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       # taz.de -- Migranten in Frankreich: Der rechte „Retter“ von Calais
       
       > Die Lage der Flüchtlinge in der Stadt am Kanal wird immer dramatischer,
       > Zusammenstöße mit der Polizei nehmen zu. Das ruft Rechtsradikale auf den
       > Plan.
       
   IMG Bild: Flüchtlinge in Calais: Essen unter Polizeibeobachtung
       
       CALAIS taz | In einem Punkt sind sich die Polizei und lokalen Behörden, die
       humanitären Helfer und die direkt betroffenen Migranten einig: Die Zustände
       in Calais, wo tägliche Dutzende oder manchmal Hunderte von Flüchtlingen
       versuchen, auf einen Laster aufzuspringen und versteckt nach Großbritannien
       zu gelangen, sind unerträglich und gefährlich. Vor wenigen Tagen (in der
       Nacht auf den 21. Oktober) wurde eine 16-jährige Äthiopierin beim
       Überqueren der Autobahn A16 bei Calais angefahren und tödlich verletzt.
       
       Mehrmals kam es in der letzten Woche im „Dünen-Camp“ in der Industriezone
       der Chemiefabrik Tioxide, wo Hunderte von Menschen unter freiem Himmel
       campieren, zu handgreiflichen Auseinandersetzungen zwischen Eritreern und
       Äthiopiern, und anschließend zu gewaltsamen Zusammenstößen mit der Polizei.
       
       Wegen dieser Eskalation hat das Pariser Innenministerium eine zusätzliche
       Hundertschaft der Ordnungspolizei CRS nach Calais geschickt. Noch vor
       Wintereinbruch soll wenigstens für die Kinder und Frauen eine Tagesstätte
       mit sanitären Einrichtungen eröffnet werden. Längerfristige
       Lösungsvorschläge sollen zwei Experten nach Hearings vor Ort der Regierung
       unterbreiten. Ihr Bericht wird nicht vor März 2015 erwartet.
       
       Vor dem Hintergrund des Flüchtlingselends, dem Geschäft krimineller
       Schlepperringe, der Ohnmacht der Behörden und der wachsenden Ablehnung in
       der Bevölkerung beginnt in Calais die extreme Rechte Morgenluft zu wittern.
       Mehr als 8.000 „Freunde“ hat die vor einem Jahre gestartete Facebookseite
       „Sauvons Calais“ (Lasst uns Calais retten!) bereits. Offen rassistische
       Beschimpfungen wechseln dort ab mit dramatisch klingenden Gerüchten über
       Aggressionen gegen brave Bürger durch obdachlose Migranten und Aufrufen zur
       Selbstverteidigung. Mit einer Anzeige werden Freiwillige für einen
       „Sicherheits- und Ordnungsdienst“ gesucht.
       
       Initiator ist der 20-jährige Kévin Reche. Er will seine Stadt vom Zustrom
       der Migranten befreien: „Sie müssen einfach alle ausgewiesen werden“,
       fordert er – die Finessen des Rechts bewusst ignorierend.
       
       ## Kundgebung mit SS-Insignien
       
       Vizebürgermeister Philippe Mignonet beschwichtigt , „Sauvons Calais“ sei
       nicht repräsentativ. Er bedauert indes, dass die Polizeipräfektur eine
       rassistische Kundgebung der Rechtsextremisten Anfang September genehmigt
       habe. Dort waren SS-Insignien und Neonazi-Symbole zu sehen.
       
       Ein Redner der verbotenen Organisation Oeuvre française forderte die Bürger
       auf, sich in den Stadtvierteln gegen die „Halsabschneider“ zu organisieren.
       Wenige Tage nach der Demonstration hatten vier Jugendliche ein von
       Migranten besetztes Haus mit Molotowcocktails angegriffen. Unbekannte
       hatten auch die Duschkabinen der Migranten-Hilfsorganisation Secours
       catholique zerstört.
       
       Vor einem Jahr war Reche auf Distanz zum rechtsextremen Front National (FN)
       gegangen. Er habe dort wohl wegen seiner „zu kurzen Haare“ Anstoß erregt,
       meint er. Vielleicht war es aber eher das tätowierte Hakenkreuz auf seiner
       Brust, mit dem er im Internet Furore gemacht hatte. Nicht alle nehmen den
       jungen Neonazi, der eines Tages Bürgermeister von Calais werden möchte,
       ernst.
       
       Sévérine Mayer, die als Mitbegründerin des Kollektivs Calais, ouverture et
       humanité politisch auf der Gegenseite steht, hält Reche für einen unreifen
       Menschen, der „seine Frustrationen in einen auf Hass begründeten Kampf“
       umleitet und so eine öffentliche Bedeutung erlangt habe, von der er sonst
       nie hätte träumen können. Aber gerade das ist symptomatisch für die
       Stimmung in Calais, wo bisher zum Glück nur eine winzige (aber wegen ihrer
       Existenz beunruhigende) Minderheit eine „Rettung“ mit solchen
       Neonazi-Methoden wünscht.
       
       27 Oct 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Rudolf Balmer
       
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