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       # taz.de -- Laura Poitras über ihren Snowden-Film: „Es hätte auch eine Falle sein können“
       
       > Laura Poitras hat eine Doku über Snowden gedreht und benutzt zu Hause nur
       > noch das Festnetztelefon. Sie stand schon auf einer Liste mit
       > Terrorverdächtigen.
       
   IMG Bild: „Seine Eloquenz spiegelt lediglich seine analytische Denkweise wider“: Edward Snowden
       
       taz: Mrs. Poitras, haben Sie sich, seit Sie Edward Snowden kennengelernt
       haben, angewöhnt, alle elektronischen Geräte auszustöpseln, wenn Sie einen
       Raum betreten? 
       
       Laura Poitras: Das hängt ganz davon ab, mit wem und vor allem worüber ich
       spreche. Normalerweise nicht. Beim Schnitt unserer Hongkong-Aufnahmen haben
       mein Cutter und ich allerdings unsere Handys aus dem Raum entfernt. Ich bin
       im vergangenen Jahr definitiv noch vorsichtiger geworden. Seit meiner
       Rückkehr aus Hongkong benutze ich zu Hause zum Beispiel nur noch mein
       Festnetztelefon.
       
       taz: Wann realisierten Sie, dass die Person, die Sie im Januar 2013 unter
       dem Decknamen „Citizenfour“ kontaktierte, kein Witzbold ist? 
       
       Nach der zweiten oder dritten E-Mail. Sobald unsere Kommunikation sicher
       war, sagte er Dinge, die mich aufhorchen ließen. Das war die erste
       Korrespondenz, die im Film zu sehen ist: Als er erklärt, dass unsere Gegner
       über technische Möglichkeiten verfügen, eine Billion Suchanfragen pro
       Sekunde zu verschicken. Im Februar erhielt ich erstmals Dokumente, die noch
       nie zuvor in der Öffentlichkeit aufgetaucht waren und glaubwürdig aussahen.
       Da dämmerte mir, dass diese Informationen für mich und meinen Informanten
       gefährlich sein könnten. Aber ich blieb vorsichtig, es hätte auch eine
       Falle sein können. Schließlich befand ich mich selbst auf einer Liste mit
       Terrorverdächtigen.
       
       Wie haben Sie erfahren, dass Sie auf einer Watchlist des amerikanischen
       Geheimdienstes stehen? 
       
       Das war 2006, ein Jahr nach „My Country, my Country“. Ich wurde auf dem
       Wiener Flughafen aus der Schlange geholt und Beamte durchsuchten mein
       Gepäck. Der Sicherheitschef erklärte mir, dass die amerikanische Regierung
       eine erhöhte Terrorwarnung auf meinen Namen ausgerufen hat. Ich glaube
       aber, dass das nichts mit mir persönlich zu tun hatte. Es gibt niemanden,
       der Menschen gezielt auf diese Listen setzt. Es ist bloß eine Folge des
       verstärkten Profilings nach 9/11. Es gibt auch niemand zu, dass es diese
       Listen gibt.
       
       Inzwischen sollen 1,2 Millionen Menschen auf dieser Liste stehen, wie wir
       am Ende Ihres Film erfahren. Fühlen Sie sich mit der Öffentlichkeit dank
       „Citizenfour“ nun sicherer? 
       
       Es gab seitdem eine Menge Medienberichte, ich war in die Recherchen des
       Spiegel und der New York Times involviert, der Film bekommt viel
       Aufmerksamkeit. Ich denke schon. Ich reise inzwischen auch wieder
       unbehelligt in die USA ein.
       
       Das denkwürdigste Bild Ihres Films ist Edward Snowden, der sich hinter der
       Bettdecke, seinem „magischen Tuch“, versteckt, während er Passwörter in den
       Computer eingibt. Beunruhigend daran finde ich, dass Snowden nie paranoid
       wirkt, sondern im Gegenteil sehr aufgeräumt, während er seine
       Vorsichtsmaßnahmen gegen eine mögliche Überwachung erklärt. 
       
       Im Anbetracht der Umstände, ein konspiratives Treffen mit Fremden in einem
       anonymen Hotelzimmer in Hongkong, war sein Verhalten durchaus nicht
       paranoid. Er wusste schließlich aus erster Hand, welche
       Überwachungstechniken der NSA oder anderen Geheimdiensten zur Verfügung
       stehen. Sein Verhalten in diesem Moment erzählt aber auch viel über ihn
       selbst.
       
       Am Anfang erklärt Snowden: Ich bin nicht die Geschichte. Ihr Film rückt ihn
       dann aber doch in den Fokus – bis hin zur Schlussszene, in der Sie durch
       ein Fenster filmen, wie er mit seiner Freundin Lindsay Mills kocht. Wie hat
       Snowden darauf reagiert? 
       
       Alle meine Dokumentationen haben große Themen aus der Perspektive eines
       Individuums erzählt. Im April 2013 teilte Edward Snowden mir mit, dass er
       sich öffentlich zu den Enthüllungen bekennen würde. Von diesem Moment an
       war es unausweichlich, dass er im Mittelpunkt der Geschichte steht – für
       die Medien, aber auch für seine Gegner. Ich habe ihm vorgeschlagen, unsere
       Treffen zu filmen, um zu gewährleisten, dass er die Gründe für sein Handeln
       der Öffentlichkeit erklären kann – und warum die Überwachungsarchitektur
       der Geheimdienste die Privatsphäre jedes Einzelnen bedroht. Snowden hat
       mich aber nicht als Filmemacherin oder als persönliche Biografin
       kontaktiert, sondern als Journalistin. Und wegen meiner Kontakte zu Glenn
       Greenwald. Er suchte Verbündete.
       
       Erstaunlich finde ich, wie selbstbewusst er sich vor der Kamera zu
       inszenieren versteht. Hat er für diesen Auftritt trainiert? 
       
       War das Ihr Eindruck? Edward Snowden ist privat eigentlich ein sehr
       unaffektierter Mensch. Aber es stimmt, dass er eine Präsenz hat, die einen
       solchen Schluss nahelegen könnte. Unsere Interviews waren nicht geskriptet,
       seine Eloquenz spiegelt lediglich seine analytische Denkweise wider. Ich
       denke, dass er vor der Kamera so eindrucksvoll rüberkommt, gerade weil er
       so natürlich ist.
       
       Wäre „Citizenfour“ weniger packend, wenn Snowden nicht so ein
       charismatischer Typ wäre? 
       
       Ich glaube, worauf Sie reagieren, ist mehr meine Art, Film zu drehen, als
       die Persönlichkeit Snowdens. Ich filme meine Dokumentation wie andere
       Regisseure Spielfilme: Schuss, Gegenschuss, Naheinstellungen. Snowden ist
       unglaublich eloquent, aber am Ende mussten wir auch eine Geschichte
       erzählen. Mit dem Unterschied, dass die Spannungskurve im Film sich im
       Hotelzimmer in Echtzeit aufbaute. Wir haben die Chronologie der Ereignisse
       nicht verändert, was dem Film eine Thriller-Struktur verleiht. Obwohl ich
       das Wort in diesem Zusammenhang nicht mag.
       
       Aber das nachhaltigste Bild des Films ist Edward Snowden mit Laptop in
       einer strahlend weißen Bettenlandschaft. Ein unschuldiges Image. 
       
       Das Hotelzimmer war alles andere als ein idealer Drehort, aber unter den
       Umständen musste ich mich mit den Gegebenheiten arrangieren. Ich erkenne im
       Nachhinein aber auch eine gewisse Schönheit in diesen Beschränkungen. Es
       steckten ganz sicher keine manipulativen Absichten hinter dieser
       Inszenierung. Es gab im Hotelzimmer einfach nur zwei Stühle.
       
       Ihr Film beschreibt nebenbei sehr detailliert, wie ein Medien-Scoop
       vorbereitet wird. 
       
       Ich hab gesehen, dass sich die seltene Möglichkeit ergibt, investigativem
       Journalismus bei der Arbeit zuzusehen. Gewöhnlich bekommt die
       Öffentlichkeit so etwas erst mit, wenn jemand seine Memoiren schreibt.
       Meine Rolle bei den Enthüllungen bestand nicht in der Arbeit mit den
       Dokumenten, das war Glenns Aufgabe. Ich sollte den Prozess dokumentieren,
       weil uns damals bewusst war, dass dieser Moment eine historische Tragweite
       hat.
       
       Ihr Film delegiert moderne Kommunikation ins 19. Jahrhundert zurück. Es
       gibt das „magische Tuch“, handschriftliche Korrespondenzen, ein Journalist
       sagt einmal, der sicherste Weg der Kommunikation sei, wie im
       Watergate-Skandal, das Treffen in einer dunklen Garage. Werden die Leute
       als Konsequenz der NSA-Enthüllungen wieder auf diese Formen der
       Kommunikation zurückfallen? 
       
       Zurückzugehen zum „Analogen“ ist eine Möglichkeit, die viele Menschen
       wieder ernsthaft in Betracht ziehen. Digitale Kommunikation hat sich als
       verwundbar erwiesen. Wir haben im Abspann aber auch dem Tor-Projekt und der
       frei verfügbaren Verschlüsselungssoftware, die wir benutzt haben, gedankt.
       Diese Technologien geben dem User zu einem gewissen Grad die Macht über das
       Internet zurück. Man hat das in den letzten Jahren auch bei politischen
       Protesten erlebt. Eine weitere Konsequenz ist, dass
       Telekommunikationsunternehmen schon jetzt verstärkt
       Verschlüsselungstechniken anbieten. Privatheit ist mittlerweile ein
       käufliches Produkt geworden.
       
       27 Oct 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Andreas Busche
       
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