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       # taz.de -- Porträts von Filmemachern: Vom Fernsehen ins Buch
       
       > Zehn Werkinterviews mit Hamburger Filmemachern hat der dortige
       > Ausbildungskanal „Tide TV“ produzieren lassen, hochgradig subjektiv.
       > Jetzt werden sie ausgestellt.
       
   IMG Bild: Tische mit Monitoren, dazu Tischdecken mit Filmbildern, Texten und Fotos: In Sachen Ausstellungskonzept wäre mehr drin gewesen.
       
       HAMBURG taz | Hier wird der Nachwuchs gefördert – und zugleich eine
       Geschichte erzählt von den letzten 50 Jahren Filmgeschehen: Anderthalb
       Jahre lang haben drei jungen Autorinnen zehn Werkinterviews mit Hamburger
       FilmemacherInnen geführt. Aus einem Topf mit gut 20 Namen konnten sie sich
       jene aussuchen, die sie am meisten interessierten. Entsprechend ist auch
       ihr Zugang: Sie selbst werden in den Filmen als Fragesteller sichtbar,
       erzählen von ihrer ganz eigenen Warte aus.
       
       Diese Subjektivität war eine der wenigen Bedingungen, die Claudia Willke,
       Chefredakteurin des Hamburger Senders „Tide TV“, den drei Filmemacherinnen
       Ann Kimminich, Anja Ellenberger und Marianne von Deutsch stellte.
       Stilistische Vorgaben gab es keine, jedes der Werkinterviews hat seine
       eigene Ästhetik und Stimmung.
       
       Vor zehn Jahren wurde in Hamburg der „Offene Kanal“, in dem ganz normale
       Leute Sendungen für Funk und Fernsehen produzieren und ausstrahlen konnten,
       durch den „Communitysender und Ausbildungskanal“ Tide ersetzt, der nach dem
       Chefredakteur-Prinzip organisiert wird, sodass ein Mindestmaß an
       Professionalität gewährleistet wird. Zehn Filme zum zehnten Geburtstag –
       das ist ähnlich einleuchtend wie die Grundidee von Chefredakteurin Willke.
       Für die langjährige Dokumentarfilmerin ist „Hamburg neben Oberhausen die
       Stadt, die die Filmkultur in Deutschland nach dem Krieg am meisten geprägt
       hat. Und das ist kaum bekannt.“
       
       Zehn wichtige Künstler dieser Szene wollte sie vorstellen. Und weil Tide
       auch den Auftrag hat, junge Menschen in den elektronischen Massenmedien
       auszubilden, entwickelte sich daraus ein Projekt, an dem die TV-Volontärin
       Kimminich, die allein sechs der Filme drehte, anderthalb Jahre lang
       gearbeitet hat.
       
       Konzipiert waren die zehn Filme ursprünglich nur für die Ausstrahlung im
       eigenen Fernsehsender, wo seit März pro Monat einer gezeigt wird. Dann
       interessierte sich Martin Aust vom örtlichen Kommunalen Kino „Metropolis“
       für das Projekt: Er organisierte eine ebenfalls monatliche Reihe, die einem
       Porträt jeweils eine Arbeit des Porträtierten zur Seite stellte, der
       obendrein auch noch persönlich zu Gast war.
       
       Dann meldete sich die Freie Akademie der Künste, die zwar den
       selbstgesetzten Auftrag hat, regelmäßig Veranstaltungen über Filmkunst zu
       organisieren – aber nur selten ein passendes Thema findet. So werden die
       Werkinterviews nun in ihren Räumen ausgestellt: Auf zehn Tischen sind
       Monitore aufgebaut, davor stehen ein paar Stühle, es gibt Kopfhörer und
       Tischdecken, bedruckt mit Filmbildern, Texten und Fotos der Porträtierten.
       
       Als Ausstellungskonzept ist dies enttäuschend simpel. Im Vergleich zum
       Fernsehen zu Hause, ganz zu schweigen von der Kino-Leinwand, ist das Sitzen
       auf einem harten Stuhl bei nahezu unvermeidlicher Ablenkung durch die
       anderen Ausstellungsbesucher sicher die unattraktivste Art der medialen
       Vermittlung. Andererseits: Als weiteres Glied der Verwertungskette ist
       dieses „Film-Kunstkabinett“ ein Erfolg zumindest für den Sender. Und im Mai
       kommenden Jahres wird es sogar den Schritt in ein noch älteres Medium
       geben: Dann bringt die Hamburger Universität Abschriften der Interviews
       heraus, als Taschenbuch in der Reihe „Hamburger Geschichte – Film und
       Fernsehen“.
       
       Auf welche Weise hier Hamburger Filmgeschichte bewahrt wird, das
       verdeutlicht insbesondere die Folge über den Dokumentarfilmer Jens
       Huckeriede, der im Dezember 2013, einige Monate nach dem Interview,
       verstarb: Ganz ungeplant wurde Kimminichs Film zu einem Nachruf, der sowohl
       dem Künstler wie auch seinem Werk gerecht wird. Huckeriede bekommt noch
       einmal Raum, seine Art des Arbeitens zu erklären: Er hat immer Filme über
       das Erinnern gemacht, sein bester – und bekanntester – ist „Return of the
       Tüddelband“, der die Geschichte der Gebrüder Wolff erzählt, die als
       komödiantische Musiker das vielleicht bekannteste Hamburger Volkslied
       komponierten, „An de Eck steiht ’n Jung mit’n Tüdelband“ – und dann als
       Juden aus Deutschland vertrieben wurden.
       
       Ausschnitte der besprochenen Filme sind in dem Werkinterview mit viel
       Einfühlungsvermögen gewählt und montiert worden. So bekommt man einen guten
       Eindruck von der Arbeit des Regisseurs. Obwohl die zehn Folgen keine
       Künstlerporträts sein sollen, vermitteln sie doch viel von der
       Persönlichkeit des jeweils Gezeigten schon dadurch, wo die sich filmen
       ließen und wie sie sich in Szene setzen: Ort und Kontext durften die
       Künstler selber wählen.
       
       So plaudert Thomas Struck, der immer ein sehr kulinarisches Kino gemacht
       hat, in die Kamera, während er in seiner Küche Pasta kocht. Der
       Animationsfilmer Franz Winzentsen führt in seinem Studio vor, wie sein
       Stempeltrick funktioniert, Monika Treut doziert in ihrer Wohnung über ihr
       Werk und seine Bedeutung. Manchmal war die Gesprächssituation locker wie
       bei Hermine Huntgeburth, Volker Einrauch und Lothar Kurzawa, die als
       Künstlerkollektiv Josefine gemeinsam auf einem Sofa sitzen und einander ins
       Wort fallen. Da musste dann der Schnitt für Struktur sorgen. Dagegen hält
       der Trickfilmer Helmut Herbst Vorträge über die politische Bedeutung seiner
       Filme; Interviewerin Anja Ellenberger ist in Gegenschüssen andächtig
       lauschend zu sehen.
       
       Die größte Herausforderung, aus der dann aber auch die interessanteste
       Arbeit wurde, war das Werkinterview mit Peter Sempel. Seine Bedingung war,
       dass Ann Kimminich allein zu den Aufnahmen kommen musste, die dann im sehr
       dunklen Foyer des Hamburger 3001-Kinos stattfanden. Ähnlich wie in seinen
       Filmen, in denen der Sound stets wichtiger ist als der Sinn, erzählt er
       assoziativ in kurzen, manchmal brillanten Sätzen. Und wohl oder übel musste
       dann auch die junge Filmemacherin auf eine Weise schneiden, dass das
       Ergebnis stilistisch nahe an Sempel herankommt. Dass dies keine leichte
       Arbeit war, deutet sie mit einer schönen Pointe im Abspann an: Dort
       zeichnet Kimminich verantwortlich für „Buch, Regie, Kamera, Ton, Schnitt &
       Nerven“.
       
       ## Eröffnung: Donnerstag, 23. 10., 18 Uhr, Freie Akademie der Künste,
       Hamburg; bis 9. 11.
       
       22 Oct 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Wilfried Hippen
       
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