URI: 
       # taz.de -- Umstrittenes Rückkehrerprojekt: Niedersachsens Trojaner in Prishtina
       
       > Was Hilfsprojekte anrichten können, sieht man an „URA 2“ im Kosovo, das
       > von der Landesregierung in Hannover gefördert wird.
       
   IMG Bild: Sieht von Ferne ganz anders aus: Roma-Heimstatt im Kosovo.
       
       PRISHTINA taz | Ein bisschen suchen muss man schon, bis man in Kosovos
       Hauptstadt Prishtina das Büro von „URA 2“ findet. Etwas eingerückt liegt es
       in der kleinen Straße „Andrea Gropa“, Plakate mit dem Logo des deutschen
       Bundesamts für Migration und Flüchtlinge weisen den Weg. „Ura“ – das heißt
       „Brücke“ auf Albanisch und ist ein Projekt für „Rückkehrer“ in den Kosovo,
       das Niedersachsen seit 2009 mit sechs anderen Bundesländern und dem Bund
       finanziert. Erst kürzlich beschloss Niedersachsen eine Verlängerung bis
       2015.
       
       Im Kosovo soll URA 2 die „Reintegration heimkehrender Personen“
       unterstützen und ein „nachhaltiges Rückkehrmanagement“ leisten, so steht es
       in den Faltblättern, die für das Projekt werben. „Rückkehrer“ heißen bei
       deutschen Behörden alle Menschen, die in ein Land abgeschoben wurden oder
       „freiwillig ausreisen“ – ganz gleich, ob sie jemals dort waren und in
       Deutschland geboren wurden.
       
       Bei einem Besuch im Februar ist die Tür zum URA 2-Gebäude zunächst
       verschlossen. Ein Pförtner macht auf. Hinter seiner Loge ist ein leerer
       Besprechungsraum, an den Wänden hängen Plakate mit Motiven aus Nürnberg,
       der Hauptstadt des Bundesamtes für Migration, und Industrie-Fotografien mit
       dem Aufdruck „Made in Germany“. Auch eine deutsche Fahne labbert in der
       Ecke. In einem Raum in der oberen Etagen stehen drei Stockbetten, auf
       Bügeln hängen Kleider, Sakkos und Hemden. Es wirkt drapiert und
       ausgestellt.
       
       Die Menschen müssten hier eigentlich Schlange stehen: Überall in Prishtina
       trifft man auf Abgeschobene, die Lumpen tragen und in schlimmsten
       Verhältnissen leben, in Baracken oder Abriss-Häusern. An diesem Morgen ist
       von all diesen Menschen im URA 2-Gebäude nichts zu sehen. Nur
       Kinderzeichnungen an den Wänden geben einen Hinweis darauf, dass hier
       manchmal geöffnet sein könnte.
       
       Stärker wirkt URA 2 offenbar in Deutschland. Standardmäßig wird in
       Asylverfahren in Niedersachsen von Behördenseite auf die Hilfeleistungen
       hingewiesen, die in den Faltblättern gelistet sind. Das Projekt dient als
       Mittel, die von Gerichten möglicherweise feststellbaren
       Abschiebehindernisse – etwa aus gesundheitlichen Gründen – im Vorhinein
       auszuhebeln. Über URA 2 erhalten „Rückkehrer“ für bis zu sechs Monate eine
       Unterstützung von höchsten 75 Euro – in einem Land, in dem die
       Lebensmittelpreise mit den deutschen vergleichbar sind. Nach den sechs
       Monaten können die Menschen allerdings nicht zurück.
       
       FlüchtlingsvertreterInnen kritisieren das Projekt deshalb seit Jahren. Für
       Roma, die größte Gruppe der aus Deutschland Abgeschobenen, biete URA 2
       keine wirkliche Perspektive, diene aber als Argument, um sie abzuschieben.
       Die unzureichende Gesundheitsversorgung im Kosovo, die katastrophale
       Wohnsituation für Roma und deren Diskriminierung durch die albanische
       Bevölkerung – mit Mitteln des Projektes lasse sich das nicht beheben.
       
       In den Broschüren von URA 2 ist von „Unterstützungen bei Behördengängen“
       und „psychologischer Betreuung“ die Rede, von Zuschüssen für Miete,
       Medizin, Schulsachen oder die Erstausstattung der Wohnung. Um die
       Integration auf dem Arbeitsmarkt zu fördern, können Fortbildungskosten von
       einmalig bis zu 170 Euro bezahlt werden, für eine Existenzgründung sogar
       mehrere tausend Euro. Wer aus Deutschland „freiwillig“ ausgereist ist,
       erhält mehr als „rückgeführte Personen“.
       
       Das klingt vielversprechend, doch die Unicef zeichnet ein anderes Bild:
       Dort schätzt man die Arbeitslosigkeit unter Angehörigen der Minderheiten in
       Prishtina auf 100 Prozent. Nach Auskunft des Menschenrechtsbeauftragten im
       Kosovo liegt die Arbeitslosenquote unter den Roma und Ashkali bei etwa 98
       Prozent. Und für Kinder, die abgeschoben wurden, stellen bürokratische
       Voraussetzungen für eine Einschulung oft unüberbrückbare Hürden dar: laut
       Osman Osmani von der Roma-Organisation „Initiativa 6“ aus Prizren müssten
       deutsche Zeugnisse übersetzt werden, samt einer Registrierung in Prishtina
       und Fahrtkosten seien dies an die 70 Euro – bei einer maximalen monatlichen
       Sozialhilfe von 75 Euro für eine ganze Familie.
       
       Philipp Wedelich, Sprecher des niedersächsischen Innenministeriums, erklärt
       das Engagement für URA 2 im Kosovo damit, dass man „Anreize für eine
       freiwillige Rückkehr“ schaffen wolle. Die Unterstützungen würden sich
       „nicht in der monetären Mitgabe von Starthilfen erschöpfen“, sondern
       richteten sich „nach den tatsächlichen Bedürfnissen“.
       
       Fragt man vor Ort, so hört sich das anders an: „Die von URA 2? Die helfen
       nicht“, erzählt ein Rom, der abgeschoben worden ist und nun täglich in
       Prishtina nach Essen sucht. Auch Djafer und Dsula Shala aus Rotenburg waren
       2010 wegen der versprochenen Hilfe „freiwillig ausgereist“ (siehe Reportage
       auf dieser Seite). Der Landkreis hatte sie dazu gezwungen, trotz ärztlich
       bescheinigter Reiseunfähigkeit. Zwei Jahre später starb Djulsa Shala im
       Alter von 61 Jahren im Kosovo.
       
       Mehr zum Schwerpunkt "Zurück in die Heimat" lesen Sie in der taz. am
       Wochenende oder [1][hier]
       
       17 Oct 2014
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /ePaper/!p4350/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jean-Philipp Baeck
       
       ## TAGS
       
   DIR Kosovo
   DIR Trojaner
   DIR sichere Herkunftsländer
   DIR Asylsuchende
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Erpresser-Virus in Deutschland: „Locky“ verbreitet sich rasant
       
       Der aggressive Trojaner „Locky“ verschlüsselt Daten, um Lösegeld zu
       erpressen. In Deutschland infizieren sich derzeit tausende Rechner pro
       Stunde.
       
   DIR Fußball für alle: Sichere Partie, unsicheres Land
       
       Werder Bremen kickt am Freitagabend in Nordhorn in einem Testspiel gegen
       die inoffizielle Nationalelf des Kosovo, eines der ärmsten Länder auf dem
       europäischen Kontinent.
       
   DIR Asylpolitik in Deutschland: Sogenannter „Sog-Faktor“
       
       Das Bundesinnenministerium fordert eine konsequente Abschiebepraxis. Es
       gebe ein Vollzugsdefizit. Sogar Schleuser rieten zu einem Asylantrag
       hierzulande.