden stranden Flüchtlinge aus Afrika;
       doch die Landesregierung bringt es offensichtlich nicht fertig, dieses
       Problem wie gewohnt geräuschlos zu lösen.
       
       Gerda Hasselfeldt bleibt dennoch gelassen. Erst nachdenken, dann handeln –
       so hat sie es stets gehalten. Gelernt hat sie das von klein auf. 1950 in
       Straubing geboren, war sie eines von sechs Kindern des Metzgermeisters und
       CSU-Politikers Alois Rainer. Auf dem Hof und in der Gastwirtschaft mussten
       die Kinder mit anpacken. Gerda kümmerte sich um die Buchhaltung.
       
       ## Familiär vorbelastet
       
       Vater Rainer saß bis Mitte der Achtzigerjahre im Bonner Bundestag. Seine
       Tochter studierte Volkswirtschaftslehre, heiratete, bekam zwei Kinder. Acht
       Wochen nach der Geburt ihres Sohnes 1977 saß sie wieder an ihrem
       Schreibtisch im Arbeitsamt. 1987 kam sie für die CSU in den Bundestag, als
       Nachrückerin ausgerechnet von CSU-Übervater Franz Josef Strauß. Da war sie
       36 Jahre alt. Solche Weibsbilder kannten ihre Parteifreunde bis dahin nur
       aus den Reihen der Sozis. 1989 wurde sie Bundesbauministerin im Kabinett
       Kohl, 1991 Gesundheitsministerin.
       
       Und dann scheiterte sie. Überforderung? Vielleicht. Auch mit Bundeskanzler
       Helmut Kohl gab es Auseinandersetzungen. Nach nur 15 Monaten trat sie „aus
       gesundheitlichen Gründen“ zurück. Es war zugleich das Ende ihrer Ehe. Eine
       harte Zeit. In der Fraktion musste sie sich erst einmal wieder
       hocharbeiten.
       
       ## Der Mann kauft ein
       
       Möglicherweise ist es auch diese Erfahrung von Unplanbarkeit, die Gerda
       Hasselfeldt heute so gelassen erscheinen lässt. Man ahnt, dass diese Frau
       mit sich ringt. Aber öffentliches Zweifeln gehört nicht zur
       Arbeitsbeschreibung einer Spitzenpolitikerin.
       
       Seit mehr als zwanzig Jahren ist sie mit einem anderen, einem sehr
       selbstbewussten CSUler verheiratet. Wolfgang Zeitlmann saß bis 2005 selbst
       im Bundestag. Er galt als kantiger, wortgewaltiger Innenpolitiker, der
       gegen weiche Drogen und Asylgesetze wetterte. Heute ist er der Mann von
       Frau Hasselfeldt. Er kauft ein und kocht, er ist es, der für sie die
       knalligen Kostüme aussucht. „Die Gerda ist anders, sie macht leiser
       Politik“, hat er mal der Zeit erzählt.
       
       Der Tag in Niederbayern geht zu Ende. Nach dem Termin bei BMW hat Gerda
       Hasselfeldt noch eine Fertighausfirma besucht. Nun muss sie los. Noch eine
       kurze Besprechung, danach bringt sie der Fahrer zurück nach München, zu
       ihrem Mann. Die Frau mit den weißen Haaren verabschiedet sich. Die Tür des
       BMW fällt sanft ins Schloss. Es ist das kurze Modell.
       
       14 Nov 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Anja Maier
       
       ## TAGS
       
   DIR CSU
   DIR Gerda Hasselfeldt
   DIR Bundestag
   DIR Bayern
   DIR Schwerpunkt Angela Merkel
   DIR Schwerpunkt Angela Merkel
   DIR Koalition
   DIR Frauenquote
   DIR Maut
   DIR Alexander Dobrindt
   DIR Flüchtlinge
   DIR Pkw-Maut
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Kommentar Frauenquote: Fast schon lächerlich
       
       Diese Quote wird niemandem wehtun, ja sie wird kaum bemerkt werden. Also
       hat auch die CSU zugestimmt, allem Wehklagen zum Trotz.
       
   DIR Koalition einigt sich: Die Frauenquote kommt
       
       Heulsusen und Machos: Der Streit war heftig und lang, jetzt hat sich die
       große Koalition auf eine Frauenquote geeinigt. Sie gilt ab 2016 für
       börsennotierte Unternehmen.
       
   DIR Kauder kritisiert Schwesig: Heul doch!
       
       Volker Kauder gibt den Macho und ermahnt die Familienministerin. In Sachen
       Frauenquote solle sie „nicht so weinerlich sein“.
       
   DIR Geplante Pkw-Maut: Vorratsdaten zum Zweiten
       
       Anonym auf der Autobahn? Das gehört mit der Maut der Vergangenheit an,
       kritisieren Datenschützer. Dabei ginge es auch anders.
       
   DIR Verkehrsminister Alexander Dobrindt: Der Maut-Minister
       
       Schon wieder ein anderes Konzept für die Vignette: Diesmal soll sie
       wirklich kommen und alle unionsinternen Kritiker zufriedenstellen.
       
   DIR Flüchtlinge im Münchner Olympiastadion: Feldbett im VIP-Bereich
       
       Die regulären Unterkünfte in München sind überlastet. Deshalb werden
       Flüchtlinge von der Stadt nun im Olympiastadion untergebracht.
       
   DIR Kommentar CSU und die Pkw-Maut: Stärke zeigen
       
       Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer braucht die Pkw-Maut. Sie
       ist sein Beleg dafür, dass die CSU auch bundespolitische Bedeutung hat.