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       # taz.de -- Dänemark will Studiengänge streichen: Vermessung der Hochschulen
       
       > Studierende lernen humanistische Fächer „für die Arbeitslosigkeit“, sagt
       > die Bildungsministerin. Das bedeutet für einige Studiengänge das Aus.
       
   IMG Bild: Bald alle arbeitslos.
       
       STOCKHOLM taz | „Könnte es sein, dass sich die Ministerin die verschwundene
       DDR zum Vorbild genommen hat?“ Andreas Munk Jensen, Vorsitzender von
       Syddanske Studerende, der Studentenvereinigung der „Süddänischen
       Universität“ in Odense, steht mit dieser Frage in Dänemark derzeit nicht
       allein. Die gelb-rote Regierung in Kopenhagen sieht im Hochschulsektor
       „fundamentalen Reformbedarf“ und will Studienangebote künftig von oben
       planen.
       
       „Unser Ausbildungssystem soll in höherem Maße den Arbeitsmarkt
       berücksichtigen“, erklärte Bildungsministerin Sofie Carsten Nielsen von der
       liberalen Partei schon im Frühjahr. Die Wahrscheinlichkeit einer Anstellung
       nach Studienabschluss solle bei der Frage berücksichtigt werden, ob ein
       Studiengang überhaupt noch angeboten wird.
       
       Derzeit bilde Dänemark zu viele Studierende für die Arbeitslosigkeit aus,
       konstatiert ein Ende August vorgelegter Bericht eines
       Regierungsausschusses, der sich mit der Qualität der höheren Ausbildung
       beschäftigt. Die Zahl der Studenten sei stark gestiegen. Die Absolventen
       fänden aber im öffentlichen Sektor, wo früher die Hälfte von ihnen
       unterkam, zunehmend keine Anstellung mehr, sodass heute für drei Viertel
       von ihnen nur noch die Privatwirtschaft infrage käme, so der
       Ausschussvorsitzende Jørgen Søndergaard.
       
       Und auf diese Entwicklung hätten die Hochschulen bislang bei Weitem nicht
       ausreichend reagiert. Betrachte man das aktuelle Studienplatzangebot,
       müssten nicht weniger als 10.000 der 30.000 Studierenden, die zum Herbst
       ihre Ausbildung begonnen hätten, im Laufe des Studiums ihren Studiengang
       wechseln, wollten sie eine Ausbildung absolvieren, die vom privaten
       Arbeitsmarkt nachgefragt werde.
       
       ## Nur humanistische Fächer
       
       Hatte die Bildungsministerin von den Hochschulen zunächst gefordert, ihre
       Studiengänge zu durchforsten und zu beschneiden, will die Regierung diesen
       Prozess aber nun offenbar selbst lenken und beschleunigen. Vor einigen
       Wochen wurde ein erster „Dimensionierungsplan“ vorgelegt, in dem den
       Hochschulen aufgegeben wird, zwischen 2015 und 2017 rund 4.000
       Studienplätze in Fächern zu streichen. Nahezu ausschließlich von den
       Kürzungen betroffen sind humanistische Fachbereiche, mit Kultur-, Medien-,
       und Geisteswissenschaften, und hier speziell Fremdsprachenausbildungen.
       
       Sicherlich sei es prinzipiell richtig, den Arbeitsmarkt im Auge zu
       behalten, meint Simon Møberg Torp, Dekan an der Humanistischen Fakultät der
       Süddänischen Universität. Doch müsse man da einen viel weiteren Fokus haben
       als das Ministerium: „Man sollte berücksichtigen, dass gewisse Fachbereiche
       vielleicht erst nach zehn Jahren Frucht tragen. Manche neue Branchen
       bringen Jobs mit sich, mit denen man vorher gar nicht rechnen kann.“
       
       Auch Hanne Leth Andersen, Rektorin der Universität Roskilde, spricht von
       allzu simplen Berechnungen und einer bloßen Momentaufnahme, auf die die
       Regierung nun eine „Angstkampagne“ gründe. Zeitweise Ungleichgewichte gebe
       es immer. Doch die Erfahrung lehre, dass diese sich von selbst regulieren
       würden.
       
       Aber darauf scheint man im Bildungsministerium nicht warten zu wollen: Die
       Ministerin hat angekündigt, alle Fächer von nun an regelmäßig dahingehend
       zu evaluieren, ob ihre jeweiligen AbsolventInnen auf dem Arbeitsmarkt
       unterkommen. Tun sie das nicht, werden entsprechend Studienplätze
       gestrichen.
       
       ## Radikale Kürzungen
       
       „Man kann da fast von einem Massaker sprechen“, findet Ulf Hedetoft, Dekan
       der Humanistischen Fakultät der Universität Kopenhagen. Die Vorgaben des
       „Dimensionierungsplans“ würden in der Konsequenz dazu führen, dass seine
       Fakultät die Hälfte ihrer derzeit 2.400 Studierenden verlöre. Bis zu 20
       Studiengänge müssten gekappt werden, weil sie eine ökonomisch vertretbare
       Mindeststudentenzahl nicht mehr erreichen könnten – darunter vermutlich
       Chinesisch und Arabisch sowie die brasilianisch-portugiesischen Studien.
       
       Und dabei hat die Regierung jüngst gefordert, Politik und Wirtschaft des
       Landes müssten aufgrund der davon ausgehenden Wachstumspotenziale ihr
       Augenmerk besonders auf die neuen Märkte in China, Indien oder Brasilien
       richten.
       
       Falls die Ministerin aber an ihrem Plan festhalte, „eine Generation von
       Studenten und Forschern daran zu hindern, sich mit dem Teil der Welt zu
       beschäftigen, auf den Dänemark seine Zukunft gründen wolle“, solle die
       Regierung konsequent sein „und ihre Strategie für Wachstumsmärkte
       verschrotten“, schreibt Ravinder Kaur, Lektor für Indienstudien an der
       Universität Kopenhagen, in der Tageszeitung Politiken. 
       
       Hinter dem „Dimensionierungsplan“ vermutet Dekan Hedetoft das politische
       Wunschdenken, Studiengänge exakt auf die Bedürfnisse des Arbeitsmarkts
       abstimmen zu können. „Versteht man den Wert von Humaniora nicht, oder
       stecken da auch Ressentiments gegen Kultur-, Medien- und
       Gesellschaftswissenschaften dahinter“, fragt Hedetoft?
       
       Wie sei es denn sonst zu verstehen, wenn man technische, juristische und
       staatswissenschaftliche Ausbildungen nahezu ungeschoren lasse? Und dies,
       obwohl die Nach-Examen-Arbeitslosigkeit dort genauso hoch und teilweise
       sogar höher sei als bei den Humaniora.
       
       ## Unabsehbare Folgen
       
       Die Regierung nimmt laut Hedetoft weder Rücksicht auf die Tatsache, dass
       man für die Absolventen vieler humanistischer Studiengängen in letzter Zeit
       erfolgreich neue Beschäftigungsmöglichkeiten erschlossen habe, noch auf die
       Notwendigkeit ein breites Fachangebot aufrechtzuerhalten: „Und was es an
       der Uni in Kopenhagen nicht mehr gibt, das wird es dann in ganz Dänemark
       nicht mehr geben.“
       
       Wenn schon „Dimensionierung“, dann jedenfalls nicht derart kurzsichtig und
       von oben verordnet, sondern in Zusammenarbeit mit den Hochschulen, fordert
       Bjarne Graabech, Prorektor der Süddänischen Universität: „Und wir hoffen
       immer noch auf Vernunft im politischen System.“ Die jetzige Rotstiftplanung
       hätte „unabsehbare Auswirkungen“.
       
       Vielleicht kommt man ja in Kopenhagen, wo nicht nur die
       sozialdemokratisch-liberale Koalition, sondern auch die rechte Opposition
       hinter den jetzigen Plänen steht, noch zur Einsicht, zumal sich auch die
       Wirtschaft offen kritisch zeigt. „Wir handeln mit der ganzen Welt und haben
       deshalb kein Interesse, dass „kleine Sprachen“ verschwinden“, betont
       beispielsweise Charlotte Rønhof vom dänischen Industrieverband.
       
       Zu einem „Dialog“ mit den Hochschulen ist Ministerin Carsten Nielsen
       bereit. Doch an einem Punkt will sie an ihrem Plan nicht rütteln lassen:
       2.400 Studienplätze „mit systematisch langwieriger Arbeitslosigkeit“
       müssten verschwinden.
       
       16 Nov 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Reinhard Wolff
       
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