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       # taz.de -- Antiziganismus beim Bundesgerichtshof: BGH hetzte gegen „Zigeuner“
       
       > Romani Rose vom Zentralrat der Sinti und Roma erwartet vom
       > Bundesgerichtshof, dass er seine Geschichte aufarbeitet. Der BGH will
       > reagieren.
       
   IMG Bild: Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe.
       
       KARLSRUHE taz | Der Bundesgerichtshof (BGH) soll sich von seiner
       antiziganistischen Rechtsprechung der Nachkriegszeit distanzieren. Darum
       bat Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, am
       Dienstagabend bei einer Veranstaltung im BGH in Karlsruhe.
       
       Im Januar 1956 hatte der Bundesgerichtshof „Zigeunern“, die von den Nazis
       verfolgt worden waren, weitgehend die Entschädigung verwehrt. Die
       Ausgrenzungs- und Umsiedlungspolitik der Nazis sei bis 1943 nicht durch
       deren Rassenwahn motiviert gewesen, sondern Teil von „üblichen
       polizeilichen Präventivmaßnahmen“. Zur Begründung erklärten die BGH-Richter
       damals, wegen der Eigenart des Volkes habe es schon immer Maßnahmen gegen
       die „Zigeunerplage“ gegeben.
       
       Ohne jede Relativierung heißt es dort: „Sie neigen, wie die Erfahrung
       zeigt, zur Kriminalität, besonders zu Diebstählen und Betrügereien, es
       fehlen ihnen vielfach die sittlichen Antriebe zur Achtung von fremdem
       Eigentum, weil ihnen wie primitiven Urmenschen ein ungehemmter
       Okkupationstrieb zu eigen ist.“
       
       NS-Maßnahmen ab 1939 wurden außerdem mit „militärischen“ Erfordernissen
       begründet: Die umherwandernden Zigeuner könnten Spionage betreiben. Eine
       rassische Verfolgung erkannte der BGH in dem Urteil, das der taz vorliegt,
       erst ab Anfang 1943 an. Mit dem Erlass von SS-Reichsleiter Heinrich
       Himmler, die „Zigeuner“ entweder nach Ausschwitz zu deportieren oder
       unfruchtbar zu machen, sei eine „Wendung“ eingetreten, da es nun um die
       „gänzliche Ausrottung“ gehe.
       
       ## Unfähig zu offiziellen Erklärungen
       
       Das Urteil entfaltet heute keine Rechtswirkung mehr. 1963 hatte der BGH
       doch noch anerkannt, dass die Verfolgung der Sinti und Roma auch schon vor
       1943 rassistische Gründe gehabt haben könne. Damit konnten Überlebende auch
       entsprechende Entschädigungen erhalten. Der BGH stellte die rassistischen
       Gründe nun aber nur neben die weiterhin akzeptierten vermeintlich
       polizeilichen Erwägungen. Eine inhaltliche Distanzierung von dem 1956er
       Urteil war darin nicht enthalten.
       
       „Der BGH übernahm damals die Rechtfertigungsstrategie der
       Nationalsozialisten und deren demagogische Hetze“, kritisierte Rose. Bis
       heute habe es seitens des BGH keine Distanzierung gegeben. „Wir würden es
       sehr begrüßen, wenn eine solche Erklärung – in welcher Form auch immer –
       heute möglich wäre.“ Rose sprach auf Einladung des Bundesjustizministeriums
       beim 4. Rosenburg-Symposium zur „justiziellen NS-Aufarbeitung“.
       
       Die anwesenden BGH-Richter zeigten sich entsetzt, aber unfähig zu spontanen
       offiziellen Erklärungen. Die neue BGH-Präsidentin Bettina Limperg kündigte
       gegenüber der taz aber eine baldige Reaktion an.
       
       22 Oct 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christian Rath
       
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