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       # taz.de -- Seuche: Der Tod im Watt ist dieses Mal gnädig
       
       > Ein erneutes Massensterben von Seehunden an der Nordseeküste wird es wohl
       > nicht geben. Grippeviren sollen für den Tod hunderter Tiere
       > verantwortlich sein.
       
   IMG Bild: An Lungenentzündung gestorben: ein angespülter Seehund am Strand von Sylt.
       
       HAMBURG taz | Die Gefahr eines erneuten Massensterbens von Seehunden in der
       Nordsee ist offenbar gebannt. Grippeviren sollen nach ersten Untersuchungen
       verantwortlich sein für den Tod mehrerer hundert Seehunde vor allem im
       schleswig-holsteinischen Teil des Wattenmeeres. „Nach jetzigem
       Kenntnisstand sind die Seehundbestände durch die Influenza nicht
       gefährdet“, sagt Hans-Ulrich Rösner, Leiter des Wattenmeer-Zentrums des
       World Wide Fund for Nature (WWF) im nordfriesischen Husum.
       
       Nach dem Ergebnis tierärztlicher Untersuchungen, die am Montag von der
       Nationalparkverwaltung im schleswig-holsteinischen Tönning vorgestellt
       wurden, ist ein großer Teil der seit Anfang Oktober gefundenen Seehunde an
       Lungenentzündungen verendet, die durch Influenzaviren verursacht wurden.
       Bei Untersuchungen toter Tiere durch die Tierärztliche Hochschule Hannover
       seien neben Bakterien wie Streptokokken sowie Lungenwürmern und anderen
       Parasiten häufig auch Influenzaviren gefunden worden. Um welche Art es sich
       handele, werde in den kommenden Wochen untersucht, sagt die Tierärztin
       Ursula Siebert: „Ein Staupe-Virus wurde aber nicht nachgewiesen.“
       
       Bereits im Sommer waren vermehrt tote Seehunde in den dänischen und
       schwedischen Gewässern des Kattegats registriert worden. Seit Anfang
       Oktober schwappte die Krankheit auch auf die deutsche Nordsee über. Auf
       Helgoland und den nordfriesischen Inseln seien bislang rund 350 tote
       beziehungsweise schwer kranke Seehunde gefunden worden, sagt
       Nationalparkleiter Detlef Hansen.
       
       Der Bestand der Seehunde im Wattenmeer ist nach Einschätzung der Experten
       durch die aktuelle Krankheit nicht gefährdet. Mit einer ähnlichen Anzahl
       toter Seehunden wie bei den beiden großen Ausbrüchen der Seehundstaupe
       rechnen Wissenschaftler aktuell nicht. 2002 verendeten an Nord und Ostsee
       knapp 22.000 Tiere, 1988 waren es rund 18.000. Diesmal sei es „keine
       Epidemie, sondern eine erhöhte Sterblichkeit“, sagte Siebert. Beide
       Seehundsterben waren durch den meist tödlichen Seehundstaupevirus (PDV)
       ausgelöst worden, der eng verwandt ist mit Masern und Rinderpestviren.
       Damals war jeweils rund die Hälfte des jeweiligen Bestandes gestorben.
       
       Von der aktuellen Krankheit sind die Kegelrobben im Wattenmeer bislang
       nicht betroffen. Auch vor der niedersächsischen Nordseeküste ist die
       Krankheit bisher noch nicht aufgetreten. Bei Kontrollflügen am Wochenende
       zwischen Ems und Elbe seien keine toten Tiere gesichtet worden, teilte das
       Landesamt für Verbraucherschutz mit.
       
       Die im dänisch-deutsch-niederländischen Wattenmeer lebenden Seehunde bilden
       eine gemeinsame Population. Um 1900 lebten hier etwa 37.000 Tiere. Vor
       allem wegen der Bejagung schrumpfte die Population auf etwa 4.000 Tiere im
       Jahr 1974. Nach der Einstellung der Jagd stieg sie deutlich an und erholte
       sich auch nach den Seehundsterben 1988 und 2002 innerhalb weniger Jahre.
       Derzeit leben etwa 40.000 Seehunde in den fünf Nationalparks des
       Wattenmeeres, davon etwa 12.000 in Schleswig-Holstein. „Der wachsende
       Bestand ist nach jahrhundertelanger Verfolgung ein großer Erfolg der
       Schutzbemühungen“, findet Rösner vom WWF.
       
       Veterinärin Siebert rät weiterhin zu besonderer Vorsicht beim Umgang mit
       erkrankten oder toten Seehunden. Sie können verschiedene Erreger
       beherbergen, die auch auf Hunde und Menschen übertragbar seien.
       „Spaziergänger sollten die Tiere nicht berühren und Hunde angeleint
       fernhalten“, sagt Siebert, um einer Übertragung von Krankheitserregern
       vorzubeugen.
       
       Eine Impfung der Tiere beziehungsweise tierärztliche Behandlung ist nach
       Sieberts Einschätzung schon angesichts der hohen Zahl unrealistisch. „Dies
       hier ist kein Zoo, sondern ein Nationalpark“, sagt Parkchef Hansen: „Hier
       gilt das Prinzip ’Natur Natur sein lassen‘. Und dazu gehört auch der Tod. “
       
       20 Oct 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Sven-Michael Veit
       
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