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       # taz.de -- Wowereit-Nachfolge: Krönung des Glamourfreien
       
       > Jetzt wird es offiziell: Die SPD will am Samstag bei ihrem
       > Landesparteitag als künftigen Regierungschef Michael Müller nominieren.
       
   IMG Bild: Der künftige Regierende: Michael Müller.
       
       Das Berliner Congress Center am Alexanderplatz, das BCC. Ein runder Saal,
       rote Stuhlreihen, Hunderte Leuchten an der Kuppeldecke. Ein Umfeld wie für
       eine Abschlussfeier oder einen Abiball. Oder um eben Michael Müller als
       künftigen Regierungschef zu nominieren, wie es die SPD an diesem Samstag
       macht.
       
       Krönungsmesse heißt so ein Event im Politiksprech. Was ja an sich schon im
       Widerspruch zu einer modernen Partei steht, weil der Begriff eben so ganz
       und gar undemokratisch ist. An diesem Vormittag am Alexanderplatz passt er
       noch viel weniger, weil der zu Krönende Michael Müller heißt, dem bei
       seiner bodenständig-glamourfreien Art jedwede monarchische Attitüde abgeht.
       
       Dass über Müller innerhalb der SPD noch mal abgestimmt wird, obwohl der
       doch vor drei Wochen mit großem Vorsprung und schon im ersten Wahlgang das
       Mitgliedervotum gewann, begründet die Parteizentrale im Wedding mit
       Vorgaben im SPD-Organisationsstatut. Ein Landesparteitag muss demnach den
       Regierungschefkandidaten für die Wahl im Abgeordnetenhaus nominieren, die
       für Mitte Dezember vorgesehen ist.
       
       Fast 60 Prozent der Stimmen hatte Müller bei dem Votum erhalten, als alle
       17.200 Berliner SPDler hatten abstimmen können. Nur knapp über 20 Prozent
       bekam Parteichef Jan Stöß, etwas mehr als 18 Prozent Fraktionschef Raed
       Saleh. Dieses Ergebnis ist laut SPD rein (partei)rechtlich nicht bindend,
       gilt aber als moralische Verpflichtung für die 235 Delegierten, die am
       Samstag im BCC zusammensitzen.
       
       Stöß, der große Verlierer der Urabstimmung, wird an diesem Vormittag die
       erste Rede halten. Nicht weil er unbedingt will, sondern weil das meistens
       die Aufgabe des Landesvorsitzenden ist. Irgendwie wird er dabei auch
       darstellen müssen, wie er seine eigene künftige Rolle sieht. Er, der sich
       doch für den besseren Regierungschef gehalten hätte – kann er, will er
       Müller zuarbeiten? Denn ins Amt gekommen war er 2012 mit harter Kritik an
       dem damaligen Landesvorsitzenden Müller und mit dem Versprechen, der Partei
       mehr Geltung zu verschaffen, gegenüber dem Senat und vor allem gegenüber
       dem Regierenden Bürgermeister. Was heißt es dann für Stöß, wenn ihm die
       Parteibasis zwei Jahre später ausgerechnet den damals Geschassten als
       Regierenden vorsetzt?
       
       Müller versicherte vor seinem Votumssieg im taz-Interview, dass Stöß, Saleh
       und er auch künftig vernünftig zusammenarbeiten könnten. Das klingt
       versöhnlich, schiebt aber zugleich den Ball in Stöß’ Hälfte – er ist es,
       der sich entscheiden muss. Regulär steht erst im Abgeordnetenhauswahljahr
       2016 eine Neuwahl des Landesvorstands an.
       
       Doch auch die 235 Delegierten als mittlere Funktionärsebene stehen vor
       einem Selbsttest. Die Mehrheit unter ihnen galt im innerparteilichen
       Wahlkampf als Stöß-Unterstützer. Auch Dutzende von Müller-Auftritten bei
       Kandidatenrunden dürften an ihrer Überzeugung nicht viel geändert haben –
       man kennt sich ja ohnehin seit Jahren, teils seit Jahrzehnten. Der Respekt
       vor der klaren Entscheidung der Basis hingegen geböte es, persönliche
       Vorlieben zurückzustellen und nun Müller zu unterstützen. Was also tun?
       
       In geheimer Wahl hätte dieser Zwiespalt Müllers Ergebnis womöglich
       schmälern können. Zumal es Stimmen gab, die wie Neuköllns Bürgermeister
       Heinz Buschkowsky von einem Mitgliedervotum nichts hielten und die
       Entscheidung über den neuen Regierenden lieber komplett den Funktionären
       überlassen hätten. Doch die Nominierung ist per Akklamation vorgesehen,
       also per einfaches Händeheben, möglichst ohne dass nachgezählt werden muss,
       und nicht in geheimer Wahl. Ein uneinheitliches Ergebnis würde auch nicht
       dazu beitrage, den jüngsten Auftrieb in Umfragen zu stabilisieren, der die
       SPD erstmals seit Monaten wieder auf Augenhöhe mit der CDU gebracht hat.
       
       Doch auch Müller ist in der Pflicht: sich, wenn schon nicht als Monarch, so
       doch als Macher zu beweisen. Dazu gehört, zügig seine Regierungsmannschaft
       zusammenzustellen. Denn er selbst räumt das Stadtentwicklungsressort, und
       Ulrich Nußbaum mag ohne Wowereit nicht mehr Finanzsenator sein.
       Nußbaum-Nachfolgerin wäre schon bei der Senatsbildung 2011 gern Dilek Kolat
       geworden, für die stattdessen das Ressort Arbeit, Frauen und Integration
       blieb. Sie auszuwählen würde aber eine Lücke in ihr bisheriges Ressort
       reißen. Bei der Stadtentwicklung scheint Müller sich zwischen seinen
       Staatssekretären Christian Gaebler und Engelbert Lütke Daldrup entscheiden
       zu wollen.
       
       Viereinhalb Wochen bleiben ihm als designierter Regierender, diese
       Personalfragen zu klären. Darauf hat noch am Freitag im taz-Interview
       CDU-Generalsekretär Kai Wegner gedrängt. Denn am 11. Dezember steht die
       wahre Krönung an, wenn Wowereit zurücktritt und Müller im Abgeordnetenhaus
       vom designierten zum tatsächlichen Regierenden gemacht werden soll.
       
       Und danach ist nicht mehr viel Zeit für die Personalsuche: Am selben Tag
       noch muss Müller mit der Kanzlerin und seinen neuen
       Ministerpräsidentenkollegen beim Länderfinanzausgleich so viel Geld wie
       möglich für Berlin raushandeln; und einen Tag später im Aufsichtsrat der
       Flughafengesellschaft anfangen, den BER zu retten. Das zu schaffen, wäre
       allerdings wahrhaftig die Krönung.
       
       8 Nov 2014
       
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