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       # taz.de -- Nachruf auf Udo Reiter: Ein vollendetes Lebenswerk
       
       > Udo Reiter baute mit dem MDR das erfolgreichste Dritte Programm auf. Das
       > Recht, sein eigenes Ende zu bestimmen, hat er immer verteidigt.
       
   IMG Bild: Udo Reiter, 1944-2014.
       
       BERLIN taz | Hat er es nun doch getan? Jeder, der Udo Reiters Autobiografie
       „Gestatten, dass ich sitzen bleibe“ gelesen hat, wird wohl diesen Gedanken
       gehabt haben, als die Nachricht kam, dass der langjährige, frühere
       Intendant des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR) tot auf seiner Terasse in
       Gottscheina bei Leipzig gefunden wurde. Neben ihm soll eine Waffe gelegen
       haben. Fremdverschulden schließt die Polizei mit hoher Wahrscheinlichkeit
       aus.
       
       Hat er nun doch? Schon vor Jahren hatte Reiter seinen Suizid geplant.
       Damals, nach seinem schweren Autounfall im Jahr 1966. Reiter lag lange im
       Krankenhaus. Er war querschnittsgelähmt. „Ich weiß noch genau, wie ich mir
       eines Abends im Studentenwohnheim dachte: So, das soll es jetzt sein“,
       erzählte Reiter im [1][vergangenen Jahr im taz-Interview]: „Ich hab mir
       noch ein Bier aufgemacht, einen Brief an meine Eltern geschrieben, den
       Revolver bereitgelegt, und in dem Moment habe ich gemerkt, dass ich gar
       nicht tot sein will.“
       
       Reiter lebte sein Leben weiter – und wie. Er ging zum Hörfunk des
       Bayerischen Rundfunks, wurde dort Chefredakteur und stieg 1986 gar zum
       Hörfunkdirektor auf. Und dann machte er Anfang der 90er Jahre rüber, um in
       Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt den MDR aufzubauen. „Etwas
       auszuprobieren, wo die Wege nicht so eben sein würden, das hat mir Spaß
       gemacht“, sagte Reiter. Im Westen schüttelten die alten Kollegen den Kopf
       über Reiters Abgang. In Leipzig nahmen sie ihn an: als Mischung aus
       Besserwessi und Behindertem.
       
       Doch Reiter blieb. Und blieb. Und blieb. Er baute den MDR auf – und zockte
       dabei von Beginn an. „Sagen wir lieber: Ich habe eine spielerische Ader“,
       diktierte Reiter im vergangenen Jahr an seinem Esstisch. Dabei tat er genau
       das: Er zockte mit der Kohle, die er zum Aufbau der öffentlich-rechtlichen
       Dreiländeranstalt hatte. 560 Millionen Mark waren einfach zu wenig. Also
       investierte er. „In alles“, wie er freimütig sagte: „In Fonds, in
       Staatsanleihen. Wir waren ja unglaublich erfolgreich. Mit Ausnahme dieser
       Peanuts da in Ecuador.“
       
       ## Viel Heimat, viel Volksmusik
       
       Die Peanuts waren 2,6 Millionen Mark Verlust, die im Jahr 2000 bekannt
       wurden. Doch dagegen hätten seine Spekulationen dem Sender im selben Jahr
       79 Millionen Mark Gewinn gebracht, „aber für die 2,6 Millionen hätten sie
       uns fast aufgehängt“. Haben sie aber nicht. Denn Reiter war damals fast
       unantastbar. Er hatte es geschafft, den MDR aus den Trümmern des
       untergegangenen und von Spitzeln durchsetzten DDR-Rundfunks aufzubauen.
       
       Während Mecklenburg-Vorpommern dem Norddeutschen Rundfunk (NDR)
       zugeschlagen worden war, während die Fusion des brandenburgischen ORB mit
       dem Berliner SFB zum RBB vorangetrieben wurde, machte er aus der einzigen
       ausschließlich in den neuen Bundesländern beheimateten Rundfunkanstalt das
       quotenstärkste Dritte Fernsehprogramm der Republik – mit viel Heimat, mit
       viel Volksmusik. Der Bayer Reiter versorgte die Zuschauerinnen und
       Zuschauer in den drei Ländern mit einem ostdeutschen „Mia san mia“.
       
       Das kam dort an. Und stieß anderswo auf Verachtung – wohl nicht zuletzt aus
       Neid. Denn keine andere öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt schaffte es,
       in ihrer Region so viele Zuschauer an sich zu binden wie Reiters MDR. Und
       so kopierten alle anderen sein Erfolgsrezept, wie die in den vergangenen
       Jahren immer weiter wuchernde Heimatbesoffenheit des Norddeutschen oder
       Hessischen oder Bayerischen Rundfunks zeigt.
       
       ## Skandal beim Kinderkanal
       
       Reiter blieb und blieb, doch sein Rückhalt bröckelte. Die leidigen
       Skandale. Erst flog Wilfried Mohren, der Sportchef des MDR, auf: Er hatte
       die Übertragung eines Hallenfußballturniers in Halle (Saale) an Zuwendungen
       vom Turnier-Hauptsponsor geknüpft. Eine Bewährungs- und Geldstrafe folgten.
       Danach hinterging Unterhaltungschef Udo Foht seinen Boss und wurde
       ebenfalls wegen Betrugs und Bestechlichkeit von der Staatsanwaltschaft
       Leipzig angeklagt.
       
       Zuletzt unterschlug ein Herstellungsleiter des Kinderkanals über fünf Jahre
       hinweg 8,2 Millionen Euro. „Das ist das einzige Ereignis, das dem Begriff
       Skandal gerecht wird. Das war eine scheußliche Affäre, die mich auch
       persönlich getroffen hat. Der Kinderkanal war meine Idee, ich hatte viel
       dafür getan, dass der in Erfurt angesiedelt wird. Dass dann so ein Gauner
       das derartig diskreditiert, hat mich sehr getroffen.“
       
       Am 26. Mai 2011 dankte Reiter als MDR-Intendant ab. Vier Tage später wurde
       seine – am 30. Mai 1991 gegründete – Anstalt 20 Jahre alt. Die große Feier
       war schon vorher abgesagt worden. „Aber was wir hingestellt haben, das
       steht“, sagte Reiter rückblickend.
       
       ## Für die Sterbehilfe
       
       Er hatte so etwas wie ein Lebenswerk und er hat es vollendet. Vielleicht
       hatte er das schon Jahrzehnte zuvor geahnt: Bei seinem ersten geplanten
       Suizid war „von irgendwoher die Vitalität durchgebrochen“, erzählte Reiter.
       
       Doch für all diejenigen, die diese Vitalität nicht mehr spürten, forderte
       er Hilfe. Reiter kämpfte für ein Gesetz, das aktive Sterbehilfe erlaubt.
       „Niemand soll gezwungen sein, gegen seinen Willen ein Leben weiterzuführen,
       das er nicht mehr leben will“, schrieb er Anfang dieses Jahres [2][in einem
       Beitrag für die Süddeutsche Zeitung]. „Ich möchte ganz allein entscheiden,
       wann es so weit ist und ich nicht mehr will, ohne Bevormundung durch einen
       Bischof, Ärztepräsidenten oder Bundestagsabgeordnete.“
       
       Er malte sich in dem Gastbeitrag sogar sein eigenes Ende aus: „Ich möchte
       bei mir zu Hause, wo ich gelebt habe und glücklich war, einen Cocktail
       einnehmen, der gut schmeckt und mich dann sanft einschlafen lässt.“ Er
       hätte sich dafür ärztliche Hilfe gewünscht, doch die wurde ihm in
       Deutschland – bei ihm zu Hause – verwehrt. Udo Reiter hat sich erschossen.
       
       Er hinterlässt seine zweite Ehefrau Else Buschheuer und seine Tochter aus
       erster Ehe.
       
       10 Oct 2014
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Ex-MDR-Intendant-Udo-Reiter/!111470/
   DIR [2] http://www.sueddeutsche.de/leben/selbstbestimmtes-sterben-mein-tod-gehoert-mir-1.1856111
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jürn Kruse
       
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