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       # taz.de -- Kolumne Bridge & Tunnel: So viel Überwachung
       
       > Junggesellenabschied, Muttermilch-Pumpe, Bettwäsche: Anders als Europäer
       > haben US-Bürger kein Problem damit, viel von sich sich preiszugeben.
       
   IMG Bild: Man muss kein Hacker sein, um Privates über den Tischnachbarn beim Dinner herauszufinden
       
       „Citizenfour“, der Dokumentarfilm von Laura Poitras über Edward Snowden,
       kommt gerade in die amerikanischen Kinos, und die Amerikaner sind sich bei
       aller Zerrissenheit („Snowden, ein Held!“ vs. „Nein, ein Verräter!!“) in
       einer Sache einig: Sie sind nach wie vor unheimlich überrascht von so viel
       Überwachung – aber es scheint ihnen auch unheimlich egal zu sein.
       
       Sie helfen sogar fleißig dabei mit, Daten über sich selbst im Internet
       anzuhäufen, was es erstaunlich einfach macht, Privates über wildfremde
       Menschen herauszufinden. Man muss dazu kein Hacker sein, nur normal
       neugierig.
       
       Falls mein Tischherr vom Galeriedinner und seine Frau mich vielleicht mal
       zu sich nach Hause einladen, kann ich sie gut vorbereitet umschmeicheln:
       „Was für wunderbare Bettwäsche, das ist ägyptische Baumwolle, nicht wahr?“
       (Denn wenn sie einen schon reinbitten, dann zeigen sie einem immer auch
       gleich alle Schlafzimmer und sämtliche Bäder; die Privatsphäreeinstellungen
       sind irgendwie grundsätzlich andere als in Deutschland.)
       
       Ihre Hochzeitsliste ist nämlich noch immer online, und zwar bei Bergdorf
       Goodman. Ich kann sogar sehen, welche Gegenstände Freunden und Familie
       vielleicht zu teuer oder zu albern zum Schenken waren, der Kaviarkühler von
       Christofle für 871 Dollar steht noch in der Rubrik „still needs“.
       
       Hyperlink (vormals: „à propos“) Freunde und Familie: wer das ist und was
       die machen, weiß man auch schnell, wenn man auf einer anderen Plattform,
       [1][registry.com], wo neben allen möglichen Ereignissen rund um die
       Hochzeit (z. B. der Junggesellenabschied in Las Vegas, die Fotos davon kann
       man sich auch gleich angucken) auf die Frage klickt: „Willst du mehr über
       Carters Familie wissen?“
       
       ## Ungefähres Einkommen
       
       Auf registry.com findet sich zudem die Babyshower-Liste für das Kind, ein
       Junge, – aber dass sie einen kleinen Sohn haben, hat Carter mir schon beim
       Dinner erzählt. Dass die Mutter Milch mit der Medelapumpe abgepumpt hat,
       ist allerdings eine neue Information.
       
       Ich könnte jetzt auf [2][zillow.com] Carters Adresse eingeben, denn
       mittlerweile weiß ich genau, wo er wohnt, und dann würde Zillow mir sein
       ungefähres Einkommen verraten.
       
       Die Aufgabe des Privaten oder einer Kulturtechnik wie Diskretion gipfelt
       darin, dass Mütter sich über Evite zu Playdates mit anderen Müttern und
       ihren Kindern verabreden. Die digitale Einladung kommt in einem per E-Mail
       zugesandten Link, ich kann sie nicht aufmachen, ohne dass die Organisatorin
       davon unterrichtet wird. Wenn ich nicht gleich antworte, weil ich
       vielleicht einfach noch nicht weiß, ob ich kommen kann oder überhaupt
       kommen möchte, bin ich unfreiwillig unhöflich. Manche Leute beklagen, dass
       die digitalen RSVP-Services den Kontrollwahn, an dem hier viele leiden,
       noch befeuern.
       
       Will man sich hingegen einen potenziellen Kindergarten oder eine Schule
       anschauen, muss man aus Sicherheitsgründen (man könnte ja ein
       Kinderschänder sein, der Schulen ausbaldowert) und obwohl man noch nicht
       weiß, ob man den Laden nicht vielleicht total daneben findet, Namen,
       Geburtsdatum und Adresse von Eltern und Kind in ein Onlineformular
       eingeben. Was, wenn die Seite gehackt wird?
       
       ## Hochzeitslisten im Netz
       
       Eine Möglichkeit, die Daten später zu löschen, gibt es nicht, genauso wenig
       wie man in der Apotheke einfach fragen kann, ob ein
       verschreibungspflichtiges Medikament vorrätig ist – man muss seine Daten
       angeben, vielleicht nur um zu hören, das Medikament sei nicht lieferbar.
       Die Daten werden, obwohl man gar nicht Kunde dieser Apotheke ist,
       gespeichert.
       
       Dass es allerdings auch mal ganz schön sein kann, wenn fremde Menschen
       deine Hochzeitsliste im Internet finden, erfuhr erst kürzlich der Student
       Jon Meis. Er hatte den Amokläufer Aaron Ybarra, der gerade dabei war, ein
       Massaker an der Seattle Pacific University anzurichten, in einer
       Nachladepause mit Hilfe von Pfefferspray niedergerungen.
       
       Die Presse schrieb, Meis werde demnächst heiraten, und sofort kursierte der
       Link zu seiner Hochzeitsliste im Internet. Binnen kürzester Zeit hatten
       Fremde alles für ihn und seine Verlobte gekauft, was darauf stand, und eine
       Fundraisingseite eingerichtet, auf der mehr als 25.000 Dollar für die
       Hochzeitsreise gespendet wurden.
       
       Was du halt alles so erfährst, wenn du angeregt von einem Galeriedinner
       vorm Zubettgehen noch ein bisschen herumgoogelst. Und was Google dann eben
       so alles über dich erfährt, deine Dinner, deine RSVP-Problemchen und
       höchstwahrscheinlich auch über deine exotische Herkunft aus
       Datenschutzdeutschland.
       
       2 Nov 2014
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://registry.com
   DIR [2] http://zillow.com
       
       ## TAGS
       
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