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       # taz.de -- Kommentar Flüchtlingsgipfel in Berlin: Propaganda im Kanzleramt
       
       > Die Deutschen sind nicht so fremdenfeindlich, wie die hohe Politik
       > glaubt. Es ist Zeit, das Asylbewerberleistungsgesetz zu kippen.
       
   IMG Bild: Notunterkunft für Flüchtlinge in Bruchsal, Baden-Württemberg
       
       Gipfel im Kanzleramt – das klingt, als würde etwas als Chefsache angepackt,
       alle Beteiligten an einen Tisch geholt, um dann zackig Entscheidungen
       treffen zu können. Und genau das wäre in Sachen Asyl nötig: In Berlin und
       Bayern stehen Flüchtlinge vor verschlossenen Aufnahmeeinrichtungen oder
       müssen auf der Straße wohnen, in Nordrhein-Westfalen werden sie von Wärtern
       privater Sicherheitsdienste misshandelt. Und fast überall haben die
       Kommunen große Schwierigkeiten, zumutbaren Wohnraum zu finden – zu groß ist
       der Anteil der Kosten, den sie tragen müssen.
       
       Doch leider war der vom Kanzleramt veranstaltete Flüchtlingsgipfel das
       genaue Gegenteil: Weder wurden alle Beteiligten an einen Tisch geholt –
       Kommunen und Flüchtlingsorganisationen durften nicht kommen – noch gab es
       eine Entscheidung. Wie auch? Es fehlte ja ein Angebot, das der Bund den
       Ländern gemacht hätte, um sie endlich bei der Versorgung der Flüchtlinge zu
       entlasten. Es war eine Propagandaveranstaltung, die den Eindruck
       politischer Tätigkeit erwecken sollte.
       
       Die Länder waren bescheiden an die Sache herangegangen. Ihr Vorschlag
       lautete: Bis zum dritten Monat des Asylverfahrens zahlen sie –
       beziehungsweise die Kommunen –, danach der Bund. Der zahlt bislang nämlich
       gar nichts, obwohl er von allen öffentlichen Haushalten am besten dasteht.
       Faktisch wäre der Vorschlag auf eine Fifty-fifty-Lösung hinausgelaufen: Im
       Moment dauern Asylverfahren im Durchschnitt sieben Monate.
       
       Der Bund hat stattdessen angekündigt, 350 neue Asyl-Entscheider
       einzustellen. Das sind nicht wenige, wird den Kommunen aber erst mal nicht
       viel helfen: 140.000 offene Anträge werden nur langsam abschmelzen – zu
       viele neue werden in diesen Monaten gestellt, zu lange wird es dauern, die
       neuen Entscheider zu schulen.
       
       Die Kopplung der finanziellen Zuständigkeit an die Geschwindigkeit des
       Asylverfahrens dürfte die Fairness gegenüber Flüchtlingen allerdings nicht
       gerade fördern – frei nach der Losung: Sparen durch schnellere Abschiebung.
       Einige Länder wollten weitergehen und das Asylbewerberleistungsgesetz
       komplett streichen, statt es bloß kosmetisch zu reformieren, wie der Bund
       es will.
       
       ## Kosten für Kommunen und Länder
       
       Kippt das Gesetz, müsste der Bund die regulären Sozialleistungen komplett
       zahlen, Kommunen und Länder könnten sich dann die Kosten für die
       Unterbringung teilen. Aber dabei machen vor allem die CDU-Länder und der
       Bund nicht mit. Sie halten an dem Gesetz fest, dass die soziale
       Schlechterstellung der Flüchtlinge seit 1993 festschreibt – und die Kosten
       den Kommunen und Ländern aufdrückt.
       
       Begründet wird dies in der Regel nicht mit fehlendem Geld, sondern mit
       höheren Zielen: Wenn die Asylbewerber zu viel kosten, so heißt es gern,
       schmälere das die Akzeptanz des Asylschutzes insgesamt. So wurde unter
       anderem gerechtfertigt, dass Flüchtlinge mit gut der Hälfte des
       Existenzminimums in Deutschland leben mussten – bis dies 2012 schließlich
       als verfassungswidrig verboten wurde.
       
       Heute aber kommen mehr Flüchtlinge als je zuvor in den letzten 20 Jahren,
       und sie sind noch immer bei der medizinischen und sozialen Versorgung
       diskriminiert. Gleichzeitig ist die Stimmung in der Bevölkerung keineswegs
       besonders fremdenfeindlich – im Gegenteil. Die unseligen „Nein zum
       Heim“-Initiativen von Neonazis und Aktivbürgern, bleiben bislang eine
       Ausnahmeerscheinung. Das Argument, man müsse rassistische Aufwallungen
       durch restriktive, „unattraktive“ Versorgung verhüten, hat sich an der
       Wirklichkeit blamiert.
       
       Es gibt keinen Grund, an der Ungleichbehandlung festzuhalten. Dies
       durchzusetzen – und so ihre Kosten zu drücken –, hätten die rot und grün
       regierten Länder in der Hand: Dem neuen Asylbewerberleistungsgesetz können
       sie demnächst im Bundesrat die Zustimmung verweigern. Dann könnten sie sich
       die Teilnahme an Showveranstaltungen im Kanzleramt sparen.
       
       25 Oct 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christian Jakob
       
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