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       # taz.de -- Die Wahrheit: Bei den Arschversohlern
       
       > Unterwegs mit Chinesen in Suomi reicht ein Aufenthalt von 13 Stunden und
       > 20 Minuten, um zu wissen, dass auch der Finne nur mit Wasser kocht.
       
   IMG Bild: Die chinesisch-suomische Annäherung treibt mitunter recht seltsame Blüten.
       
       Ich wollte nie nach Finnland. Als ich als Kind davon hörte, dass sich dort
       die Leute nackt ausziehen, dann in einen heißen Kasten setzen und sich
       anschließend draußen bei minus zwanzig Grad mit dünnen Reisern gegenseitig
       den Arsch versohlen, hatte ich Angst vor diesem Land.
       
       Auch die Rauch-Filme Aki Kaurismäkis, das ganze Brimborium, das man
       hierzulande für eine Weile um den finnischen Tango machte – „Stell dir mal
       vor! Diese ganzen eingemummelten Alkoholiker am Polarkreis! Wer hätte
       gedacht, dass die so leidenschaftlich sein können! So strange!“ –, und
       diese lustigen Ortsnamen, die so klingen wie saure Milch, haben mich nie
       dazu bewegen können, meinen empfindlichen Hintern in diese Gefilde zu
       bewegen, die auf der Landkarte irgendwie wie pockennarbig (Seen) aussehen.
       
       Ich wollte immer nur in ein Land fahren, wo die Leute normal und
       realistisch sind, vollkommen unexotisch, und den lieben langen Tag nichts
       anderes als konventionelle Sachen machen wie zum Beispiel Geld verdienen.
       Oder Geld zählen. Oder Geld sparen. So ein Land wie China eben. Und deshalb
       bin ich da am Ende auch gelandet.
       
       Die Chinesen sind allerdings auch schuld daran, dass ich schließlich doch
       noch nach Finnland kam. Das war im Sommer vor zwei Jahren. Damals hatte
       meine chinesische Frau bei einem chinesischen Reisebüro in Hannover eine
       Bustour durch Skandinavien gebucht, für meine chinesische Schwägerin, für
       meine noch chinesischeren Schwiegereltern und überraschenderweise auch für
       mich. Mit uns reisten etwa fünfzig weitere Chinesen.
       
       ## Mit dem Bus nach Suomi machen
       
       Ziel der Reise war es, zu erkunden, ob es möglich sei, die vier
       skandinavischen Hauptstädte Kopenhagen, Stockholm, Helsinki und Oslo
       innerhalb von fünfeinhalb Tagen mit dem Bus zu „machen“, wie der
       chinesische Reisefachmann sagt.
       
       Um es vorwegzunehmen: Es ist kein Problem. Es ist sogar noch Zeit übrig, in
       der man an sich überflüssige Sachen unternehmen kann wie essen oder
       schlafen. Unser Bus startete am Montagmittag am Hamburger Hauptbahnhof und
       war am Samstagnachmittag wieder da. Von dieser Zeit verbrachten wir
       ziemlich genau dreizehn Stunden und zwanzig Minuten in Finnland.
       
       Für einen Chinesen reicht das vollkommen, um sich ein Bild von dem Land zu
       machen. Für mich als Halbchinesen auch. Seit meiner Finnlandreise gelte ich
       in China sogar als regelrechter Finnlandexperte. Ich habe den Titel gern
       angenommen und referiere in Peking bisweilen über das exotische Land.
       
       Dann erzähle ich, dass die finnische Hafenstadt Turku (Aufenthaltsdauer
       etwa zwanzig Minuten) bei Regenwetter so aussieht wie ein besserer
       sowjetischer Gulag unter Gorbatschow. Helsinki (Aufenthaltsdauer knappe
       sechs Stunden) dagegen wirkt in den Randgebieten eher so wie Kassel oder
       Hannover. Die finnische Hauptstadt hat mindestens drei imposante Kirchen,
       von denen eine Felsenkirche heißt und in den Granit gehauen ist, so dass
       man ohne Weiteres auf ihrem Dach spazieren gehen kann.
       
       ## Kotende Möwen
       
       Ansonsten ist Helsinki vollgestellt mit Denkmälern, auf dessen Köpfen Möwen
       sitzen, die die Denkmäler zukoten wie nichts Gutes. Aus diesen Mustern
       entstand das weltberühmte finnische Design. Auch die finnische Autobahn
       zwischen Turku und Helsinki ist nicht übel. Anders als in Schweden oder
       Dänemark aber gibt es an den Raststätten keine McDonald’s, sondern nur
       Filialen der Hesburger-Kette, die im Übrigen nicht durchgehend geöffnet
       haben. An dieser Stelle meines Referats gruseln sich die Chinesen immer.
       
       Ich grusele mich auch, aber erst an dem Punkt, an dem ich zu den Bewohnern
       Finnlands komme. Auf dem Rückweg lernte ich nämlich auf der Fähre nach
       Schweden einen leibhaftigen Finnen kennen. Er war rund 1,90 groß, trug
       lange weißblonde Haare, eine schwarze Lederjacke und eine elektrische
       Gitarre auf dem Rücken – weil er, wie ich bald erfuhr, ein echter Rockstar
       war. Der Mann erzählte mir, dass auch er einmal mit einer Chinesin zusammen
       gewesen sei, und zwar mit einer aus Hongkong. Diese Beziehung scheiterte
       aber aus irgendwelchen Gründen.
       
       Ein paar Minuten später wusste ich auch, woran. An der Reeling stand
       nämlich des Rockstars momentane Freundin, eine schöne Russin, die völlig
       betrunken war. So achtete sie auch nicht darauf, dass der Wind unter ihr
       feuerrotes Kleid fuhr und es weit nach oben wehte. „Watch this ass“, sagte
       der finnische Rockstar stolz zu mir. Dann holte er sein Handy raus, um den
       wohlgeformten Hintern seiner Freundin zu fotografieren. Nach zwei, drei
       Fotos steckte er das Handy wieder ein und zog dann etwas aus dem Etui, in
       dem angeblich seine Gitarre steckte. Wenn ich mich nicht täusche, war es
       ein langes Reisigbündel …
       
       Ich flüchtete sofort unter Deck. Ich wusste ja schon aus meiner Kindheit,
       was gleich kommen würde. Das verschweige ich allerdings in meinen Pekinger
       Referaten. Sonst würde sich wirklich kein Chinese mehr nach Finnland wagen.
       Ich komme sowieso nie mehr zurück.
       
       8 Oct 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christian Y. Schmidt
       
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