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       # taz.de -- Abstimmung in der Ostukraine: Wahllokal mit Gemüsemarkt
       
       > Die prorussischen Separatisten halten ihre international nicht anerkannte
       > Wahl ab. Die Teilnahme ist rege, es gibt schließlich auch einen Bonus.
       
   IMG Bild: Ein Wahlberechtigter studiert in Donezk seinen Stimmzettel.
       
       DONEZK taz | Donezk am Morgen, das sind Eiseskälte, ein grauer Himmel und
       „Niederschläge“. So nennt man hier den gelegentlichen Artilleriebeschuss
       aus GRAD-Raketen. Die Straßen sind menschenleer, auch die Geschäfte und
       Geldautomaten sind bis auf wenige Ausnahmen geschlossen. Dann gibt es da
       noch einige Stände, in denen es Fahnen, Fähnchen und Aufkleber der
       „Volksrepublik Donezk“ zu kaufen gibt.
       
       Viele Bewohner der ostukrainischen Millionenstadt, in der seit Monaten die
       prorussischen Separatisten die Richtlinien der Politik bestimmen, haben die
       Fenster mit Klebeband verschlossen in der Hoffnung, bei einem Beschuss
       nicht von den gefährlichen Splittern getroffen zu werden. Denn der Krieg
       geht trotz Waffenstillstands weiter. Die Kiewer Regierungstruppen halten
       immer noch Gebiete rund um den Flughafen und liefern sich Gefechte mit den
       neuen Herren der Stadt von der „Volksrepublik Donezk“.
       
       Kann man angesichts dieser Verhältnisse wählen? Die Separatisten wollen an
       diesem Sonntag beweisen, dass das möglich ist. Große Reklametafeln rufen
       zur Wahl eines Kandidaten auf. Die Auswahl ist nicht sehr groß. So stehen
       drei Personen für das Amt des Präsidenten zur Wahl, für das Parlament nur
       zwei Parteien.
       
       350 Wahllokale gebe es, berichtet der Leiter der Wahlkommission der
       Separatisten, und 1,4 Millionen Wahlberechtigte. Die Internetseite des
       Obersten Sowjets der Volksrepublik Donezk informiert, dass man seine Stimme
       auch über das Internet abgeben könne. Für den Nachweis der Wahlberechtigung
       reiche ein beliebiges Dokument, das die Identität nachweise.
       
       ## Geduldiges Warten
       
       Lange Schlangen von Menschen wartend vor den Wahllokalen zeigen, dass ein
       großer Teil der Bevölkerung dem Aufruf der Behörden, an der Wahl
       teilzunehmen, nachgekommen ist. Doch das Gedränge ist auch deswegen so
       groß, weil nur etwa ein Drittel der Wahllokale geöffnet ist. In entspannter
       Stimmung, unter dem Schutz zahlreicher bewaffneter Kämpfer, bei
       sowjetischer Militärmusik, Tee, Brötchen und einem Markt, auf dem man
       Gemüse zu einem symbolisch niedrigen Preis erwerben kann, warten die Wähler
       geduldig, bis sie an der Reihe sind. Das Gemüse, so heißt es, habe
       freundlicherweise ein wohlhabender Geschäftsmann gespendet. Doch manche
       vermuten, hier werde ein Teil der humanitären Hilfe aus Russland unter die
       Leute gebracht.
       
       „Ich stimme für den derzeitigen Chef der Republik, Alexander
       Sachartschenko“, sagte ein Rentner. Zu seiner Begründung sagt er: „Ich
       glaube an ihn. Der Mann hat Führungseigenschaften, mit ihm wird es
       vorangehen bei uns.“ Eine Rentnerin ist optimistisch: „Ehrlich gesagt, ich
       habe die Programme der Kandidaten nicht gelesen. Aber Sachartschenko ist
       mir einfach sympathisch.“
       
       23 Jahre lang, so erklärt die Rentnerin, hätte man eine Regierung in der
       Ukraine gehabt, die den Osten nur verachtet habe. Sie sagt: „Nun gut, ich
       hasse sie auch, diese Regierung in Kiew. Sie glaube nur noch an Putin, sagt
       sie: „Der ist alles für uns. Und vor Putin hat man Respekt in der Welt, er
       kann uns schützen.“
       
       ## Keine OSZE-Beobachter
       
       Zwar hat die russische Regierung angekündigt, die Wahlen in den
       „Volksrepubliken“ von Donezk und Lugansk anerkennen zu wollen, doch der
       Westen und die Ukraine lehnen den Urnengang als illegal ab. Auch die
       Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE) entsendet keine
       Wahlbeobachter. „Keine OSZE-Beobachtung der ’Wahlen‘ im Osten der Ukraine
       und keine OSZE-Beobachter in den Wahllokalen“, schreibt die Organisation
       auf Twitter.
       
       Aber dafür sind Ewald Stadler aus Österreich und Alessandro Musolino aus
       Italien als „internationale Wahlbeobacher“ eingetroffen. Ihre
       Pressekonferenz läuft unter dem Signet einer bislang unbekannten „ASZE“,
       was „Assoziation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“ bedeutet und
       wohl nicht zufällig an die OSZE erinnern soll. Die beiden kritisieren die
       OSZE und westliche Medien, die ihrer Auffassung nach auch Konfliktparteien
       seien und die Position der USA verträten. Der Rechtspopulist Stadler, einst
       Mitglied der FPÖ und der BZÖ und schon auf der von der Ukraine
       abgespaltenen Krim als lobender „Wahlbeobachter“ tätig, hat auch hier
       wieder seinen großen Auftritt.
       
       Bereits am Morgen hatte der Regierungschef der „Republik Donezk“, Alexander
       Sachartschenko, unter dem Schutz von einem Dutzend Bewaffneter, seine
       Stimme abgegeben. „Für Gerechtigkeit, Glück, Frieden und Wohlstand“, sagt
       er im Stimmlokal dazu. Er hoffe auf Anerkennung. Doch danach sieht es
       wirklich nicht aus.
       
       2 Nov 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Anastasia Magasowa
       
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