# taz.de -- Sexueller Missbrauch in der Kirche: „Es ist ein Anfang“
> Die evangelische Nordkirche beauftragt eine externe Kommission mit der
> Aufarbeitung ihrer Missbrauchsfälle. Bischöfin Fehrs zeigt
> Lernbereitschaft.
IMG Bild: Will künftig genauer hinsehen bei sexualisierter Gewalt unter dem Dach der Kirche: Bischöfin Kirsten Fehrs.
HAMBURG taz | „Ruhe wird es erst einmal nicht geben“, sagt Kirsten Fehrs.
Damit beschließt die Bischöfin der Nordkirche im Sprengel Hamburg und
Lübeck die Präsentation eines Berichts zu den Missbrauchsfällen in der
ehemaligen Nordelbischen Kirche.
Eine unabhängige Kommission aus zwei Juristinnen und zwei Pädagogen stellte
am Dienstag in Hamburg einen von der [1][Nordkirche] beauftragten Bericht
mit insgesamt 155 Empfehlungen vor. Welche davon umgesetzt werden, darüber
wird eine Arbeitsgruppe entscheiden.
Anlass für die Untersuchung war das Bekanntwerden jahrzehntelangen
sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen und jungen Erwachsenen durch einen
Pfarrer im schleswig-holsteinischen Ahrensburg.
Obwohl sich Betroffene und deren Angehörige hilfesuchend an
Kirchenvertreter wandten, reagierte lange niemand. Als Ursache für diesen
und ähnliche Fälle nannte die Kommission nun mangelndes Wissen über
sexualisierte Gewalt in Institutionen, unklare kirchliche Strukturen und
eine Vernachlässigung der Opferperspektive.
Laut Ursula Enders, Leiterin der Beratungsstelle Zartbitter in Köln, wurde
noch im Jahr 2013 den Eltern eines Kindes, das in einer kirchlichen Kita in
Hamburg-Schnelsen missbraucht worden war, keine adäquate Hilfe angeboten.
Ihnen seien Adressen genannt worden, wo dann aber keine Kapazitäten
vorhanden gewesen seien; bei der Aufarbeitung seien durch Fehler neue
Konflikte entstanden.
Enders, die nun selbst Teil der Kommission war, plädierte nachdrücklich für
Kriseninterventions-Teams und mehr psychosoziale Kompetenz. Ihr Kollege
Dirk Bange von der Hamburger Sozialbehörde forderte mehr Kontrolle für die
kirchliche Kinder- und Jugendarbeit – wenn etwa auf eine Freizeit nicht
weibliche und männliche Begleitung mitkomme, müsse nachgehakt werden.
Die Juristinnen der Kommission, Petra Ladenburger und Martina Lörsch, haben
die 16 kirchlichen Disziplinarverfahren wegen Missbrauchsfällen zwischen
1973 und 2011 ausgewertet. Die Verfahren wurden überwiegend eingestellt
oder hatten nur geringfügige Folgen.
Das liege, so Ladenburger, an einem Strafrecht, das den sexuellen Kontakt
zwischen Erwachsenen und Jugendlichen oder jungen Erwachsenen nicht unter
Strafe stelle. Diese Sicht müsse die Kirche in ihre Verfahren nicht
übernehmen – tue es aber in den meisten Fällen.
Die Kommission empfiehlt nun unter anderem ein Abstinenzgebot, das sexuelle
Kontakte im Bereich der Seelsorge verbietet, zudem klare Handlungsvorgaben
bei Hinweisen auf sexuelle Übergriffe und eine zentrale Stelle, die sich
damit befasst.
Einige der Vorschläge hat die Nordkirche in einen vorläufigen
Zehn-Punkte-Plan aufgenommen. So soll etwa ein kirchliches
Beschwerdemanagement eine externe Ombudsstelle ergänzen, und Experten
sollen ein Kriseninterventionsteam bilden. Bei Stellenbesetzungen im
Kinder-und Jugendbereich wird ein erweitertes Führungszeugnis
verpflichtend.
Zu der Vorstellung des Berichts waren auch Betroffene gekommen, darunter
Corinna Boller, die 2010 den Missbrauch durch den Ahrensburger Pastor
öffentlich gemacht hatte. „Es ist ein Anfang“, sagte sie, „die Kirche will
ja lernen und übernimmt Verantwortung.“
Verhaltener äußerte sich Anselm Kohn, Gründer des Vereins „Missbrauch in
Ahrensburg“: Nachdem Bischöfin Fehrs angekündigt hat, dass ein
Disziplinarverfahren gegen die damalige Pröpstin geprüft wird – was 2011
noch abgelehnt wurde –, fragt Kohn nach Konsequenzen im Personaldezernat.
Das hatte den Pastor trotz Kenntnis der Vorwürfe zur Seelsorge in ein
Jugendgefängnis versetzt. Auch die Praxis bei der Bewilligung von
finanziellen Entschädigungen sei reformbedürftig. So seien Betroffene dort
unnötigen Fragen ausgesetzt.
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14 Oct 2014
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## AUTOREN
DIR Friederike Gräff
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