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       # taz.de -- Debatte Europäische Zentralbank: Viel Geld, das nichts bringt
       
       > EZB-Chef Mario Draghi will eine Billion Euro in die Banken pumpen. Es
       > wird nicht funktionieren. Trotzdem ist die deutsche Kritik an ihm falsch.
       
   IMG Bild: EZB-Chef Draghi tut, was er kann. Doch Deutschland behindert ihn überall.
       
       Etwa eine Billion Euro – diese gewaltige Summe will EZB-Chef Mario Draghi
       in die Banken pumpen, indem er ihnen Verbriefungen sowie Pfandbriefe
       abkauft und Billigkredite gewährt. Bei vielen Kritikern, gerade in
       Deutschland, herrscht Alarmstufe Rot. Sie werfen Draghi vor, er würde auch
       „Schrottpapiere“ erwerben und aus der EZB eine „Bad Bank“ machen.
       
       Verbriefungen haben einen schlechten Ruf, seitdem „strukturierte
       Wertpapiere“ die Finanzkrise ab 2007 ausgelöst haben. Bei Verbriefungen
       werden einzelne Bankkredite – etwa an Unternehmen oder Privathaushalte –
       gebündelt und anschließend in drei Tranchen zerlegt. Diese „Senior“-,
       „Mezzanine“- und „Equity“-Papiere sind nach Ausfallrisiko sortiert. Bei der
       Senior-Tranche gilt die Gefahr als gering, dass die Darlehen nicht mehr
       bedient werden. Umgekehrt ist bei der Equity-Tranche das Verlustrisiko am
       größten, weswegen diese Papiere die höchsten Zinsen abwerfen.
       
       Bisher hat die EZB noch keine einzige Verbriefung gekauft, denn noch wird
       an den Details gefeilt. Doch schon jetzt ist klar, dass die Idee nicht
       funktionieren wird. Allerdings sind die Probleme etwas anders gelagert, als
       viele Kritiker vermuten: Selbst wenn Draghi „Ramschpapiere“ aufkaufen würde
       – es gibt zu wenige Verbriefungen, die die EZB erwerben könnte. Es ist
       nicht einfach, eine Billion Euro in die Banken zu drücken.
       
       Zum Hintergrund: Die Zentralbank sitzt in der Falle. Sie kann nicht
       tatenlos zusehen, wie die Inflationsrate im Euroraum permanent fällt und
       nur noch 0,3 Prozent beträgt. Konsumenten finden Rabattschlachten zwar
       schön, weil sie darauf hoffen, dass Autos oder Waschmaschinen in zwei
       Monaten noch billiger sind. Aber für die Gesamtwirtschaft ist es tödlich,
       in einer Deflation zu stecken. Wenn die Umsätze fallen, kann niemand
       Kredite aufnehmen oder Schulden zurückzahlen. Es wird nicht mehr
       investiert, die Wirtschaft schrumpft. Also muss die EZB die Inflation
       anheizen und Geld in Umlauf bringen. Nur wie?
       
       Es sagt sich so leicht, dass die Notenbank einfach Geld „drucken“ könnte.
       Irgendjemand muss dieses Geld auch wollen. Doch die Eurozone steckt in
       einem Paradox fest: Die Darlehen sind zu teuer, obwohl die Zinsen fast bei
       Null liegen. Denn für Firmen ist es unmöglich, einen Kredit zu tilgen, wenn
       die Einnahmen fallen.
       
       Da die Zinspolitik nicht funktioniert, greift die EZB zu „unkonventionellen
       Maßnahmen“ und kauft auch Verbriefungen auf. Die Notenbank würde am
       liebsten nur sichere Senior-Tranchen erwerben, um das Risiko zu minimieren.
       Mezzanine-Papiere würde die EZB auch akzeptieren, aber nur wenn die
       Eurostaaten für eventuelle Zahlungsausfälle haften. Dieses Ansinnen lehnten
       die Regierungen ab.
       
       ## Extra-Profit für Banken
       
       Bleiben also nur die Senior-Tranchen – und davon gibt es nicht genug. Diese
       Knappheit ist den Banken nicht entgangen, die die Verbriefungen besitzen.
       Daher setzt das klassische Spiel von Angebot und Nachfrage ein: Der Preis
       für die Papiere steigt, da die EZB viele Verbriefungen kaufen will, es aber
       nur wenige geeignete Tranchen gibt. Die Banken kassieren einen schönen
       Extra-Profit.
       
       Zudem taucht das Sonderproblem auf, dass Papiere aus Griechenland und
       Zypern generell als „Ramsch“ gelten. Selbst Senior-Tranchen werden als
       riskant eingestuft, weil die Ratingagenturen die Papiere nicht einzeln
       bewerten, sondern einfach das schlechte Rating für die griechischen und
       zypriotischen Staatsanleihen auch auf die Privatkredite übertragen.
       
       Draghi will dennoch Verbriefungen aus Griechenland und Zypern aufkaufen, um
       auch dort die Banken mit Geld zu versorgen. Allerdings zieht er
       Vorsichtsmaßnahmen ein: Das Volumen wäre gering, und die griechischen und
       zypriotischen Institute müssten zusätzliche Sicherheiten stellen. Trotzdem
       höhnen deutsche Kritiker, Draghi wolle „Schrott“ erwerben.
       
       Diese Kritik ist unfair, weil es die Deutschen sind, die die EZB zwingen,
       den abstrusen Umweg über die Verbriefungen zu gehen. Jede normale Notenbank
       würde Staatsanleihen aufkaufen. Denn der Markt ist mit rund sieben
       Billionen Euro riesig, und zudem sind die Papiere sicher, weil hinter ihnen
       die gesamte Wirtschaftskraft der Eurozone steht.
       
       Aber leider zogen 35.000 deutsche Dogmatiker, darunter der CSU-Politiker
       Peter Gauweiler, erst vor das Bundesverfassungsgericht und dann vor den
       europäischen Gerichtshof, um Draghi den Ankauf von Staatsanleihen zu
       untersagen. Am Dienstag wurde in Luxemburg verhandelt, im Frühjahr ergeht
       das Urteil.
       
       ## Das letzte Tabu fällt
       
       Unterdessen wurschtelt man mit den Verbriefungen herum, obwohl das Volumen
       niemals reichen wird, um eine Deflation zu stoppen. Draghi setzt auf die
       normative Kraft des Faktischen: Bringen die Verbriefungen nichts, bleibt
       als Ausweg nur, massiv Staatsanleihen aufzukaufen. Selbst
       Bundesbankpräsident Jens Weidmann dürfte dann schweigen, der sich jenseits
       der deutschen Grenzen längst lächerlich gemacht hat, weil er immer nur
       weiß, was er nicht will, aber keine eigenen Vorschläge unterbreitet. Die
       Finanzmärkte wetten jedenfalls darauf, dass dieses letzte Tabu fällt und
       auch Staatsanleihen erworben werden.
       
       Die EZB würde dann zu einer normalen Notenbank – endlich. Allerdings hat
       auch eine perfekte Geldpolitik ihre Grenzen. Sie kann der sogenannten
       „Liquiditätsfalle“ nicht entkommen, dass Geld allein nichts bewirkt. Firmen
       investieren nur, wenn sie auf eine steigende Nachfrage hoffen. Doch Kunden
       sind nicht in Sicht. Die meisten Euroländer sind in der Krise, während das
       robuste Deutschland von einer „schwarzen Null“ im Staatshaushalt träumt und
       nicht bereit ist, ein Konjunkturpaket aufzulegen.
       
       Die Deflation wird also weiter grassieren, die Rezession sich verschärfen.
       Man kann den deutschen Eliten nicht absprechen, dass sie lernfähig wären –
       nur leider lernen sie langsam. Sie wollen immer erst die Krise durchleben,
       bevor sie an sie glauben. Aber am Ende wird nicht nur das Tabu fallen, dass
       keine Staatsanleihen gekauft werden – die Bundesregierung wird sich auch zu
       einem Investitionsprogramm bequemen. Aber es wird spät sein, wahrscheinlich
       zu spät.
       
       17 Oct 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ulrike Herrmann
       
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