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       # taz.de -- Krise bei Wüstenstrom-Projekt Desertec: Millionen im Sand versenkt
       
       > Fünf Jahre nach dem Start steht die Wüstenstrom-Initiative Desertec vor
       > dem Aus. Über die Zukunft sollen die Gesellschafter kommende Woche
       > entscheiden.
       
   IMG Bild: Desertec unterstützt 68 Erzeugungsprojekte in Nordafrika.
       
       MÜNCHEN rtr | Das kriselnde Wüstenstrom-Projekt Desertec steht Insidern
       zufolge vor dem Aus. Wenn sich am Montag und Dienstag nächster Woche die
       Gesellschafter der umstrittenen Desertec Industrial Initiative (DII) in Rom
       treffen, dürften sie das Ende der erst fünf Jahre alten Unternehmung
       einleiten, wie es am Mittwoch aus Industriekreisen heißt. Die DII hält sich
       bedeckt und verweist auf die Versammlung der 20 Gesellschafterfirmen am
       Montag.
       
       Das Scheitern der Wüstenträume hat sich schon länger angekündigt. Die
       meisten deutschen Technologie- und Baukonzerne wie Siemens, Bosch, E.ON
       oder Bilfinger haben sich bereits abgewandt, genauso wie die ursprünglich
       namensgebende Desertec-Stiftung.
       
       Der Club of Rome, in dem sich Experten mit Themen wie Nachhaltigkeit und
       Grenzen des Wachstums beschäftigen und in dessen Mitte die Idee einst
       geboren worden war, kehrte der Industrie enttäuscht den Rücken. Beim
       ehrgeizigen Start des Projekts 2009 hatten die Manager der Energie-,
       Technik- und Finanzbranche noch hohe Erwartungen. Fast eine halbe Billion
       Euro sollte in Solarkraftwerke unter der Sonne Nordafrikas und dem Vorderen
       Orient investiert werden, so die Pläne. Der Sahara-Strom sollte über
       Verbindungen über das Mittelmeer nach Süd- und Zentraleuropa fließen und
       dort klimaschädliche Kohlekraftwerke überflüssig machen.
       
       Die Rückversicherungsgesellschaft Münchener Rück machte sich zum Vorreiter
       des Energietraums. Längst ist auch dort Ernüchterung eingetreten. Ihre
       Einstellung zu den Zukunftsplänen wollen die Münchner vor der Sitzung
       kommende Woche nicht preisgeben. „Mal sehen wie es weiter geht“, sagte ein
       Sprecher.
       
       ## Pech und Fehlschläge
       
       Das auf ein halbes Jahrhundert angelegte Großprojekt stand unter einem
       schlechten Stern. Selbst Konzernlenker scheuten sich vor Prognosen über
       wenige Monate. In der spannungsgeladenen Zielregion Nordafrika brach der
       arabische Frühling aus, eine Zeit großer politischer und ökonomischer
       Unsicherheit brach an. Die Investoren agierten vorsichtiger.
       
       Hinzu kam die Reaktorkatastrophe von Fukushima, die paradoxerweise das
       Fortkommen der DII erschwerte. Die Europäer wandten ihren Blick stärker auf
       die heimische Energiewirtschaft und trieben den Ausbau erneuerbaren
       Energien vor Ort voran. Ihnen kam ein rapider Preisverfall für
       Photovoltaikanlagen entgegen, die Kosten für Solarstrom wurden immer
       geringer. Die Aussicht, 15 Prozent der europäischen Gesamtenergiemenge aus
       Desertec-Anlagen zu bekommen, wurde immer reizloser, wenn etwa Bayern auch
       als Folge der deutschen Energiewende schon bis zu 35 Prozent seines
       Energiebedarfs aus erneuerbaren Quellen im eigenen Land beziehen kann.
       
       Aber Desertec hatte nicht nur Pech. Von Beginn an gab es Querelen. So
       setzten die Europäer eher auf die vergleichsweise teure Solarthermie – die
       Stromgewinnung aus Sonnenhitze – und erlebten damit ein Debakel. Allein
       Siemens versenkte mehr als 300 Millionen Euro in der Technologie und stieg
       letztlich aus.
       
       Die afrikanischen und arabischen Länder, die eigentlich Geschäftspartner
       werden sollten, beklagten sich anfangs über die koloniale Attitüde der
       Nachbarn nördlich des Mittelmeers. Es folgte ein Streit über die Aufnahme
       des chinesischen Netzbetreibers State Grid in den Kreis der Gesellschafter.
       
       Die Co-Geschäftsführerin Aglaia Wieland flog im Streit über die Strategie
       raus. Der verblieben DII-Chef Paul van Son richtete sein Haus stärker auf
       die Beratung von Einzelprojekten für die heimische Stromerzeugung vom
       Maghreb bis zur Levante aus. Bleiben wollte er allerdings nicht mehr
       längerfristig, zumal die DII-Verträge Ende des Jahres auslaufen. Im Januar
       wechselt der Niederländer zum Energieversorger und DII-Partner RWE.
       
       ## Beratungsgesellschaft denkbar
       
       Die DII-Gesellschaft verweist unterdessen auf die Erfolge. Mit ihrer
       Unterstützung liefen derzeit 68 Erzeugungsprojekte in Nordafrika,
       vornehmlich in Algerien und Marokko. Deren Kapazität belaufe sich auf vier
       Gigawatt, so viel wie vier Atomkraftwerke, betonte ein Sprecher. Die DII
       lieferte vor allem kostbare Daten für die Standortwahl.
       
       Sollten die Gesellschafter der DII ein neues Budget von zwei Millionen Euro
       nicht mehr gewähren, ist Insidern zufolge auch ein Weiterleben als
       Beratungsgesellschaft auf eigene Faust denkbar. Das Projekt umfasst gut
       zwei Dutzend Mitarbeiter. Neue Energieprojekte könnten die Münchner dann
       entgeltlich beraten. Ob das Büro dann weiterhin in Schwabing liegen wird,
       ist offen.
       
       Energieexpertin Claudia Kemfert von Deutschen Institut für
       Wirtschaftsforschung ist optimistisch: „Desertec war und ist interessant,
       wenn man die Energieversorgung in Nordafrika sicherstellen will. Die Kosten
       für Solar- und Windparks sinken auch dort kontinuierlich“, sagte sie. „Die
       Idee Strom von Nordafrika nach Europa zu bringen ist sicherlich nicht tot,
       aber es war auch für Desertec immer die zweite Priorität nach der
       Energieversorgung vor Ort. Wenn man die Energieversorgung in Europa viel
       stärker integriert, bleibt es eine Perspektive, sich mit Nordafrika zu
       vernetzen. Das ist eine Aufgabe von Jahrzehnten.“
       
       8 Oct 2014
       
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