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       # taz.de -- Die Fledermäuse und die A 20: Der langsame Weg
       
       > Fledermäuse vereiteln den A 20-Weiterbau. Die Behörden haben ihre
       > Flugrouten ungenau berechnet, so ein Gericht. Unterwegs mit einem
       > Gutachter.
       
   IMG Bild: Fledermaus im Licht einer Taschenlampe: Nahe der geplanen A 20 haben die Tiere in einem Kalkberg ihr deutschlandweit größtes Revier.
       
       BAD SEGEBERG/LÜBECK/NORSTRAND taz | Florian Gloza-Rausch erzählt, wie er
       Fledermäuse vor dem Tod schützt, da geht er an einer vorbei, die liegt
       leblos am Boden. Die braune Hautschicht der Flügel faltig, Muskelstränge
       schlaff, Blutgefäße verschrumpelt. Der Fledermausforscher hebt ihren Kopf
       an. Vielleicht kann er den noch gebrauchen für seine Untersuchungen im
       Fledermauszentrum am Kalkberg.
       
       Dieser schroffe Felsen in Bad Segeberg, Schleswig-Holstein, ist das größte
       Fledermausquartier in Deutschland. 24.000 Fledermäuse, schätzt der
       Forscher, fliegen jedes Jahr in die zwei Kilometer langen Labyrinthgänge
       des Berges, verkriechen sich in modrig riechenden Felsspalten, überwintern
       dort. Nicht alle schaffen es bis zur Höhle, eine Eule reißt am Eingang.
       „Dagegen kann ich nichts machen.“ Aber dass Menschen Fledermäuse töten, das
       will Gloza-Rausch verhindern.
       
       Anderthalb Kilometer entfernt soll eine Autobahn gebaut werden. Die A 20.
       Sie beginnt an der Grenze zu Polen, zieht sich an Rostock und Lübeck vorbei
       bis zum Ortseingang Bad Segeberg. Von dort sollte sie sich in den Westen
       schlängeln, Hamburg umfahren und die Elbe queren. Doch Naturschützer von
       BUND und Nabu klagten gegen den Weiterbau: Flugstrecken der Fledermäuse
       seien nicht vor Ort untersucht, sondern nur geschätzt worden. Am 6.
       November 2013 gab das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig den
       Naturschützern recht. Der Ausbau wurde gestoppt. Die Ausfahrten vor Bad
       Segeberg, Geschendorf und Mönkhagen, haben nicht mal Nummern.
       
       Die Tierschützer sagen, für die A 20 werden unsinnig Millionen ausgegeben.
       Manche hoffen, dass der Bau endgültig gestoppt wird. Der Fledermausforscher
       will als Gutachter viele Daten erheben. Das ist für die Planungsbehörde
       teuer – aber weil sie es versäumt hat, zahlt sie nun drauf. Und sie bekommt
       Druck von Politik, Pendlern, Logistikunternehmen. Tausende Menschen fordern
       den Weiterbau: Sie wollen die A 20 sofort.
       
       ## Keep calm, call batman!
       
       Florian Gloza-Rausch, 42 Jahre, lockiges Haar, hat noch kleine Augen von
       der Nacht, in der er unterwegs war mit dem Batlogger, einem
       Fledermaus-Detektor. Weil das Straßenbauamt Lübeck jetzt die Flugrouten der
       Fledermäuse rund um den Kalkberg untersuchen muss, ist der Forscher fünf
       Stunden dieselbe Strecke abgefahren. 15-mal macht er das, nach
       Sonnenuntergang, immer mit dem Ultraschallgerät, das die Rufe der
       Fledermäuse aufnimmt und dazu Koordinaten aufzeichnet. Das Land hat für 13
       dieser Geräte 50.000 Euro ausgegeben. 585 Nächte haben die Forscher vom
       Fledermauszentrum aufgenommen. Haben Detektoren aufgestellt, sind Felder
       und Straßenzüge abgelaufen. Wo trifft der Verkehr auf Flugstrecken der
       Fledermäuse?
       
       Auf dem Computer im Büro des Forschers tummeln sich Batman-Symbole auf
       einer Landkarte. Stellen, an denen der Detektor Fledermäuse geortet hat. An
       der Wand ein Poster: Keep calm and call batman. „Ich mache
       Öffentlichkeitsarbeit für sie, Fledermäuse haben ein schlechtes Image.“ Die
       spitzen Zähne, sagt er, dieses Flatterhafte der Flügelschläge, sie sind
       nicht süß. „Trotzdem sind sie schützenswert.“
       
       25 Millionen Euro pro Jahr, hat Gloza-Rausch ausgerechnet, spart
       Schleswig-Holstein durch die Fledermäuse. Sie fressen Insekten: Mücken,
       Käfer, Falter. Das spart Pestizide. „Trotzdem gibt es Menschen, die
       Fledermäuse als Verhinderer sehen.“
       
       ## Bürger machen mobil für die A20
       
       Einer von Ihnen ist Rainer Bruns, 68, Jahre, Geschäftsführer des
       Unternehmensverbandes Unterelbe-Westküste. „Wenn Sie mit mir reden wollen,
       müssen Sie nach Nordstrand kommen“, sagt er am Telefon. Vom Kalkberg aus
       sind das 148 Kilometer. 135 Minuten Autofahrt, auf der A 21 vorbei an
       Tierkadavern, mit 50 Stundenkilometern durch Bordesholm und entlang
       grasenden Schafen am Nordseewasser zur Halbinsel. Die Fahrt hat länger
       gedauert als geplant. 100 Kilometer in Norddeutschland schrubbt man nicht
       mal eben in einer Stunde runter.
       
       Rainer Bruns will das ändern, als Vorsitzender der Volksinitiative „A 20
       sofort!“. „Das können Sie als Schlagzeile nehmen: Wir sind die einzige
       Initiative, die für etwas ist.“ Er sagt: „Nur mit ordentlichen Straßen sind
       wir konkurrenzfähig.“ Die A 20 verbindet küstennahe Großstädte, Rostock,
       Wismar, Lübeck und die Seehäfen.
       
       Ist sie fertig, kann Hamburg von Lübeck aus in Richtung Westen schnell
       umfahren werden. Und die Autobahn soll in Niedersachsen fortgeführt werden.
       Ist alles fertig, wären das Ruhrgebiet und die Niederlande aus dem Norden
       besser erreichbar. Als direkte Verbindung von Offshore-Standorten kann die
       Autobahn bei der Energiewende helfen. Bruns sagt, der Staat muss die
       Rahmenbedingungen schaffen, damit Unternehmen wirtschaften können. „Wenn es
       denen gut geht, geht es Deutschland gut. Dann sprudeln die Steuerquellen.“
       
       Rainer Bruns hat nichts gegen Fledermäuse. Vor einem halben Jahr hat er
       eine gerettet, die hatte sich in einem Korb Rosen verfangen. „Die flatterte
       im Wasser.“ Er hat sie in die Hand genommen und in den Schatten gesetzt.
       „Ist doch kein Problem.“
       
       ## Verzögerungstaktik des Nabu?
       
       Bruns schiebt eine ausgedruckte E-Mail über den Tisch auf seiner Terrasse.
       Sie kommt von einer Zoologin, ihren Namen hat er geschwärzt. Sie schreibt,
       den Inhalt des Schreibens dürfe Bruns für seine Argumente verwenden. „Es
       ist eng gedacht, wenn wir meinen, alle Sinneswahrnehmungsmöglichkeiten der
       Fledermäuse zu kennen“, steht darin. „Wenn Fische sich selbst bei tiefster
       Dunkelheit orientieren, dann werden auch Fledermäuse sensorisch bestens
       gerüstet sein.“ Fledermäuse haben kein Problem mit Autobahnen, sagt Bruns.
       „Die Argumentation ist vorgeschoben. Verzögerungstaktik von Nabu, Grüne und
       Co.“
       
       Stefan Lüders sagt, er wollte die Autobahn nicht verhindern. Der
       Fledermausreferent ist für den Nabu vor Gericht gegangen. „Meine Hoffnung
       war, dass die Planungsbehörde Experten schickt, die verlässliche Daten
       erheben.“ Lüders ist hauptberuflich Krankenpfleger. „Aber der Gutachter der
       Straßenbaubehörde hat einfach geschätzt, wo die Fledermäuse fliegen.“ Ginge
       es bei der Planung um Kinder, würde man doch auch nicht nur grob schauen,
       wo sie spielen. „Sonst müssten sie ja überall Ampeln oder Tunnel bauen.“ So
       habe es aber das Straßenbauamt gemacht. „Brücken, die eh hätten gebaut
       werden müssen, wurden auch als Fledermausschutz deklariert.“ Lüders hofft,
       dass jetzt andere Strecken geprüft werden.
       
       Denn das Gericht bemängelte nicht nur die fehlende Datengrundlage, sondern
       auch zu früh verworfene Alternativen.
       
       ## Die Nullaufnahme fehlt
       
       Britta Lüth, blonder Mittelscheitel, kantige schwarze Brille, sitzt in
       ihrem Lübecker Büro vom Landesbetrieb Straßenbau und Verkehr. Das Urteil
       hat die Behörde im März bekommen. Die Straßenplanerin muss nun
       nacharbeiten. Sie breitet einen großen Plan auf dem Tisch aus, darauf Bad
       Segeberg und rote Linien. Sie markieren Knicke – Landschaftsstrukturen, an
       denen sich Fledermäuse orientieren: Flüsse, Bahnstrecken, Waldränder.
       „Unser Gutachter ist davon ausgegangen, dass alle Strukturen genutzt
       werden. Wir wollten auf der sicheren Seite sein.“ Also, sagt Lüth, hat man
       an allen möglichen Orientierungswegen der Fledermäuse Schutzmaßnahmen
       geplant.
       
       Ihre Finger gleiten über den Plan, über eine geplante Brücke, 19 Meter hoch
       über dem Fluss Trave. Über eine zweite Brücke am Gieselteich, 371 Meter
       Länge, als Flugkorridor für Fledermäuse; und eine Röhre, 4,50 Meter breit,
       die als Tunnel für die Tiere geplant war. Nicht mal die Feuerwehr hätte
       diesen Tunnel benutzen dürfen, um die A 20 zu queren. Der Boden, der beim
       Graben der Straße in Hänge anfällt, sollte zum Wall werden. „Das Gericht
       hat die Art des Schutzes nicht infrage gestellt.“ Um beweisen zu können,
       dass Brücken, Tunnel und Wall etwas bewirken, braucht es aber erst eine
       Erhebung, wie die Fledermäuse vor dem Autobahnbau fliegen. Nur mit dieser
       Nullaufnahme vor dem Bau kann man später vergleichen, ob die Mittel helfen.
       
       Warum soll die Autobahn so nah am Kalkberg gebaut werden? Britta Lüth hat
       dafür eine einfache Erklärung: Weiter südlich liegen auch Schutzgebiete.
       Und je weiter die Strecke in den Süden ragt, desto schlechter ist die
       Verbindung vom Osten in den Westen. Auf Lüths Stadtplan sieht man die
       Bundesstraße 206 als schwarze Linie, die sich durch Bad Segeberg zieht.
       Solange es die A-20-Alternative nicht gibt, drücken sich Autos und Laster
       weiter durch den Ort.
       
       ## A 20: Höchste Priorität
       
       Das will auch Marktwirtschaftler Bruns nicht. Denn wenn die Anbindung
       schlecht ist, verlassen Unternehmer Schleswig-Holstein. Deshalb hat er
       Unterschriften gesammelt. 27.895 Menschen haben die Volksinitiative
       unterschrieben. In fünf Jahren soll das Land alle Abschnitte fertigbauen.
       Die Landesregierung aus SPD, Grünen und dem Südschleswigschen Wählerverband
       hat aber im Koalitionsvertrag beschlossen, bis 2017 bis zur A 7 zu bauen.
       Nicht mal daraus wird etwas. Bruns sagt, das Land muss endlich mit höchster
       Priorität bauen. 23.310 Unterschriften der Volksinitiative sind gültig, sie
       ist gesetzeskonform.
       
       Straßenplanerin Lüth nennt die Initiative „überschaubar“. „Die A 20 hat eh
       schon höchste Priorität.“ Allein in Schleswig-Holstein wird in acht
       Abschnitten geplant. Es hängt bei Abschnitt 3. „Wir können nichts weiter
       bauen, was nicht aufeinander abgestimmt ist.“ Das Land plant für den Bund,
       der gibt durch die Schuldenbremse in einer Legislaturperiode nicht Geld für
       die ganze Strecke aus. „Also stelle ich dar, was finanzierbar ist. Das sind
       die Abschnitte bis zur A 7.“
       
       ## Eine Pannenstrecke
       
       Wie lange es dauert, bis die Autobahn steht, will Lüth nicht sagen. Die A
       20 ist schon jetzt ein Pannenbau. Im Osten asphaltierte man anders als im
       Westen, Anwohner beschwerten sich über laute Abrollgeräusche. 2005 kam eine
       leisere Asphaltschicht. Weil man sie bei Regen erneuerte, formten sich
       Feuchtigkeitsblasen. 2007 kam heraus, dass der Baugrund westlich von Lübeck
       moorig war. Bis 18 Meter in die Tiefe entwässerte das Bauunternehmen
       nachträglich den Boden. Und jetzt die Fledermäuse. „Wir wollen das jetzt
       gründlich machen“, sagt Lüth. „Die Zeit nehmen wir uns.“
       
       Der Landtag hat vier Monate Zeit, um sich inhaltlich mit Bruns’ Forderung
       zu befassen. Die Frist endet am 12. Januar 2015. Wenn die Politiker nicht
       zustimmen, will Bruns ein Volksbegehren starten. Über 100.000
       Unterschriften braucht es dafür. „Davor haben wir keine Angst.“
       
       Die Fledermäuse haben so lange Ruhe. Für Florian Gloza-Rausch hat die
       Verzögerung Gutes: Der Forscher träumt davon, dass Stadt und Land ein
       Gesamtkonzept erarbeiten. Damit sich niemand in die Quere kommt, die
       Fledermaus-Hilfe sinnvoll ist. Nur: „Wer soll das bezahlen?“
       
       14 Oct 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Julia Neumann
       
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