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       # taz.de -- Treibhausgase in der EU: Einig Klima in Europa
       
       > Die EU hat ihre Klimaschutzziele trotz Differenzen und Streit neu
       > gesteckt. Sie ist damit globales Vorbild – auch für den UN-Klimagipfel.
       
   IMG Bild: In Sachen Energieeffizienz ein Vorbild: die Sonne.
       
       BRÜSSEL/BERLIN taz | Die EU ist wieder Weltmeister im Klimaschutz. Nach
       zähen Verhandlungen haben sich die 28 EU-Staaten in der Nacht zu Freitag
       geeinigt, den Ausstoß von Treibhausgasen bis 2030 um „mindestens 40
       Prozent“ zu reduzieren.
       
       Die EU habe „die weltweit ehrgeizigste Vereinbarung“ in der Klimapolitik
       geschlossen, freute sich EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy. „Europa ist
       sprachfähig und verhandlungsfähig“, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel mit
       Blick auf die entscheidenden Klimakonferenzen im Dezember in Lima und in
       Paris 2015. Die EU spricht nach der Nacht von Brüssel mit einer Stimme und
       das ist entscheidend in den harten Verhandlungen der kommenden 12 Monate.
       
       Die Delegierten aus 194 Staaten beim Vorbereitungstreffen zum nächsten
       großen UN-Klimagipfel in Lima sind dagegen eher frustriert. Weitgehend
       unbemerkt haben sie sich diese Woche in Bonn getroffen, um über die
       Rahmendaten für ein neues, globales Klimaschutzabkommen zu verhandeln. In
       der peruanischen Hauptstadt wollen die UN-Staaten im Dezember ein Dokument
       vorbereiten, das im Vergleich zu den EU-Zielen wesentlich entscheidender
       ist: ein bindendes, weltweites Abkommen zum Klimaschutz, das die
       Weltgemeinschaft Ende 2015 in Paris verabschieden will. Delegierte in Bonn
       beschreiben die dortigen Verhandlungen als „demoralisierend“. Eine der
       Vorsitzenden der Verhandlung, Kishan Kumarsingh, forderte die Abgesandten
       auf, „sich in die Augen zu schauen und sich zu fragen, ob wir auf dem
       richtigen Weg sind“.
       
       Die Brüsseler Entscheidung könnte für das UN-Vorbereitungstreffen als
       Vorbild dienen. Die Umweltverbände sind erwartungsgemäß enttäuscht. „Das
       verbindliche CO2-Reduktions-Ziel von mindestens 40 Prozent bis 2030 war der
       kleinste gemeinsame Nenner, mehr nicht“, kritisierte Jürgen Resch, Chef der
       Deutschen Umwelthilfe. „Die unverbindlichen Energieeffizienz-Ziele bremsen
       nun die Energiewende zusätzlich aus, zumal kein Staat zum Handeln
       verpflichtet wird“, sagte Resch.
       
       ## Portugal forderte Hilfe
       
       Die EU-Staaten haben die Zielwerte zur Energieeffizienz kurz vor Schluss
       gesenkt. Europa will nun im Jahr 2030 27 Prozent weniger Energie
       verbrauchen. Ursprünglich waren 30 Prozent geplant, zudem ist das Ziel
       unverbindlich. Auch für erneuerbare Energien legten Merkel und die anderen
       EU-Chefs eine Zielmarke von 27 Prozent fest. Besonders ehrgeizig ist das
       nicht: Deutschland kann diese Ziele ohne neue Anstrengungen erreichen, wie
       Merkel selbst betonte.
       
       Zudem wurde die Einigung mit zahlreichen Ausnahmen und Hintertüren erkauft.
       Ganze zehn Seiten mit für den Bürger unverständlichen Regelungen brauchen
       die EU-Chefs, um sich über die Vorgaben der EU-Kommission und des
       Europaparlaments hinwegzusetzen, das ambitioniertere Ziele gefordert hatte.
       Vor allem Polen und Großbritannien setzten niedrigere Standards durch.
       
       Polen sträubte sich gegen das 40-Prozent-Ziel und forderte weiter
       kostenlose Verschmutzungsrechte für seine klimaschädlichen Kohlekraftwerke.
       „Mit dem schmutzigen Deal wird die Kohleverstromung zementiert“, sagte
       Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter. Der Europäische Rat habe „den
       Klimaschutz verraten“. Die Linken-Klimaexpertin Eva Bulling-Schröter
       schimpfte: „Wieder einmal durften bei einem Treffen der Staats- und
       Regierungschefs Industrievertreter und Wachstumsideologen über den roten
       Teppich laufen, während Klimaschützer nur Zaungäste waren.“
       
       Besonders einflussreich waren diese in Großbritannien. Zwar unterstützen
       die Briten eine CO2-Minderung von 40 Prozent, aber sie verweigern
       Unterziele fürs Energiesparen und für Erneuerbare Energien. Portugal
       forderte Hilfe, damit sein Ökostrom durch neue Netze endlich auch in
       Frankreich und dem Rest der EU ankommt. Alle drei bekamen, was sie wollten.
       Auch Deutschland setzte eine Ausnahme durch. Die Förderung der erneuerbaren
       Energien, die aus Sicht der EU-Kommission eine unerlaubte Beihilfe ist,
       kann fortgeführt werden. Darauf war Merkel besonders stolz – denn so kann
       Deutschland den geforderten Anteil von Ökostrom von 27 Prozent leicht
       überbieten und zugleich seine energieintensive Industrie schützen.
       
       ## Ministerrat geschwächt
       
       Nur die Energiesicherheit blieb bei dem stundenlangen Geschacher auf der
       Strecke. Zwar bekräftigte die EU ihr Ziel, die Abhängigkeit von Russland zu
       verringern und die „Widerstandsfähigkeit“ für den Fall einer Gaskrise zu
       steigern. Doch neue Beschlüsse zu diesem brisanten Thema gab es nicht – die
       wurden auf 2015 vertagt.
       
       Für den Fall, dass neue Beschlüsse nötig werden, haben sich die EU-Granden
       immerhin schon gerüstet – und beschneiden auch weiterhin den Einfluss des
       EU-Parlament auf Klimabeschlüsse: Die Staats- und Regierungschefs haben
       kurzerhand festgelegt, die „strategischen Leitlinien“ auch künftig allein
       festzulegen. Damit wird nicht nur der Ministerrat geschwächt und das
       Europaparlament entmachtet. Klimapolitische Bremser wie Polen haben
       weiterhin ein Vetorecht.
       
       Dennoch ist die Europäische Union nun der erste große Wirtschaftsraum, der
       konkrete Ziele für 2030 festlegt. Doch sie steht nur für 10 Prozent der
       globalen Emissionen an Treibhausgasen, Tendenz sinkend. Wichtiger ist die
       Vorbildfunktion: Bis zum Frühjahr nächsten Jahres sind die Staaten der Welt
       deshalb im Rahmen der UN-Klimaverhandlungen aufgefordert, ihre Beiträge zu
       nennen. Hier könnte Europas Vorpreschen für Bewegung sorgen.
       
       Das wäre wichtig, wie folgende Beispielrechnung zeigt: Sechs Provinzen in
       China haben kürzlich verkündet, bis 2017 ihren Kohleverbrauch senken zu
       wollen. Sollten sie die Maßnahmen bis 2020 verlängern, würde der
       CO2-Ausstoß Chinas insgesamt zwar weiter steigen, jedoch langsamer als
       bisher. Doch die Differenz ist gewaltig: Im Jahr 2020 würden der Atmosphäre
       dank dieses langsameren Anstiegs fast dreimal so viel klimaschädliches Gas
       erspart bleiben wie infolge der europäischen Klimaschutzmaßnahmen. Sollten
       China, die USA und andere Staaten beim Klimaschutz weiterhin nicht
       mitmachen, dann könnte Europa kollektiv auf den Mars auswandern: Der
       Klimawandel auf der Erde wäre nicht gestoppt.
       
       24 Oct 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ingo Arzt
       
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