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       # taz.de -- Kolumne Besser: Zonen-Siegfrieds große Stunde
       
       > Wenn man am 9. November über die Linkspartei reden will, müsste man ihre
       > zivilisatorische Leistung würdigen, anstatt an elende deutsche
       > Traditionen anzuknüpfen.
       
   IMG Bild: „Ich bin gekommen vom Regen in die Jauche“, sang Biermann nach seiner Ausbürgerung 1976. Bei der Feier am Sonntag sang er etwas Anderes
       
       Wenn der Auftritt von Wolf „Drachentöter“ Biermann im Bundestag etwas
       gezeigt hat, dann das: Dem deutschen Konservatismus samt angeschlossenem
       Feuilleton geht es nicht gut. Die Macht der Merkel-CDU ist zwar
       unangefochten, aber zum Preis, dass man nicht mehr weiß, was das eigentlich
       ist: konservativ. Es musste erst der Zonen-Siegfried Biermann ans
       Rednerpult treten, um an einen Wert wie den Antikommunismus zu erinnern,
       mit dessen Hilfe sich einst die wilhelminischen Eliten in stramme Nazis und
       später in „wehrhafte Demokraten“ verwandelten.
       
       Im Tonfall des Jawolljawoll-Endlich-sagts-mal-einer, mit dem der
       Internetmob einen ressentimentgeladenen Wirrkopf nach dem anderen auf Platz
       eins der Amazon-Charts trägt - zuletzt Udo Ulfkottes Verschwörungsfantasie
       „Gekaufte Journalisten“ - diesen Tonfall also stimmt nun das konservative
       Feuilleton an: „Nie gehörte Worte im deutschen Parlament“, raunt [1][Uwe
       Schmitt in der Welt], „auf den preußischen Ikarus ist Verlass“, jubelt
       [2][Jasper von Altenbockum in der FAZ], wo zudem [3][Volker Zastrow
       Bundestagspräsident Norbert Lammert dafür lobt], so „pfiffig“ gewesen zu
       sein, Biermann einzuladen. Bemerkenswert für Leute, die sonst jedes T-Shirt
       mit politischer Aufschrift als des „Hohen Hauses“ unwürdig befinden.
       
       Zum Blödelbarden Biermann, der nach seiner Ausbürgerung 1976 noch sang, er
       sei „Gekommen vom Regen in die Jauche“, hat Heiko Werning [4][auf taz.de
       schon alles Nötige gesagt] („Nach unten pickender eitler Gockel“). Doch
       wenn man am 25. Jahrestag des Mauerfalls nicht über die [5][Toten des
       heutigen EU-Grenzregimes] reden und sich lieber mit der historischen Rolle
       der Linkspartei beschäftigen will, dann müsste man ihre zivilisatorische
       Leistung nach 1989 würdigen. Sie hat erheblich dazu beigetragen, dass das
       ostzonale Jammertum nur zum geringeren Teil seinen politischen Ausdruck in
       der NPD gefunden hat [6][(oder in der AfD findet)]. Sie hat geholfen, einen
       Teil der Hinterlassenschaft der SED beiseitezuräumen.
       
       Denn die DDR war der schlechtere, weil deutschere Staat. Wo im Westen
       kapitalistisches Konsummodell, amerikanische Popkultur, Urlaubsreisen ins
       Ausland und Einwanderung aus dem Ausland dafür sorgten, dass das Land
       undeutscher und damit zivilisierter wurde, lebten in der DDR viele
       furchtbare deutsche Traditionen in stärkerer Weise fort - obwohl ihr
       Gründungspersonal aus Leuten bestand, die die Konzentrationslager oder die
       „Säuberungen“ im sowjetischen Exil überlebt hatten. Als dieser autoritäre
       Staat, der das Ressentiment gefördert und zugleich unter Kontrolle gehalten
       hatte, zusammenbrach und bald darauf die Erfahrung des revolutionären
       Aufbruchs vom Herbst 1989 von Ernüchterung und wirklicher oder gefühlter
       Deklassierung verdrängt wurde, hätte diese Melange ohne die PDS zu noch
       barbarischeren Zuständen führen können, als es so schon, von Hoyerswerda
       bis zur NSU, der Fall war.
       
       Als Folge steht die Partei in Thüringen davor, in Gestalt eines braven
       Gewerkschafters aus Osterholz-Scharmbeck
       
       erstmals einen Ministerpräsidenten zu stellen, was Biermanns Auftritt einen
       Bezug zur Gegenwart verleiht und was womöglich überhaupt der Grund dafür
       war, Biermann zur Feierstunde im Bundestag einzuladen. Die Übersetzung
       dieses Auftritts – [7][und die Einlassungen] des anderen
       [8][selbstverliebten Super-Ossis] zum selben Thema – in Tagespolitik war
       die Demonstration vom 9. November, als CDU-und AfD-Anhänger mit einigen
       Neonazis durch Erfurt liefen - der elende Rest einer ganz anderen deutschen
       Tradition.
       
       Besser: Merkel sagt, dass sie diesen Plunder nicht braucht.
       
       10 Nov 2014
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://www.welt.de/print/die_welt/debatte/article134125623/Der-elende-Rest.html
   DIR [2] http://www.faz.net/aktuell/politik/25-jahre-mauerfall/kommentar-zu-25-jahre-mauerfall-der-elende-rest-13253348.html
   DIR [3] http://www.faz.net/aktuell/politik/25-jahre-mauerfall/wolf-biermann-brachte-leben-in-den-plenarsaal-13255748.html
   DIR [4] /Wolf-Biermann-im-Bundestag/!149090/
   DIR [5] /Entfuehrung-von-Gedenkkreuzen-in-Berlin/!148838/
   DIR [6] /Kolumne-Besser/!146033/
   DIR [7] /Rot-Rot-Gruen-in-Thueringen/!148748/
   DIR [8] /Kolumne-Besser/!88071/
       
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   DIR Deniz Yücel
       
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