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       # taz.de -- NRW-Innenminister Ralf Jäger: Die Sache mit der Verantwortung
       
       > Erst der Skandal um die Hooligan-Demo, dann die Razzia in einem
       > Flüchtlingsheim. NRW-Innenminister Ralf Jäger steht im Kreuzfeuer der
       > Kritik.
       
   IMG Bild: Zittert um seinen Posten: Ralf Jäger trifft umstrittene Entscheidungen
       
       KÖLN taz | Es könnte der Anfang vom Ende des nordrhein-westfälischen
       Innenministers Ralf Jäger (SPD) sein. Als hätte es in den vergangenen
       Wochen im rot-grün regierten Nordrhein-Westfalen keine Diskussion über
       traumatisierte Asylsuchende und ihr Recht auf einen menschenwürdigen Umgang
       gegeben, rückten 600 Einsatzkräfte im Morgengrauen zur Razzia in der
       Flüchtlingsunterkunft Herkulesstraße in Köln an.
       
       „Offenbar will Innenminister Jäger durch solche Großaktionen nun seine
       Handlungsfähigkeit auf dem Rücken der Flüchtlinge zur Schau stellen und von
       seinem Versagen beim Schutz von Flüchtlingen in Landesunterkünften
       ablenken“, kritisiert die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Kölner Rat,
       Kirsten Jahn, die Razzia am vergangenen Donnerstag.
       
       Der Einsatz um sechs Uhr morgens war Teil einer grenzüberschreitenden
       Aktion, bei dem Polizisten Einbrecher und Diebe suchten. Im Kölner
       Flüchtlingsheim mit 670 Bewohnern fanden sie ein geklautes Handy, zwei
       Leute mit Marihuana und einen Mann, der mit Haftbefehl wegen Widerstands
       gegen die Staatsgewalt gesucht wurde.
       
       Eine magere Bilanz, die den Einsatz nicht rechtfertigt, finden die Kölner
       Grünen und greifen den verantwortlichen Minister an. Das sind ganz neue
       Töne aus dieser Richtung. Seit Wochen steht Jäger unter Beschuss. Die
       Grünen auf Landesebene halten bisher Koalitionsdisziplin. Sie scheinen
       Jäger immer noch in Nibelungentreue verbunden. Mit den Kölner
       Parteifreunden gehen nun die Ersten auf offenen Konfrontationskurs.
       
       Der Innenminister der rot-grünen Landesregierung befindet sich die siebte
       Woche in Folge im Ausnahmemodus. Erst wurden die schrecklichen Bilder
       gequälter Bewohner in der Asylunterkunft in Burbach bekannt, dann lief die
       Nazi-Hooligan-Demonstration in der Kölner Innenstadt völlig aus dem Ruder.
       Beides ist für Jäger noch nicht ausgestanden. Die Opposition wiederholt
       Rücktrittsforderungen wie ein Mantra. „Ich übernehme keine Verantwortung,
       ich habe Verantwortung“, ist Jägers Gegenmantra.
       
       Der nordrhein-westfälische Innenminister ist ein eloquenter Mann. Er ist
       schlank und sportlich, seine roten Haare lassen den 53-Jährigen jünger
       erscheinen, als er ist. Seine Stimme klingt geschult, aber nicht
       unangenehm. Ihm ist noch immer anzuhören, dass er in Duisburg aufgewachsen
       ist. Journalisten gegenüber gibt er sich jovial und versucht, es auch bei
       kritischen Fragen zu bleiben. Etwa bei der Vorstellung seines Salafisten-
       Präventionsprogramms in Bochum. Es dauert nicht lange und er wird nach den
       Kölner Ausschreitungen gefragt.
       
       Seine Pressesprecherin will das unterbinden. Doch Jäger signalisiert, dass
       er dazu etwas sagen will – später. Das wird er auch tun. Ein Journalist
       will wissen, wie er sagen konnte, der Einsatz gegen die Hooligans sei gut
       gelaufen. „Wie kommen Sie darauf, dass ich das gesagt habe?“, kontert er
       energisch, aber nicht aggressiv. Trotzdem kommt ihm kein kritisches Wort
       über den Polizeieinsatz über die Lippen.
       
       Jäger sucht die Öffentlichkeit wie kein anderer aus dem Kabinett von
       Ministerpräsidentin Hannelore Kraft. Wenn er nicht über Hooligans oder
       Salafisten spricht, präsentiert sich der Vater von drei Kindern beim
       „Blitzmarathon“ gegen Temposünder oder stellt Kampagnen gegen
       Wohnungseinbrüche vor. Aber im Moment laufen selbst die PR-Termine nicht
       gut. Letztens hat er sich bei einer Pressekonferenz zum Thema
       Taschendiebstahl das Handy klauen lassen – von einem Zauberer, den der WDR
       engagiert hatte.
       
       ## Spitzname „Jäger 90“
       
       Für viele Beobachter war es überraschend, dass Ministerpräsidentin Kraft
       2010 bei der Regierungsübernahme der damaligen rot-grünen
       Minderheitsregierung ausgerechnet Jäger zum Innenminister machte. Zu
       impulsiv, zu forsch schienen seine Attacken gegen die damalige
       schwarz-gelbe Regierung. Wegen seiner inflationären Rücktrittsforderungen
       handelte er sich den Spottnamen „Jäger 90“ ein.
       
       Seit 2005 ist er Vorsitzender der SPD in Duisburg. Ein Jahr zuvor hatte
       seine Partei sensationell die Kommunalwahl verloren und war seit 1948 das
       erste Mal in die Opposition geraten. Doch das christdemokratische
       Interregnum dauerte nur knapp sechs Jahre. Als Konsequenz seines
       katastrophalen Umgangs mit der Loveparade-Katastrophe wurde der
       CDU-Bürgermeister Adolf Sauerland Anfang 2012 per Bürgerentscheid aus dem
       Amt gefegt.
       
       Jäger, der als begnadeter Strippenzieher gilt, nutzte die Situation für
       seine Partei eiskalt aus. Die Bürgerinitiative, die Sauerlands Abwahl
       durchgesetzt hatte, wollte einen parteiunabhängigen neuen
       Oberbürgermeister. Jäger moderierte zig Diskussionsrunden mit Bürgern,
       arbeitete mit ihnen Kriterien für einen geeigneten Kandidaten aus – und
       setzte schließlich doch einen SPD-Bewerber durch. Die Mitglieder der
       Bürgerinitiative fühlen sich benutzt. Für sie repräsentiert Jäger den
       klassischen Partei-Apparatschik.
       
       Tatsächlich hat Jäger die typische Biografie eines Sozialdemokraten, der
       schon früh wusste, dass er hoch hinauswill. 1983 ist er in die SPD
       eingetreten – laut eigenen Angaben aus Trotz gegen die von Helmut Kohl
       ausgerufene „geistige moralische Wende“. Er wurde Groß- und
       Einzelhandelskaufmann und arbeitete danach als Referent bei der Techniker
       Krankenkasse.
       
       Parallel dazu machte er die Ochsentour durch die SPD: Vorsitzender des
       Ortsverbands Meiderich, Ratsmitglied, stellvertretender
       Fraktionsvorsitzender, Landtagsabgeordneter. Auch als Minister mischt er
       sich noch immer ins tagespolitische Geschehen ein. Am Zustandekommen des
       rot-rot-grünen Bündnisses im Rathaus hat er maßgeblich mitgewirkt.
       
       Jäger kann darauf vertrauen, dass ihm die Duisburger Genossen nicht in den
       Rücken fallen. „Er ist hier eine Institution“, sagt ein Weggefährte. „Er
       ist unser Mann in Düsseldorf.“ Seine Anhänger – und dazu gehört die
       Mehrheit der SPD-Mitglieder in Duisburg – mögen ihn. Man kennt sich, man
       hilft sich. Es gibt auch Jäger-Kritiker. Aber die trauen sich nicht aus der
       Deckung, weil sie dann in der Partei keinen Fuß mehr auf den Boden kriegen.
       
       Der Innenminister gilt als enger Vertrauter von Kraft. Noch hält die
       Ministerpräsidentin zu ihm. Zumindest bis zur nächsten Krise.
       
       10 Nov 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Anja Krüger
       
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