# taz.de -- Massive Kritik an japanischer Zeitung: „Terrorismus gegen die freie Rede“
> Als einzige große Zeitung kritisiert „Asahi Shimbun“ den
> Pro-Atomkraft-Kurs der Regierung. Nun machen Nationalisten gegen das
> Blatt mobil.
IMG Bild: „Asahi Shimbun“-Verkauf in Tokio.
TOKIO taz | Mehrmals musste Japans zweitgrößte Tageszeitung, Asahi Shimbun,
in den vergangenen Wochen schwere handwerkliche Fehler zugeben – ein
unseriöser Kronzeuge für ein umstrittenes Kriegsverbrechen wurde wider
besseres Wissen nicht hinterfragt, exklusives Material zur
Fukushima-Katastrophe wertete man einseitig aus; ein Interview mit dem Chef
des Spiele-Konzern Nintendo wurde erfunden.
Durch die Entlassung leitender Redakteure wollte der Verlag die
journalistische Glaubwürdigkeit des liberalen Flaggschiffs mit einer
Tagesauflage von über zehn Millionen wiederherstellen. Doch das Kalkül ist
nicht aufgegangen. Im Gegenteil: Für die Gegner der Asahi waren die
Fehltritte ein gefundenes Fressen.
Vor dem Verlagsgebäude am Tokioter Fischmarkt wurde für die Schließung der
Zeitung demonstriert. „Berichte waren erstunken und erlogen“, rief ein
Mann. Eine Frau im Kimono erregte sich: „Japan wurde vor dem Rest der Welt
schlechtgemacht.“ Schützenhilfe leistete die rechtsgerichtete Organisation
Ganbare Nippon. „Eine solche Zeitung braucht Japan nicht“, meinte ihr Chef
Satoru Mizushima. Bei Facebook und Twitter wird der Verlag mit Vorwürfen
aus der rechten Ecke überflutet. Eine Universität erhielt wegen eines
früheren Asahi-Redakteurs, der dort unterrichtet, eine Bombendrohung.
Auch der konservative Premier Shinzo Abe konnte seine Schadenfreude nicht
verbergen, da die Asahi als einzige große Zeitung in Japan seinen
Pro-Atomkraft- und Anti-Pazifismus-Kurs konstant kritisch bewertet. Das
Blatt habe Japans Ansehen „schwer geschadet“ und müsse seine „Ehre
wiederherstellen“, sagte Abe im Parlament. Liberale Intellektuelle fühlen
sich massiv eingeschüchtert.
„Wir erleben die japanische Version des McCarthyismus“, meinte Jiro
Yamaguchi, Politologe an der Hosei-Universität in Tokio. Senator Joseph
McCarthy hatte in den USA in den 1940er und 1950er Jahren zur Hetzjagd auf
Kommunisten geblasen. Setsu Kobayashi, emeritierter Professor für
Verfassungsstudien an der Keio-Universität in Tokio, bezeichnete die
Kampagne als „Terrorismus gegen die freie Rede“.
## Aus Rücksicht ignoriert
All diese Entwicklungen gehen auf Ereignisse von Anfang August zurück.
Damals hatte das Blatt sechzehn Artikel aus den Jahren 1982 bis 1997 formal
zurückzogen. Darin behauptete der Exsoldat Seiji Yoshida, er habe im
Zweiten Weltkrieg koreanische Frauen als Zwangsprostituierte für die
Kaiserliche Armee rekrutiert. Yoshida war schon vor langer Zeit als
Wichtigtuer entlarvt worden, das hatte Asahi aber aus Rücksicht auf die
beteiligten Redakteure ignoriert.
Doch nach dem Wahlsieg des Nationalisten Abe im Dezember 2012 verlangten
rechte Gruppen die Rücknahme der offiziellen Entschuldigung der japanischen
Regierung von 1995 für die Versklavung Zehntausender asiatischer
„Trostfrauen“ in Soldatenbordellen. Diese Kriegsverbrechen hätten nie
stattgefunden, wurde behauptet. Zum Beweis verwiesen sie auch auf die nun
zurückgezogenen Asahi-Berichte.
Dabei ignorieren sie zwar zahllose andere seriöse Belege für die
Verstrickung der Armee in die Versklavung der Frauen in Bordellen. Aber im
rechten Triumphgeheul gehen liberale Gegenstimmen weitgehend unter. Jetzt
hat eine Gruppe von 444 Anwälten, Akademikern und Journalisten die
Universität von Sapporo aufgefordert, den Dozenten Takashi Uemura trotz
anonymer Entlassungsforderungen weiter zu beschäftigen. Der frühere
Asahi-Redakteur hatte an den zurückgezogenen Berichten mitgearbeitet. Die
Uni solle die akademische Freiheit und Unabhängigkeit schützen und dem
rechten Druck nicht nachgeben, forderten die Intellektuellen.
8 Oct 2014
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DIR Martin Fritz
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