URI: 
       # taz.de -- Kinofilm „Das große Museum“: Arbeit am Wunderbaren
       
       > Johannes Holzhausens Dokumentation zeigt den Alltag im Kunsthistorischen
       > Museum in Wien. Die Leute dort sind aber auch wirklich lustig.
       
   IMG Bild: Was für ein Schreck: Mann mit Spitzhacke.
       
       Es wird geputzt, entstaubt, gewienert. Kostbares Porzellan, Gold und Silber
       werden aus Vitrinen ins Licht gehoben und Gemälde von der Wand genommen:
       Hier herrscht Luxus pur. Ein Arbeiter im Blaumann betritt einen riesigen
       leeren Saal, dessen Parkett spiegelt und glänzt. Dann holt er mit der
       Spitzhacke aus und zertrümmert mit voller Wucht das herrliche Parkett. Man
       erschrickt sich zu Tode, und ist umstandslos gefangen, mitten drin im Film.
       
       Johannes Holzhausens Dokumentation „Das große Museum“ ist ein Juwel,
       ähnlich seinem Sujet, dem Kunsthistorischen Museum in Wien, das als eines
       der bedeutendsten Museen der Welt gilt.
       
       Trotzdem ist nicht das Museum und der Blick hinter seine Kulissen, wo sich
       der Filmemacher mehr als zwei Jahre lang bewegte, der Grund für das Wunder
       dieses Films. Der liegt in Holzhausens irrsinnigem Talent, den Alltag in
       dieser wahrhaft faszinierenden Institution filmisch zu inszenieren. Seine
       Kamera spricht wenigstens so raffiniert und dann auch wieder überraschend
       so simpel, wie es die Menschen und die Kunst im Museum tun.
       
       Da ist zum Beispiel dieser Museumsmitarbeiter, der den Tretroller packt und
       losfährt: erster Raum, zweiter Raum, dritter Raum. Endlos reiht sich ein
       Büro ans andere. Er rollert und rollert und man fragt sich, wie die Kamera
       das macht, so schwebend mitzurollern, endlos. Und dann, als der gute Mann
       doch noch stoppt, fällt man aus allen Wolken, sein Ziel war – ein Kopierer!
       
       ## Eine bissige Zahl
       
       Die Museumsleute sind aber auch wirklich lustig. Wahrscheinlich, weil jede
       ihrer Gesten und Aussagen dem Gegenstand und dem Umfeld zwangsläufig
       unangemessen scheinen, kommen sie immer zu sensibel oder zu grobschlächtig
       daher. Hackt der eine das Parkett klein, findet Paul Frey, der
       kaufmännische Direktor des Kunsthistorischen Museums, die Zahl 3 auf einem
       Plakatmotiv schon als zu aggressiv, „zu bissig“, wie er sagt.
       
       Die Diskussion, wie das Museum und seine Schätze am besten beworben werden
       können, ufert entsprechend aus. Zumal sich die Frage als strittig erweist,
       inwieweit man mit den Habsburgern werben will oder auch muss, aus deren
       Sammlungen sich die Kunstkammer ja speist, die in neu renovierten,
       parkettfreien Räumen wiedereröffnet werden soll.
       
       Die Marketingleute argumentieren hier naturgemäß etwas robuster als die
       wissenschaftlichen Mitarbeiter des Museums, die über das große Ganze hinaus
       auch immer das Eigenrecht jedes Dings im Auge haben, und Pomp und Kaisertum
       reserviert begegnen. An sich ist die Institution Museum ja eine
       republikanische Einrichtung. Auch wenn das zwischen Habsburg (Rudolf II.)
       und Habsburg (Francesca) leicht vergessen wird.
       
       ## Konzentration und Sorgfalt
       
       Überhaupt: Die Kustoden zu beobachten, wie sie mit den ausgestopften
       Tieren, den Spielautomaten, aber auch dem berühmten Salzfass des
       italienischen Renaissance-Bildhauers Benvenuto Cellini hantieren, das dem
       Museum im Jahr 2003 auf spektakuläre Weise abhanden gekommen war, ist
       ungemein anrührend. Wie viel Konzentration und Sorgfalt da einfließen, ein
       Artefakt bestmöglich zu präsentieren und seine Bedeutung herauszustellen,
       glaubt man gar nicht: wie immer wieder probiert und neu darüber nachgedacht
       wird.
       
       Viele Kostbarkeiten müssen auch restauriert werden. Während ein Fachmann
       für Automaten über der Reparatur eines Modell-Schlachtschiffes verzweifelt,
       wird in einem anderen Flügel der Leiter der Waffen- und Rüstkammer in den
       Ruhestand verabschiedet. All das beobachten und hören wir ohne jeden
       Off-Kommentar, ohne jedes Interview und jede Begleitmusik. Johannes
       Holzhausens „Großes Museum“ ist großes Direct Cinema.
       
       Irgendwann schießen dann die winzigen Modell-Kanonen des
       Modell-Schlachtschiffs, und Pieter Bruegels d. Ä. „Turmbau zu Babel“ wird
       an die Wand gehängt. In wenigen geschickten Montagen wird klar, dass der
       Höhepunkt des Museumslebens und damit der Endpunkt des Films naht. Noch
       bevor die große Politik auf den Plan tritt, hat sie schon eine kleine
       Einlage, denn Bilder aus der Präsidentschaftskanzlei, die das Museum
       restaurierte, werden wieder zurückgebracht. Ein wenig also spricht Sabine
       Haag, die Generaldirektorin des Kunsthistorischen Museums, en famille, als
       sie bewundernswürdig elegant und nicht minder bewundernswürdig eloquent dem
       politischen Personal eine Führung durch die Kunstkammer in ihrem neu
       renovierten Flügel gibt.
       
       16 Oct 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Brigitte Werneburg
       
       ## TAGS
       
   DIR Dokumentarfilm
   DIR Frederick Wiseman
   DIR Kinofilm
   DIR Regisseur
   DIR Dokumentarfilm
   DIR Film
   DIR Kunstfälscher
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Film-Doku über Museen: Viel Gerede um wenig Kunst
       
       Frederick Wiseman konzentriert sich in „The National Gallery“ auf das
       Museum als Betrieb. Die Sammlung gerät dabei aus dem Blick.
       
   DIR Neuer Film von Ulrich Seidl: Bis zur Kenntlichkeit entstellt
       
       In Österreich sorgte „Im Keller“ für einen politischen Eklat. Seidl
       ergründet darin geschlossene Gesellschaften, in denen Normalos ihr Unwesen
       treiben.
       
   DIR Filmemacher Kaan Müjdeci: Ein Hund, ein Kind, kein Geld
       
       Der Berliner Regisseur ist nicht nur als Künstler findig, sondern auch als
       Unternehmer. Sein Debüt „Sivas“ erhielt in Venedig gleich den Spezialpreis.
       
   DIR Dokumentarfilm über Nick Cave: Episoden eines Egomanen
       
       „20.000 Days on Earth“ gewährt einen Tagesauszug aus Nick Caves Leben.
       Seine Geschichten erzählt der australische Rockstar selbst.
       
   DIR Film über jüdischen Bayern-Präsidenten: Mia san wieder hier
       
       Die ARD widmet dem ehemaligen FC-Bayern-Präsidenten Kurt Landauer einen
       Spielfilm. An den wollten sich lange nur die Ultras des Klubs erinnern.
       
   DIR Der besondere Heimatfilm: Digital-Panik in Heide
       
       Mit „Gefällt mir“ hat Michael David Pate einen medienkritischen Horrorfilm
       gemacht. Möglich wurde das durch eine raffinierte Finanzierungskampagne –
       und den Lokalstolz zahlreicher Dithmarscher.
       
   DIR Dokumentation über einen Kunstfälscher: Von der Spezialanfertigung
       
       „Beltracchi – Die Kunst der Fälschung“ ist dort spannend, wo die
       systematische Liebe des Kunsthandels für die Fälschung deutlich wird.