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       # taz.de -- Trauer um Fußballstar: „Wir nannten ihn Mourinho“
       
       > Während des Gazakrieges kam der beliebteste palästinensische Fußballer
       > um. Ahed Sakkut hinterlässt eine große Trauergemeinde.
       
   IMG Bild: Im zehnten Stock schlief Ahed Sakkut, als die Bombe einschlug. Politik habe ihn nie interessiert, erzählt sein Bruder
       
       GAZA taz | Ein paar Dutzend Studenten sitzen auf der Zuschauertribüne des
       Stadions der Islamischen Universität. Unten laufen sich Mannschaften der
       Alten Herren vom Fußballclub Süd und dem Sportverein Gaza-Stadt warm für
       ein Freundschaftsspiel zum Gedenken an Ahed Sakkut, den vermutlich
       populärsten palästinensischen Fußballer schlechthin. Er starb vor drei
       Monaten bei einem fehlgeleiteten Bombenangriff der israelischen Luftwaffe.
       
       „Palästina hat seinen größten Sportler verloren“, meint der 28-jährige
       Mohammed Shneourah, der selbst unter Ahed Sakkut trainierte. „Es gibt
       niemanden, der ihn ersetzen könnte.“ Nun soll das städtische Fußballstadion
       den Namen Ahed Sakkut tragen.
       
       Shneourah kommt zusammen mit seinem Vater und einem Teamkameraden, um sich
       das Spiel anzusehen. In den Zuschauerreihen sitzen ausnahmslos Männer, denn
       auf dem Campus der frommen Uni herrscht Geschlechtertrennung. „Wir nannten
       ihn Mourinho“, sagt der junge Palästinenser, „wie den Trainer vom FC
       Chelsea.“ Bis in die 1990er Jahre trug Sakkut das Trikot mit der Nummer 10
       und kickte im Mittelfeld. Anschließend trainierte er die National- und
       Jugendmannschaften, gründete die erste Sportschule in Gaza und arbeitete
       parallel als Sportreporter.
       
       Er sei streng gewesen, aber immer höflich und einfach „einer der Besten“.
       Shneourah will noch immer nicht wahrhaben, dass sein Trainer nicht mehr
       lebt. „Sobald wir vom Spielfeld runter sind, wurde er immer sehr herzlich
       und hat Späße mit uns gemacht“. Sakkut war noch keine 50 Jahre alt, als ihn
       das tödliche Geschoss im Schlaf traf. Noch wenige Tage zuvor hatte er sich
       beim Internationalen Verband der Sportjournalisten akkreditiert.
       
       ## Bevor das Feuer gelöscht ist, kommt ein Fernsehteam
       
       Es passiert am 13. Juli morgens, „aber wir schliefen während des Krieges
       immer erst nach Sonnenaufgang ein, weil man nachts wegen der Angriffe nicht
       zur Ruhe kam“, berichtet Hasem Sakkut, Aheds jüngerer Bruder. Hasem wohnte
       im 11. Stock des Italian Complex, eines modernen Hochhauses im Zentrum der
       Stadt, Ahed direkt unter ihm. Hasem berichtet, wie er nach dem Angriff
       sofort die Treppe hinunterrannte, wie er dort Feuer und Rauch sah und
       mittendrin seine Schwägerin Majada, die ihren Mann suchte und schrie. „Man
       konnte nichts sehen.“ Noch bevor der Leichnam geborgen und das Feuer
       gelöscht ist, kommt ein Fernsehteam. Hasems Frau Faten hat den Filmbericht
       auf dem Computer gespeichert. Sie schickt ihren Mann aus dem Zimmer, bevor
       sie das Gerät einschaltet.
       
       Gut einen Monat nach dem Angriff wird der Italian Complex am letzten
       Kriegstag erneut bombardiert und diesmal fast komplett zerstört. Aheds
       Wohnung ist weg, die Wohnung seiner Mutter und die Wohnung von Hasem und
       Faten Sakkut. Aheds Witwe Majada holt zwei Alben hervor. „Das ist alles,
       was mir von ihm bleibt“, sagt die Frau traurig, ihr jüngster Sohn Khaled
       setzt sich auf die Lehne ihres Sessels. Er will wie der Vater Fußballer
       werden. Seine beiden älteren Geschwister sind über 20, beide studieren.
       
       Die Fotoalben hat Majada fünf Tage nach dem ersten Angriff auf der Straße
       gefunden. Hasem schlägt eins der Alben auf und fängt an zu erzählen. „Das
       war in Saudi-Arabien“ sagt er, „damals ist Ahed schon Trainer gewesen, das
       ist in Marokko, hier als Mannschaftskapitän, hier ist er in Norwegen, in
       Frankreich, in Amman mit dem Nationalteam und als Sportjournalist in den
       Emiraten.“ Als Ahed starb, „hat ganz Gaza geweint“, sagt Hasem, der in
       Superlativen von seinem Bruder spricht. Ahed sei der beste Fußballer, der
       beste Coach und der beste Sportkommentator gewesen. Politik habe ihn nie
       interessiert, es ging immer nur um Fußball. „Als ich ihn fand, bin ich zum
       Fenster gelaufen. Ich habe die Flugzeuge angeschrien und gerufen: Warum?“
       
       Die Mutter der beiden Brüder sitzt still auf dem Sofa im Wohnzimmer eines
       Cousins der Familie, in dem provisorisch zwei Betten aufgestellt sind. Seit
       zehn Jahren zahlt Hasem Sakkut den Kredit für seine Eigentumswohnung ab,
       jetzt muss er auch noch die Schulden seines toten Bruders übernehmen. Jeden
       Monat überweist er 600 Dollar für zwei Wohnungen, die es nicht mehr gibt.
       „Wir haben alles verloren.“ Hasem ist sichtbar ratlos. „Wir haben doch mit
       Israel zusammengearbeitet“, wendet er ein.
       
       ## Post-mortem-Ehrungen
       
       Der Ingenieur ist Angestellter der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA)
       und arbeitet bei den Wasserwerken. Er und seine Frau gehören der Fatah an.
       Faten war bis 2007 beim Verkehrsministerium angestellt, büßte aber nach der
       Machtübernahme der Hamas im Gazastreifen ihre Stelle ein. Auch Ahed verlor
       damals seinen Posten als Chef der Sportredaktion im palästinensischen
       Fernsehen. „Er hatte über Jahre sämtliches Filmmaterial gesammelt, das es
       von palästinensischen Sportlern gab“, sagt seine Frau Majada. Als die Hamas
       den Sender stürmte, sei das komplette Archiv verbrannt worden.
       
       „Wenn ich weggehen könnte, würde ich heute noch meine Koffer packen“, sagt
       Hasem. „Soll ich im nächsten Krieg auch noch meinen Kinder verlieren?“ Die
       Familie würde am liebsten nach Schweden oder auch nach Deutschland
       auswandern. Sogar die Mutter nickt, bereit, sich anzuschließen. „Wir sind
       alle traumatisiert“, sagt Faten. Natürlich sei „Israel schuld“ an dem Tod
       Aheds, trotzdem halten die beiden Eheleute einen Friedensschluss und zwei
       Staaten für die zwei Völker für die einzige Lösung. Hasem hat durch seinen
       Beruf auch Israelis kennengelernt, die keine Uniform tragen. „Wir wissen,
       dass es einen Unterschied gibt zwischen der Regierung in Israel und den
       Menschen“, sagt er.
       
       Aheds Witwe Majada stellt fünf Pokale auf den Tisch und eine Ehrentafel mit
       einem eigens gezimmertem Holzkasten von Dschibril Radschub, dem Chef des
       palästinensischen Fußballverbands. Es sind allesamt Post-mortem-Ehrungen.
       Majada fand in den Trümmern nur noch eine leicht verkohlte Holztafel zur
       Erinnerung an die Altherrenmeisterschaft von 2003. Vor dem Haus liegt noch
       ein Haufen mit Sachen, die die Sakkuts aus dem zerbombten Gebäude retten
       konnten. Ein einzelner Fußballschuh liegt dort. Er ist noch ganz neu, Größe
       43.
       
       1 Nov 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Susanne Knaul
       
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