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       # taz.de -- Fluchthelfer und Schlepper: Hier Held, dort Verbrecher
       
       > Sie überwinden Mauern. Manche tun es aus Überzeugung, viele für Geld.
       > Aber während man Fluchthelfer feiert, werden Schlepper verfolgt.
       
   IMG Bild: Dichte Grenzen: Dieser Grenzzaun trennt Marokko von der Spanischen Enklave Melilla
       
       Burkhart Veigel gilt als Held. Lehrer laden ihn in ihre Gymnasien, die CDU
       setzt ihn auf Podien, auf dass der „Profi-Passfälscher“, wie er sich selbst
       nennt, seine „spannenden Geschichten“ erzählt. 650 Menschen verhalf Veigel
       zur Flucht aus der DDR, niemand schaffte mehr. Viele bezahlten ihm Geld.
       
       „Lieber tot als rot“, erklärt Veigel 2010, das war seine Devise.
       CDU-Parteimitglieder aus seinem Umfeld besorgten über ihre Schwesterpartei
       in Belgien Blankopässe, große Zeitungen kauften der Gruppe ihre Stories für
       Zehntausende Mark ab, es floss wohl auch Geld vom Bundesministerium für
       gesamtdeutsche Fragen.
       
       Als die Konrad-Adenauer-Stiftung Veigels Memoiren präsentiert, spricht
       Laudator Eberhard Diepgen ihn vom Vorwurf des Menschenhandels frei. „Stets
       hat der humanitäre Aspekt im Vordergrund gestanden.“ 2012 bekommt Veigel
       das Bundesverdienstkreuz am Bande.
       
       Aziz Tamam gilt als Verbrecher. Seit dem 23. Oktober sitzt er im Gefängnis
       von Catania auf Sizilien. Der 26-jährige Marokkaner soll ein Boot mit 263
       Menschen gesteuert haben. Sie hatten sich aus den Kriegen in Gaza und
       Syrien gerettet, er hilft ihnen raus aus dem mörderischen Chaos in Libyen.
       Wohl für Geld.
       
       ## Hohe Strafen für Fluchthelfer
       
       In internationalen Gewässern nimmt die italienische Marine sie auf und
       Tamam fest. Beihilfe zur illegalen Einreise. „Menschenhandel.“ Er muss
       damit rechnen, erst in vielen Jahren wieder freizukommen.
       
       Es gibt viele Burkhart Veigels, die Deutschland als Helden feiert und noch
       mehr Aziz Tamams, die Europa als Verbrecher verfolgt. Vergleiche zu ziehen
       ist in diesen Tagen en vogue. Mit großer Geste, wie üblich, organisiert
       etwa das „Zentrum für politische Schönheit“ an diesem Wochenende den
       //www.indiegogo.com/projects/erster-europaischer-mauerfall:„Ersten
       Europäischen Mauerfall“, karrt Freiwillige zur Demontage an die Außengrenze
       in Bulgarien. Ist es nicht einerlei, ob man die Leute umbringt, weil man
       sie nicht hereinlassen will, oder ob man sie umbringt, weil sie nicht raus
       sollen?
       
       Nein. Ist es nicht. Aber es gibt eine Parallele: die Menschenverachtung. An
       der einzigen Landgrenze Europas mit Afrika, Ceuta und Melilla, wird
       geschossen. Nicht immer, aber oft. Nicht ganz legal, aber straffrei. In der
       Ägäis werden Boote mit Syrern zurückgeschoben. Im zentralen Mittelmeer:
       Unterlassene Hilfeleistung, tausendfach. In Serbien und Mazedonien hat die
       EU gar eine Ausreisesperre für Roma durchgesetz.
       
       Trotzdem: Wer das alles für irgendwie dasselbe hält wie den Eisernen
       Vorhang, bloß andersherum, macht es sich zu leicht. Die eigene Bevölkerung
       per Schießbefehl einzusperren, ist in der Geschichte des modernen
       Nationalstaats ein übler Sonderfall. Artikel 13 der Allgemeinen Erklärung
       der Menschenrechte legt fest, dass jeder das Recht hat, sein eigenes Land
       zu verlassen.
       
       ## Nationen immer ausschließend
       
       Dass Menschen am Betreten anderer Länder gehindert werden dürfen, ist
       hingegen völkerrechtlicher Konsens. Der Ausschluss ist der Nation nun mal
       eingeschrieben, genau das ist ja das Unsympathische an ihr. Normalerweise
       stört das kaum jemanden. An Europas Grenze wird das langsam anders. Zu
       viele Tote.
       
       Muss Europa also seine Grenze öffnen, weil es den Tod von immer mehr
       Menschen in Kauf nehmen oder herbeiführen muss, um sie geschlossen zu
       halten?
       
       Die Burkhart Veigels hat der Antikommunismus zu Helden gemacht. Jeder
       Geflüchtete war ein Sieg über das andere System – und wurde deshalb
       aufgenommen. Das Problem ist: Das hat die EU nicht mehr nötig. Kürzlich hat
       die Bundesregierung auf Anfrage des Linken-MdB Andrej Hunko die Strategie
       gegen irreguläre Migration aus Nordafrika erklärt. Unter dem Stichwort
       „kriminelle Aktivitäten“ wird Schleusung in dem Papier in einem Atemzug mit
       Terrorismus und Rauschgiftkriminalität genannt.
       
       Damals haben die Schlepper die Ordnung des Westens gestützt. Heute ist es
       andersherum: Jeder, dem sie helfen, fordert diese Ordnung globaler
       Ungleichheit heraus. Nimmt sich seinen Teil, betreibt Umverteilung, wenn
       auch im Nanomaßstab.
       
       ## Strafen für Schlepper sind falsch
       
       Die grüne Ex-EU-Abgeordnete Ilka Schröder schlug im Jahr 2000 vor,
       Schlepper zu subventionieren, weil praktisch nur noch mit ihnen das
       Asylrecht in Anspruch genommen werden könne. Das stimmt bis heute. Schröder
       wurde von ihrer Partei vom Hof gejagt.
       
       Fluchthelfer von heute betreiben ein notgedrungen oft mafioses Geschäft.
       Aus politischer, menschlicher Überzeugung tun es manche. Viele für Geld.
       Strafe verdient dies trotzdem nicht.
       
       Fluchthilfe ist kein Menschenhandel. Aber mehr als eine Notlösung kann sie
       auch nicht sein. Die Innenminister setzen auf Frontex. Jene
       EU-Grenzschutzbehörde, die sich ihre Hunde und Hubschrauber heute noch
       einzeln zusammenbetteln muss, aber womöglich bald eine Institution sein
       wird, gegen die die DDR-Grenztruppe einem Dorfschützenverein gleicht.
       
       Das jeder moralischen Konkurrenz entledigte kapitalistische Europa könnte
       diesen Weg einfach weitergehen. Es sei denn, es wird auf genau den
       zivilisatorischen Anspruch verpflichtet, den es dem Osten immer so
       demonstrativ entgegengehalten hat.
       
       Die beiden Mauern sind nicht gleich, nicht mal ähnlich, der
       menschenrechtliche Mindeststandard aber muss heute gelten wie damals: Keine
       Toten! Niemand weiß, was legale Zugänge für Schutz- und Arbeitsuchende von
       außen für die Verhältnisse in Europa letztlich bedeuten. Sicher ist: Es
       wird kosten. Aber danach hat bei den Ostflüchtlingen auch nie jemand
       gefragt.
       
       8 Nov 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christian Jakob
       
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