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       # taz.de -- Motive von Frauen für den Dschihad: Salafismus als Befreiung
       
       > Aus Deutschland reisten mindestens 40 Frauen Richtung Syrien. Was bringt
       > sie dazu? Oft sind es Männer und klare Rollen, sagen Experten.
       
   IMG Bild: Die 15-jährige Nora verließ ihre Familie im Januar, um nach Syrien zu gehen.
       
       BERLIN taz | Über „Sarah O. aus Konstanz“ spricht Verfassungsschutzchef
       Hans-Georg Maaßen inzwischen auch öffentlich – und man merkt, dass ihn die
       Geschichte des Mädchens nicht kaltlässt. Die Gymnasiastin war gerade 15
       Jahre alt, als sie vergangenen Oktober nach Syrien zog, um auf der Seite
       der Islamisten zu kämpfen. „Sie ist ausgereist und hat dann ein Foto, auf
       dem sie mit einer Kalaschnikow vor der Fahne des Islamischen Staates
       posiert, nach Deutschland geschickt“, sagte Maaßen jüngst bei einer
       Anhörung im Bundestag.
       
       Die Eltern, der Vater gebürtiger Algerier, die Mutter deutsche Konvertitin,
       hatten nichts geahnt. Das Mädchen fälschte die Unterschrift des Vaters auf
       einer Einverständniserklärung und kaufte damit ein Ticket von Stuttgart
       nach Istanbul und weiter ins türkische Gaziantep. Von dort gelangte sie ins
       syrische Aleppo, wo sie sich zunächst al-Qaida angeschlossen haben soll.
       
       Aus Deutschland sind bis jetzt mehr als 450 IslamistInnen in Richtung
       Syrien gezogen. Mindestens 40 davon sind Frauen, weiß man beim Bundesamt
       für Verfassungsschutz. Nicht weniger als 54 der Ausgereisten sind
       Konvertiten. Was treibt Mädchen und Frauen, die in Deutschland geboren und
       aufgewachsen sind, dazu, nach Syrien zu gehen und dort für einen
       islamischen Staat zu kämpfen?
       
       Claudia Dantschke von der Beratungsstelle Hayat steht immer wieder vor
       dieser Frage. Sie berät Familien, deren Kinder sich radikalisieren und
       auszureisen drohen. Ein Drittel ihrer Fälle betrifft Töchter.
       
       ## Befreiung und Zerrissenheit
       
       Manche von ihnen stammen aus traditionellen Familien, die den Freiraum der
       Töchter stark einschränken. „Für diese Mädchen ist Salafismus fast wie eine
       Befreiung, so merkwürdig das klingen mag“, sagt Dantschke. „Dort gelten
       Einschränkungen für beide Geschlechter, was die Mädchen als gerechter
       empfinden. Sie emanzipieren sich mit ihrem neu erworbenen islamischen
       Wissen von autoritären Vätern.“
       
       Götz Nordbruch vom Verein Ufuq, der Präventionsarbeit in Schulen macht,
       verweist auf die Zerrissenheit der Mädchen: „Wenn man als 14-Jährige zum
       Beispiel in Berlin-Neukölln aufwächst, gibt es viele Möglichkeiten für
       Frauen – Minirock oder vollverschleiert, Karriere oder ein Leben für die
       Familie.“ Manche überfordert das. Die Salafisten nehmen den Mädchen die
       Entscheidung ab, sie bieten ganz klare Geschlechterrollen an.
       
       Um Sarah soll ein Mann im Internet geworben haben, der sie nach Syrien
       lockte. Die Zehntklässlerin nennt sich jetzt Amatul’ Aziz, Dienerin Gottes.
       Im Januar, kurz vor ihrem 16. Geburtstag, heiratete sie Ismail S., einen
       Dschihadisten aus Köln. Das postete sie auf Facebook. Und: „Wenn unsere
       Löwen schlafen, tragen wir die Verantwortung für die Ummah“, für die
       islamische Gemeinschaft also. Die beiden schlossen sich dem IS an.
       
       ## Islamisten als Helden
       
       Mädchen wie Sarah schwärmen für IS-Kämpfer wie andere für Popstars, sagt
       Islamismus-Expertin Dantschke. Männer wie Denis Cuspert, der sich früher
       als Rapper Deso Dogg nannte, zum Islam konvertierte und nun für den IS
       kämpft, sind ihre Helden. „Da gibt es eine richtige Fangemeinde
       pubertierender Mädchen“, sagt Dantschke. „Das ist deren Justin Bieber.“
       
       „Junge Frauen, die ausreisen, haben meist partnerschaftliche Beziehungen zu
       Männern, die schon drüben sind“, hat auch Thomas Mücke vom Violence
       Prevention Network beobachtet. Die Initiative gehe meist von den Männern
       aus. Mit jungen Frauen und insbesondere Mädchen gebe es aber wenig
       Erfahrungen, räumt er ein. „Letztlich ist uns das auch ein Rätsel.“
       
       Auch bei Karolina R. ging es um einen Mann. Farid S., der Lebensgefährte
       der 25-Jährigen aus Bonn, kämpft in Syrien für den IS. Sie selbst soll ihn
       mit Kameras und Geld unterstützt haben – für Propagandazwecke. S. posierte
       im Juli nach einem mutmaßlichen IS-Massaker in Syrien in einem
       Internetvideo vor einem Leichenberg.
       
       22 Oct 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Sabine am Orde
       
       ## TAGS
       
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